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Illich Ramirez Sanchez alias Carlos auf einer aktuellen Gerichtszeichnung.

Foto: HO, Christine Lemarie/AP/dapd

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Isabelle Coutant-Peyre, Anwältin und Verlobte von Illich Ramirez Sanchez.

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Er lächelt, sucht gar mit dem Wachpersonal zu scherzen. In Jeans und mit weißem Bärtchen gleicht der 62-jährige Venezolaner einem fröhlichen Pensionisten, der zum Fischen aufbricht. In Wahrheit ist Illich Ramirez Sánchez alias "Carlos" froh, für einige Stunden der Zelle zu entkommen. Hinter den schusssicheren Scheiben der Anklagebank angekommen, schüttelt der einst meistgesuchte Terrorist die Faust. "Von Beruf Revolutionär", gibt er zu Prozessauftakt zu Protokoll.

"Der Schakal", wie ihn die Medien nannten, als sein Fahndungsfoto um die Welt ging, steht im Pariser Justizpalast vor einem Spezialgericht, weil er elf Menschen auf dem Gewissen haben soll. Sie starben 1982 und 1983 bei vier Anschlägen in Marseille, Paris und auf zwei Eisenbahnzüge. Carlos versuchte damit zwei Komplizen freizupressen: seine Exfrau Magdalena Kopp und den Schweizer Bruno Bréguet. Letzterer ist seit 1995 unauffindbar, Kopp soll beim Prozess aussagen.

Dass die Verhandlung knapp 30 Jahre nach den Taten stattfindet, hat mehrere Gründe. Carlos wurde erst 1995 vom französischen Geheimdienst im Sudan dingfest gemacht. Zwei Jahre später wurde ihm in Paris ein erster Prozess wegen eines Polizistenmordes gemacht. Seither versuchte seine Anwältin Isabelle Coutant-Peyre - inzwischen nach islamischem Recht mit ihm verheiratet - den eigentlichen Terrorismus-Prozess zu verhindern.

Nun scheint Sánchez froh darüber, wieder im Rampenlicht zu stehen. Der "größenwahnsinnige Mörder", wie die Stasi ihren Mitarbeiter nannte, hatte in den vergangenen Jahren jede Gelegenheit ergriffen, von sich reden zu machen. Der venezolanischen Zeitung El Nacional erklärte er, er habe mit seinen westlichen Gesinnungsgenossen sowie ostdeutschen und arabischen Agenten mehr als 100 Anschläge ausgeführt - und zwar "sehr gut". In seinem revolutionären Kampf gegen "die Terroristen USA und Israel" habe er wenige Zivilisten auf dem Gewissen, "denn unter den 1500 bis 2000 Toten gab es nicht mehr als 200 zivile Opfer."

Mit seinen Prahlereien erweist sich Sánchez einen schlechten Dienst, hätte er doch durchaus Argumente für eine formaljuristische Anfechtung des Prozesses wegen seiner wohl illegalen Rückführung aus dem Sudan oder dem Verschwinden wichtiger Dokumente aus den Akten.

Seine größte Tat, der Opec-Überfall 1975 in Wien, steht in Paris nicht zur Debatte. Dafür sind drei Handlanger angeklagt. Seine rechte Hand Johannes Weinrich ist in Deutschland wegen eines Anschlags von 1983 in Haft; Christa Fröhlich und der Palästinenser Ali Kamal Al Issawi sind untergetaucht. Carlos hat die Gerichtsbühne also ganz für sich. (DER STANDARD Printausgabe, 8.11.2011)