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Die Free Syria Army (FSA) betont keine politische und konfessionelle Agenda zu haben.

Foto: Reuters

Riad al-Asaad, der syrische Deserteur und Kommandeur der "Free Syrian Army" (FSA), betont, dass er und seine Truppe keinerlei politische und konfessionelle Agenda haben - und das ist zumindest für seine Person durchaus glaubhaft, denn die syrische Luftwaffe, aus der er kommt, ist ganz bestimmt nicht der klassische Ort für islamistische Verschwörungen. Asaad hat, zu Beginn mit nur sechs Kameraden, der Armee den Rücken gekehrt, weil er das brutale Vorgehen der syrischen Sicherheitskräfte gegen die Demonstranten nicht mittragen wollte. Das war der Beginn der FSA, die seitdem gewaltig gewachsen ist, auf mindestens 10.000 Mitglieder, wie Asaad sagt. 

Ob die FSA sich bei ihrem Kampf gegen die syrische Armee wirklich nur auf jene Waffen verlässt, die die desertierenden Soldaten bei ihrer Flucht mitnehmen, sei dahingestellt, es fällt einigermaßen schwer, das zu glauben. Eine Frage ist auch, in welcher Beziehung die FSA genau zum syrischen Nationalen Übergangsrat, der Dachorganisation der Opposition, steht, oder ob sie vielleicht dabei ist, so etwas wie deren bewaffneter Arm zu werden. Der Vorwurf an die syrische Opposition war ja stets, dass der Ansprechpartner - und damit der Kooperationspartner für Unterstützung von außen - fehle, und sie hat in den vergangenen Wochen viel getan, um sich zu organisieren.

Was nicht über ihre Fraktioniertheit hinwegtäuschen kann. Was ist die stärkste Gruppe innerhalb der Opposition? Der Eindruck, dass sunnitische islamische Kräfte viel zu sagen haben, bestätigt sich auch bei einem Blick auf die FSA, auch wenn ihr Oberkommandierender Asaad betont, dass auch Alawiten -  Angehörige der Sekte, der die Familie von Präsident Bashar al-Assad angehört - in ihren Reihen dienen. 

Es gibt unter dem Eintrag "Free Syrian Army" in Wikipedia eine Liste der 22 Bataillone der FSA, mit Namen und Einsatzgebieten. Wie immer bei Wikipedia ist das alles cum grano salis zu nehmen, aber ein paar Hinweise lassen sich doch aus den 22 Bataillonsnamen ablesen, alle werden ja nicht falsch sein... wobei wir uns hier mit einer schnellen Durchsicht begnügen. 

Sie ergibt, dass etliche Namen eindeutig Opfern der Repression des syrischen Aufstands zuzuordnen sind, da ist etwa der kurdische Oppositionspolitiker Mishaal Tammo, der Anfang Oktober erschossen wurde, oder Hamza al-Khateeb, ein 13-Jähriger, der im Mai in Deraa von Sicherheitskräften gefoltert und umgebracht wurde, oder auch der Deserteur und FSA-Angehörige Hussein Harmoush, der verschleppt und im syrischen Fernsehen zu einem "Geständnis" gezwungen wurde.
Aus der jüngeren syrischen Geschichte springt der Name Sultan Pasha al-Atrash ins Auge, ein arabisch-syrischer Nationalist drusischer Herkunft, der bereits die Revolution in den 1920er-Jahren mitgetragen hat. Er ist hochbetagt in den 1980ern gestorben, ein Nationalheld - und übrigens ganz klar den Säkularen zuzurechnen. 

Etliche Namen von Bataillonen sind jedoch der islamischen Frühgeschichte zuzurechnen, Prophetengefährten, die sich zum Teil schon in den Schlachten zu Muhammads Lebzeiten hervortaten. Da finden wir ein Bataillon, das nach Saad Ibn Muadh benannt wurde, der an seinen bei der Grabenschlacht 627 erlittenen Verletzungen starb - er ging in die Geschichte ein als derjenige, der den in dieser Schlacht besiegten jüdischen Stamm Banu Qurayza ausrotten ließ.
Prophetengefährten waren auch die zwei berühmten und konkurrierenden obersten Feldherren des ersten und des zweiten Kalifen, Khalid Ibn al-Walid und Abu Ubaydah Ibn al-Jarrah, nach denen je ein FSA-Bataillon benannt ist. Beide spielten bei der islamischen Eroberung der Levante eine große Rolle, Khalid Ibn al-Walid, genannt "Das gezogene Schwert Gottes", eroberte aber 633 auch den Teil Mesopotamiens südlich vom Euphrat von den Sassaniden. Bei al-Qadisiya, der entscheidenden Schlacht gegen die Perser in der Nähe von Kufa im heutigen Irak, war 636 keiner der beiden Feldherren dabei, aber weil sie an der byzantinischen Front so erfolgreich waren (Schlacht von Yarmuk, drei Monate vor al-Qadisiya), konnten die Streitkräfte gegen die Sassaniden verstärkt werden.
Einfach nur "islamisch" sind alle Namen dieser Kategorie aber nicht, manche haben schon einen Bezug auf die sunnitische-schiitische Konfliktgeschichte - und oberflächlich betrachtet gehört die alawitische Sekte, der die Assads angehören, ja auch in die schiitische Schublade, und dazu kommt noch, dass Bashar al-Assad ein Verbündeter des Iran ist. Khalid Ibn al-Walid gilt als stark antialidisch (gegen Ali, dazu gleich). Der schon erwähnte Kalif Omar (634 - 644), nach dem ebenfalls ein Bataillon benannt ist, ist nicht nur einfach eine Figur der islamischen Geschichte: Aus schiitischer Sicht hat er Ali Ibn Abi Talib, dem Neffen und Schwiegersohn des Propheten Muhammad, die legitime Nachfolge des Propheten gestohlen, als er Kalif wurde (Ali wurde dann 4. Kalif in der Reihe). Und laut dem schiitischen Narrativ war Omar sogar für den Tod von Fatima, der Tochter Muhammads und Alis Gattin, verantwortlich: Sie starb an den Verletzungen, die sie erlitt, als Omar ihr Haus stürmen ließ.

Aber immerhin, Omar ist ein Kalif und eine Referenzfigur für alle frommen Sunniten, man kann den Bezug auf ihn also nicht eindeutig als antischiitische Kampfansage werten (auch wenn es wahrscheinlich so gemeint ist): Aber da gibt es auch noch den Bataillonsnamen Muawiya Ibn Abi Sufyan. Muawiya (gest. 680) war unter dem dritten Kalifen Othman syrischer Statthalter und später der erste umayyadische Kalif - und der ewige Widersacher von Ali, dem er in der Schlacht von Siffin (657) militärisch gegenüberstand und dessen Sohn Hassan er nach schiitischer Lesart zugunsten seines Sohnes Yazid um die Nachfolge betrog. Yazid ist überhaupt eine Horrorgestalt für die Schiiten - hat er doch 680 in der Schlacht von Kerbala Alis Sohn Hussein, den Enkel Muhammads also, getötet. Darum rankt sich die ganze schiitische Passionsgeschichte. Aber immerhin, nach Yazid Ibn Muawiya ist kein Bataillon der FSA benannt. (Gudrun Harrer/derStandard.at, 4.11.2011)