"Die Pensionen sind zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel", sagt Rentenkritiker Bernd W. Klöckner.

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"Kein Pensionist hat ein Anrecht auf seine Pension. Er hat nur ein Anrecht darauf, was ihm das System bezahlen kann", sagt Bernd W. Klöckner, Trainer für Finanzdienstleister und Buchautor. Der deutsche Pensionskritiker fordert im Gespräch mit derStandard.at eine Anhebung des Rentenantrittsalters. Warum Pensionisten Kürzungen in Kauf nehmen müssen und ältere Arbeitnehmer nicht jammern sollen, erzählte er Marie-Theres Egyed.

derStandard.at: In Ihren Büchern warnen Sie vor einer drohenden Altersarmut für breite Schichten: Ist das nicht eine überzogene Zukunftsvision?

Klöckner: In Deutschland gibt es eine jährliche Renteninformation. In Österreich bekommt der Angestellte keine Auskunft, was er eines Tages als Pension zu erwarten hat. Das kann man nur hochrechnen, wenn man will (Anm: Pensionskonto-Rechner). Aber es gibt keine jährliche Mitteilung – solange das nicht geklärt ist, ist das eine Zeitbombe. Die Menschen werden zu lange im Unklaren über ihre Pensionsansprüche gelassen.

Auf der deutschen Renteninformation steht ein Wert, den Sie bekommen könnten, wenn Sie so weiterverdienen wie die letzten fünf Jahre. Er wird zu positiv dargestellt. Mit Leichtigkeit könnte man in Klammer die Kaufkraft dazuschreiben: 1000 Euro (Beispiel: Kaufkraft bei zwei Prozent Inflation: 650 Euro in x Jahren) Dann wüsste jeder sofort, was ihn erwartet. Das wird nur pauschal beantwortet, nicht individuell. Sie gar nicht zu informieren wie in Österreich ist fahrlässig, damit lasse ich Millionen von Arbeitnehmern und Angestellten in eine finanzielle Falle laufen.

derStandard.at: Die Begriffe Zeitbombe und Altersarmut sind dramatisch. Was meinen Sie konkret?

Klöckner: Angenommen die durchschnittliche Rente liegt in Österreich bei 1000 Euro. Wenn Sie den Betrag in zehn oder fünfzehn Jahren erhalten, ist er keine 1000 Euro mehr wert, sondern Sie haben dann 730 oder 630 Euro Kaufkraftwert. Die durchschnittliche Rente wird in Deutschland wie auch für Österreich in absehbarer Zeit – kaufkraftbereinigt – bei 600 bis 900 Euro liegen. Das ist zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel. Deswegen warne ich vor der Altersarmut, weil die wenigsten auch nur annähernd wissen, was das eines Tages für sie bedeuten wird.

derStandard.at: Das klingt nach einem Plädoyer für private Vorsorge.

Klöckner: Ja, ohne private Vorsorge wird es nicht funktionieren.

derStandard.at: Ein konkretes Beispiel: Ich bin Ende 20, eine private Vorsorge kann ich mir derzeit nicht leisten. Wozu würden Sie mir raten?

Klöckner: Entweder Nebenjob jetzt oder Nebenjob später. Das ist die unschöne Wahrheit. Ich verstehe Menschen, die sagen, "ich kann mir das im Moment nicht leisten, ich kann auf nichts verzichten". Aber Sie werden eines Tages auf übelste Art und Weise dazu gezwungen, dass Sie auf vieles verzichten müssen. Nämlich dann, wenn Sie weitaus weniger im Monat haben als Sie gedacht haben.

derStandard.at: Das gesetzliche Pensionsantrittsalter liegt in Österreich bei 65 Jahren (Männer) und 60 Jahren (Frauen). Das faktische liegt aber bei beiden Geschlechtern unter 60 Jahren. Sie fordern ein späteres Rentenantrittsalter: Wie soll dieser Widerspruch gelöst werden?

Klöckner: Das ist ein Problem. Da ist die Politik natürlich gefragt, dass die völlig starren Altersgrenzen aufgelöst werden. Es gibt Berufe, da sind Sie mit sechzig Jahren platt. Es gibt aber auch Berufe, da sind Sie mit 65 Jahren lange noch nicht platt. Das wird alles über einen Kamm geschert. Das Rentenantrittsalter, das uns beide betreffen wird, müsste jetzt schon bei 69 oder 70 Jahren liegen.

derStandard.at: Wieso?

Klöckner: Ursprünglich war die Rente dazu gedacht, dass ein Pensionist acht bis dreizehn Jahre von der Gesellschaft gestützt wird. Mittlerweile leben wir eine Illusion: Wenn Menschen mit 63 Jahren in Ruhestand gehen, können sie durchaus 25 bis 30 Jahre leben. Das war niemals vorgesehen.

Das Rentensystem war dafür gedacht, dass eine Rentengeneration finanziert wird und nicht zwei oder drei. Teilweise haben wir Familien, wo der Opa 93 Jahre alt ist, lebt und Rente bekommt. Sein Sohn ist 73 alt, lebt und bekommt Rente. Mit ein bisschen Glück ist sein 53 jähriger Sohn Frühpensionist und bekommt auch Frührente. Dieses System wird niemals, niemals überleben. Die erwerbstätige Bevölkerung wird dazu verdonnert zwei bis drei Rentengenerationen zu finanzieren. Das ist aus ökonomischer Sicht völlig unmöglich.

derStandard.at: Sie fordern eine Anhebung des Pensionsantrittsalters. Wenn jemand mit 55 einen Job sucht, hat er kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Klöckner: Das hat mit viel Selbstverantwortung zu tun. Ich empfinde das als Herumgejammere. Jeder kann dafür sorgen, dass er mit 40, 45 oder 50 Jahren für den Arbeitgeber attraktiv bleibt. Meine beste Mitarbeiterin ist 61 Jahre. Sie sorgt seit Jahren dafür, dass sie immer up to date bleibt. Nur rumzujammern und zu sagen "ich bin zu alt und bekomme nichts mehr" ist mir zu wenig. Es gibt Menschen, die bekommen keine Arbeit mehr, die sollen durch das soziale System aufgefangen werden. Es ist eine Illusion, dass alle jammern dürfen, wir reden hier von Selbstverantwortung, daran werden wir nicht vorbeikommen.

derStandard.at: Pensionisten haben eine lautstarke Lobby: Auch wenn es sie direkt nicht betrifft, wehren sie sich gegen Reformbestrebungen. Wieso?

Klöckner: Auch die aktuellen Pensionisten müssen ihren Teil dazu beitragen. Künftige Rentenerhöhungen sollen moderat bis gering gehalten werden oder auch Nullrunden müssen möglich sein. Das ist dann weniger als die Inflation und sie werden netto Geld verlieren, aber das ist ein verlangbarer Beitrag von den Pensionisten. Sie gehören einer Generation an, die vom Verdienst her zu der besten oder reichsten Rentnergeneration zählt. Jammern schön und gut, aber das ist dann für mich Jammern auf hohem Niveau.

derStandard.at: Haben Sie Angst vor einer Gerontokratie, vor einer Herrschaft der Alten?

Klöckner: Ja, das was ich erlebe gibt mir zumindest Anlass, darüber nachzudenken. Die Älteren haben eine sehr große Wahlmacht. Sobald den Älteren etwas weggenommen wird, gehen sie auf die Barrikaden. Das ist asozial und gegen die mittlere und die jüngere Generation. Unsere Generation trägt in Form von Staatsverschuldung und Pensionslasten einen unglaublichen Berg, den wir in 20, 30 Jahren abtragen müssen. Wir machen mehr als genug für den Generationenvertrag, deswegen können die Älteren ruhig auf etwas verzichten. Wenn sie das nicht machen, sind sie gierig.

Aber keine Partei kann es sich leisten sich mit Pensionisten anzulegen. Das ist feig. Politiker sind Volksvertreter, sie vertreten nicht nur Pensionisten, sondern das gesamte Volk.

derStandard.at: Deswegen verlangen Sie eine Kürzung der Renten?

Klöckner: Ja, warum nicht. Das ist ein Umlageverfahren. Kein Pensionist hat ein Anrecht auf seine Pension. Er hat nur ein Anrecht darauf, was ihm das System bezahlen kann. Nullrunden sind ein legitimer Beitrag zur Generationengerechtigkeit. (mte, derStandard.at, 7.11.2011)