Wien - Ein neuer Bericht der Internationalen Atomenergie-Organisation zum iranischen Atomprogramm sorgt schon vor seinem Erscheinen für reichlich Nervosität. Nach allgemeiner Erwartung wird IAEO-Chef Yukiya Amano darin sehr viel detaillierter als bisher auf die entscheidende Frage eingehen, ob Teheran heimlich an Atomwaffen arbeitet. In dem kommenden Tagen soll das Papier den Mitgliedstaaten übergeben werden; der IAEO-Gouverneursrat berät darüber übernächste Woche.

Ein westlicher Diplomat äußerte im Gespräch mit dem Standard die Erwartung, dass der Bericht eine "wichtige neue Entwicklung" darstellen werde. Das Weiße Haus erklärte am Donnerstag, das Papier werde für die Welt ein entscheidender Anhaltspunkt sein, um die iranischen Aktivitäten zu beurteilen. Angesichts einer solchen Rhetorik und Berichten über einen möglichen Militärschlag fürchteten Kritiker, dass der Bericht westlichen Staaten als Argument für ein schärferes Vorgehen gegen Teheran dienen könnte.

Westliche Staatenvertreter erwarteten übereinstimmend, Amano werde in dem Bericht deutlich machen, dass alle IAEO-Informationen auf ein Waffenprogramm hinwiesen - und damit westliche Befürchtungen bestätigen. Er werde jedoch nicht so weit gehen, ein solches Programm mit 100-prozentiger Sicherheit festzustellen.

Neue IAEO-Resolution

"Welche Konsequenzen der Bericht hat, wird auch davon abhängen, wie genau Amano die Situation charakterisiert", sagte ein Diplomat. Fällt er so scharf aus wie erwartet, erwägen die westlichen Staaten im 35-köpfigen Gouverneursrat, die iranischen Aktivitäten in einer neuen Resolution zu verurteilen.

Das dürfte jedoch auf den Widerstand Russlands und Chinas treffen. Das russische Außenministerium hatte die IAEO bereits vergangene Woche davor gewarnt, den Bericht zu veröffentlichen. "Das würde die Atmosphäre belasten und den Beginn von ernsthaften Verhandlungen verhindern", hieß es in einer Erklärung aus Moskau. Ähnlich äußerten sich chinesische Vertreter.

Diplomaten der blockfreien Staaten äußerten die Befürchtung, dass Amano sich mit dem Bericht dem Druck der USA beuge, den Iran härter anzufassen. Damit setzte der IAEO-Chef die Glaubwürdigkeit der Behörde aufs Spiel. "Wir erwarten von der IAEO, dass sie die Informationen überprüft und unabhängig beurteilt", betonte ein Diplomat. Der Iran könne außerdem die Zusammenarbeit mit der Behörde weiter einschränken. Westliche Vertreter wiesen die Vorwürfe gegen Amano zurück. (Julia Raabe/DER STANDARD, Printausgabe, 4.11.2011)