Die müden Vertreter der Clubkultur blicken auf die idyllische Quelle ihrer Inspiration und scheinbaren Vergnügtheit.

Foto: Tuch/Kondek

Chris Kondek, 1962 in Boston geboren, schafft Videos für das Theater. Er arbeitete u. a. mit der Wooster Group oder Robert Wilson und infolge seiner Übersiedlung nach Berlin 1999 mit Regisseuren wie Stefan Pucher oder Sebastian Baumgarten. Mit Letzterem realisierte er heuer den "Tannhäuser" in Bayreuth.

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Über die Funktionen von Video auf der Bühne sprach er mit Margarete Affenzeller. 

Standard: Sie haben als Videokünstler bei der New Yorker Wooster Group begonnen. Was haben Sie damals vom Theater für Ihre Videokunst erwartet?

Kondek: Ich habe Film studiert und bin dann am Theater gelandet. Aber die Strategien, wie ich Video auf der Bühne einsetzen könnte, die habe ich aus meiner Theatererfahrung abgeleitet. Der Urgedanke kam also aus dem Theater. Damals, 1990, wollte die Wooster Group mit Videos arbeiten. Gleichzeitig kamen die erste Hi8-Kamera auf den Markt und der erste Videomischer, es war plötzlich technisch möglich, Live-Videos zu machen.

Standard: Was wollten Sie mit Live-Videos ausdrücken?

Kondek: Wir wollten unterschiedliche Realitäten abbilden. Es gab den Schauspieler auf der Bühne und zugleich den abgefilmten Schauspieler. Das wirkte wie zwei verschiedene Persönlichkeiten. Der Schauspieler im Videobild war ein anderer Teil der Person auf der Bühne. Das heißt, der Fernseher konnte etwas zeigen, das wir als Menschen vorher nicht hatten. Wir haben bemerkt, dass wir nicht nur ein körperliches Selbst haben, sondern auch ein Video-Selbst, siehe Skype.

Standard: Der Einsatz von Video ist nicht neu. Schon in Peter Handkes Amerika-Premiere von "Kaspar" 1974 gab es Monitore. Welche Entwicklung hat Video in den letzten Jahrzehnten genommen?

Kondek: Es gab eine Phase, in der es total hip war, Videos in das Bühnengeschehen einzubauen, jeder hat Videos geradezu hingeworfen, ohne wirklich zu bedenken, was das Video erzeugen könnte. Jetzt sind Videos normal geworden, die Leute wollen eigentlich davon weg. Und es wäre jetzt der Zeitpunkt, genau zu fragen, welche Funktionen Video auf einer Bühne überhaupt haben kann.

Standard: Welche Funktionen kann Video also haben?

Kondek: Es gibt ganz viele verschiedene Praktiken, siehe René Pollesch, Gob Squad oder Frank Castorf. Zum Beispiel Video als flächendeckender Hintergrund. Oder Video als Ort für den Hauptdarsteller. Zum Beispiel haben wir mit der Wooster Group die Drei Schwestern von Tschechow gemacht; eine der Schwestern saß mit dem Rücken zum Publikum und war sonst nur im Video präsent. Das hat ihr einen besonderen Platz zugewiesen. Oder Videomaterial für das Dokumentartheater oder Archivaufnahmen, das ist ein großes Feld. Es sind in den letzten zehn Jahren sehr viele Positionen entdeckt worden. Man konnte früher zum Beispiel immer lesen: Castorf hat endlich herausgefunden, wie man Video auf der Bühne richtig einsetzt. Aber heute weiß ein jeder, das war ja nur eine Methode. Oder René Pollesch oder Christoph Schlingensief oder Peter Sellars.

Standard: Oder Robert Lepage.

Kondek: Ja. Er ist für mich wie ein elektrifizierter Robert Wilson. Es gibt viele andere Beispiele. Mir fehlt aber eine fundierte Diskussion über diese vielen Möglichkeiten. In einem guten Buch habe ich gelesen, dass alles, was wir als live, also aktuell, empfinden, vom Fernseher kommt. Diese Behauptung stimmt zu einem guten Teil. Um im Theater aktuell zu sein, muss man Video hereinholen.

Standard: Weil Video Realität und Jetztzeit beglaubigt?

Kondek: Ja, der Akt der Live-Kreation mit der Kamera erzeugt eine noch größere Lebendigkeit, das hat mir nun die Arbeit an Michel Houellebecqs Karte und Gebiet in Düsseldorf gezeigt. Schauspieler hantieren mit Playmobilfiguren, und das abgefilmte Puppenspiel hat mehr Realität als ein Schauspieler. Oder auch die Gaddafi-Bilder. Sie wirken deshalb so echt, weil sie einem gewissen Style des Videomachens entsprechen, den wir durch unsere Sehgewohnheiten von diese Bildern erwarten: ein bisschen "shaky", ein bisschen niedere Qualität. Zwei Dinge gehen dabei immer Hand in Hand: Wir sehen das, was wir sehen, und wir sehen den Style des Sehens.

Standard: Drängen diese inszenatorischen Verfahren die großen Autoritäten am Theater (Autor und Regie) zurück?

Kondek: Ich dachte, der Autor sei längst abgeschafft! (lacht) Na ja, wir werden immer Lust haben, Faust zu sehen oder Shakespeare oder René Pollesch. Die Haltung "Wir sind alle unsere eigenen Autoren" hängt stark mit den scheinbar demokratischen Aufforderungen unserer Zeit zusammen: Jeder braucht seine eigene Homepage, jeder kreiert seine eigene Identität, und alle seien irgendwie bühnentauglich. Aber das ist ein Trugschluss. Denn auch das ist alles konstruiert.

Standard: Sie entwickeln seit einigen Jahren auch eigene Stücke. Was steckt hinter Ihrer nun im Brut gastierenden Produktion "Even the Dead are not Safe from the Living"?

Kondek: Zwei Filmfreaks wollen einen Avantgardefilmemacher wiederentdecken, und sie verlieren sich in den Spuren seiner Werke. Das Stück hat viel damit zu tun, was wahr ist und was nicht, was Erinnerung ist und wie Erinnerung mit Bildern assoziiert ist.   (DER STANDARD, Printausgabe, 3.11.2011)