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Wenn es darum geht Ernährungsrisiken abzuschätzen, ist der Konsument mehr oder weniger auf sich alleine gestellt.

Dioxin-Fleisch aus Deutschland, Listerien-Käse aus Österreich, mutierte EHEC-Keime aus Ägypten. - Das sind nur die aktuellsten Fälle an Lebensmittelskandalen, die uns in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen den Appetit verderben. Sie führen uns besonders auch eines vor Augen: Lebensmittel sind größtenteils das Produkt einer industriellen Herstellungskette, die durch eine harte Wettbewerbssituation gekennzeichnet ist.

„Die Konzerne stoßen an Wachstumsgrenzen. Niemand kann mehr essen, als der Magen fasst. Mit milliardenschweren Werbekampagnen jubeln die Hersteller den Verbrauchern deshalb scheinbare Neuheiten unter. Diese sind häufig weder neu noch besser, sondern Zusatzstoffcocktails voller Zucker und Salz, dafür aber teurer", ist Thilo Bode, Geschäftsführer von „foodwatch" und Autor des Buchs „Die Essensfälscher", überzeugt.

Preiskampf drückt Qualität

Aktuelle Ergebnisse österreichischer Interessensvertretungen scheinen den Kritikern der Lebensmittelbranche Recht zu geben. Bei einem kürzlich - vom Verein für Konsumenteninformation (VKI) durchgeführten Test von 15 gängigen Olivenölen war keines frei von Schadstoffen. Sie enthielten PVC-Weichmacher, die im Verdacht stehen die männliche Fruchtbarkeit negativ zu beeinflussen sowie krebserregende polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), die wahrscheinlich durch Waldbrände nahe der Ernte ins Öl gelangt sind. Als Grund für die Misere sieht VKI-Geschäftsführer Franz Floss: ebenfalls „den Preiskampf unter den Handelsketten."

Ähnlich ernüchternd fiel der - im August 2011 - durchgeführte Test der Arbeiterkammer (AK) zur Produktsparte „Frühstücksflocken" und „Müslis" aus, gelten diese doch gemeinhin als kalorienarm und gesund. Rund die Hälfte der 43 geprüften Angebote enthielt 25 Prozent Zucker, bei 85 Prozent lag der Zuckeranteil immerhin noch über einem Achtel. Besondere Kritik üben die AK-Experten an den Kennzeichnungen der Produkte, die zum Teil nicht nachvollziehbar beziehungsweise irreführend sind, so dass für Konsumenten nicht eindeutig ersichtlich ist wie viel Zucker, Fett, Salz und Kalorien eine Packung tatsächlich enthält.

"Das Täuschungsspektrum der Konzerne reicht von dreister Mogelei bis hin zur Körperverletzung durch Irreführung", kritisiert Thilo Bode. Seiner Ansicht nach agiere die Politik dabei als Dienstleister der Industrie und setze auf Konsens und „Runde Tische" statt auf wirksame Gesetze. Bei Greenpeace ist man beispielsweise überzeugt, dass „uns die gesetzlichen Grenzwerte, sprich die zugelassenen Höchstmengen für Pestizide, die für Lebensmitteln aus dem konventionellen Anbau verwendet werden, nicht zuverlässig schützen". Kommen nämlich mehrere Substanzen zum Einsatz, können sie ihre Wirkung gegenseitig verstärken. Solche Cocktaileffekte werden aber bei der Grenzwertfestlegung kaum beachtet.

„Analogkäse" und Genmanipulation kaum ein Thema 

In Wien existieren etwa 19.000 Lebensmittelbetriebe. Rund 15.000 Kontrollen werden jährlich vom Marktamt durchgeführt. Die Beanstandungen mit dem Etikett „gesundheitsschädlich" weisen eine Größenordnung von etwa einem halben Prozent auf.

Auf die Frage wie Verbraucher sicher sein können, dass die angebotenen Lebensmittel „natürlich" und nicht künstlich hergestellt sind, antwortet Alexander Hengl (39), Lebensmittelinspektor vom Wiener Marktamt: „Da muss die Kundin, der Kunde auf uns vertrauen. Selber kann man das nicht wirklich feststellen. Von uns werden diesbezüglich nach wie vor stichprobenartige Kontrollen etwa bei Pizzakäse durchgeführt und ich kann sagen, dass wir das Problem von »Lebensmittelimitaten« sehr gut im Griff haben". Im Zusammenhang mit genmanipuliertem Obst und Gemüse finden ebenfalls laufend Probenziehungen und Schwerpunktaktionen statt. „Die Beanstandungen sind auch hier gleich null", beruhigt Alexander Hengl.

Notwendige Eigenverantwortung

Letztendlich bleibt der Konsument auf sich alleine gestellt, wenn es darum geht etwaige Ernährungsrisiken abzuschätzen. Das erfordert allerdings Kenntnisse über die Wirkungsweisen der zahllosen Zusatzstoffe. Ratgeber wie „Gesund einkaufen" vom VKI bieten hier Orientierung. Darüber hinaus kann über das Kaufverhalten Druck auf die Lebensmittelindustrie ausgeübt werden, indem einzelne Produkte entweder generell boykottiert oder nur zu bestimmten Jahreszeiten gekauft werden.

So ist beispielsweise nachgewiesen, dass je nach Saison die Pestizidbelastung einzelner Obst- und Gemüsesorten erheblich schwankt. Früherdbeeren, die von Januar bis Mai angeboten werden, enthalten meist mehr Schädlingsbekämpfungsmittel als Erdbeeren aus der heimischen Hauptsaison ab Juni. Obst und Gemüse sollte daher dann gekauft werden, wenn das Produkt tatsächlich Saison hat.

Eine Alternative zum konventionellen Anbau sind zweifelsohne Bio-Waren, obwohl es auch hier keine Garantie für völlig rückstandsfreie Lebensmittel gibt. „Denn manche Schadstoffe sind ganz einfach ubiquitär, also überall in der Umwelt vorhanden", heißt es von Seiten des VKI. Die Gesundheitsgefahr durch Schad- und Zusatzstoffe in Lebensmitteln dürfte aber generell weniger groß sein wie von vielen angenommen wird. Auf Platz eins der Ernährungsrisiken stehen immer noch ungesunde Essensgewohnheiten: zu viel, zu fett, zu süß in Kombination mit Bewegungsmangel. (derStandard.at, 02.11.2011)