Van der Bellen darf man mit Zigarette fotografieren: "Weiß eh jeder, dass ich rauche."

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Wien – Wenn die Regierung mehr Geld für die Universitäten ausgibt, dann hält der Wiener Uni-Beauftragte und grüne Nationalrat Alexander Van der Bellen die Einführung von Studiengebühren für sinnvoll. Diese seien zwar "in finanzieller Hinsicht relativ uninteressant", man könne damit aber das Stipendiensystem ausbauen und die Studierenden mitbestimmen lassen, was mit dem Geld passiert. In dieser Frage habe er "immer ein bissl einen Clinch mit meiner eigenen Partei", sagt der frühere grüne Bundessprecher im Standard-Interview.

Standard: Sie kannten die Wiener Universitätslandschaft als Professor ganz gut. Was hat Sie dennoch in Ihrem ersten Jahr als Uni-Beauftragter überrascht?

Van der Bellen: Mich hat positiv überrascht, dass weite Teile der Wiener Szene international absolut konkurrenzfähig sind, schwerpunktmäßig im Bereich der Naturwissenschaften. Ansonsten lerne ich, dass es jede Menge notwendiger Bedingungen zur Weiterentwicklung der Forschung gibt. Geld ist eine Conditio sine qua non, aber es genügt nicht allein. Es braucht auch die Abschaffung des germanischen Lehrlings-Meister-Systems. Ich selbst war wissenschaftliche Hilfskraft, Assistent, Oberassistent, Dozent, außerordentlicher Professor, ordentlicher Professor – das ist aberwitzig.

Standard: Wird Wien als Forschungs- und Universitätsstadt wahrgenommen?

Van der Bellen: Das gehört deutlich verbessert. In Wien finden rund 50 Prozent sämtlicher Forschungsleistungen Österreichs statt. Aber wenn Sie einen Besucher fragen, was assoziieren Sie mit Wien, sind es Musik und die Habsburger. Wir bemühen uns, dieses Bild zu verändern. Ein kleines Beispiel, da haben manche Leute amüsiert gelacht – aber man muss sich einmal die Benennung der U-Bahn- und Straßenbahnstationen anschauen. Wird da auf Wissenschaft und Forschung hingewiesen? Wir haben auch einen Stadtplan in Auftrag gegeben, auf dem alle Standorte von Unis und Fachhochschulen eingezeichnet sind.

Standard: Als Sie eingesetzt wurden, gab es Aufregung über die 210.000 Euro, mit denen Ihre Aufgabe dotiert wurde. Bleibt es dabei?

Van der Bellen: Ich habe es beantragt, der Gemeinderat wird es hoffentlich beschließen. Man kommt für einen Grundbetrieb aus. Die Stadt fördert Wissenschaft und Forschung jährlich mit Millionen. Natürlich wünscht man sich, dass sie noch mehr macht. Andererseits weiß ich, dass die Stadt in der jetzigen Budgetsituation genau so am Zahnfleisch geht wie der Bund.

Standard: Wo fehlt Ihnen das Engagement vom Bund?

Van der Bellen: Die Europäische Kommission – ich kann das nur bis zum Erbrechen wiederholen – hat vorgeschlagen, bis 2020 zwei Prozent des BIP für den tertiären Sektor auszugeben. Wir halten jetzt bei 1,3 Prozent. 0,7 Prozent des BIP sind zwei Milliarden Euro. Jährlich. Wissenschaftsminister Töchterle, der mein Mitgefühl hat, druckt ja nicht das Geld, er muss es von der Finanzministerin bekommen. Es gibt einstimmige Beschlüsse des Parlaments zu diesen zwei Prozent. Da fühle ich mich verarscht. Wir beschließen da irgendwas, und dann kümmert sich kein Schwein drum?

Standard: Sollen die Studiengebühren wieder eingeführt werden?

Van der Bellen: Ich finde, politisch und sachlich gesehen, müssen sich alle bewegen, um aus der jetzigen Pattsituation herauszukommen. Notwendige Voraussetzung ist, dass der Bund sein Engagement glaubhaft erhöht. Dann können wir auch über Studiengebühren reden. In finanzieller Hinsicht sind sie relativ uninteressant, in anderer Hinsicht vielleicht schon.

Standard: In welcher?

Van der Bellen: Man könnte das Stipendiensystem ausbauen und überdies spezifische Fonds an den Universitäten einrichten, wo die Studierenden mitbestimmen, was mit dem Geld gemacht wird.

Standard: Studiengebühren wären für Sie also denkbar, wenn die Regierung die Unis besser dotiert?

Van der Bellen: Genau dann und nur dann.

Standard: Kurz vor der Nationalratswahl 2008 haben die Grünen der Abschaffung der Studiengebühren zugestimmt, der Verfassungsgerichtshof hat das Gesetz wieder gekippt. War es ein Fehler, damals mitzustimmen?

Van der Bellen: Es war jedenfalls eine Situation, die ich niemandem wünsche. Die SPÖ preschte damit vor, die Freiheitlichen stimmten zu – und wir hätten als Neinsager übrig bleiben sollen? Zwei Wochen vor der Wahl? Das ging nicht anders. Ich hatte in der Beziehung immer ein bissl einen Clinch mit meiner eigenen Partei.

Standard: Seit ungefähr einem Jahr gibt es Rot-Grün in Wien. Wo würden Sie sich mehr grüne Handschrift wünschen?

Van der Bellen: Die Mary (Vassilakou, Anm.) macht ihre Sache gut, aus Details halte ich mich raus.

Standard: Aber was hat sich Ihrer Wahrnehmung nach verändert?

Van der Bellen: Nun, jedenfalls hat auch der grün-fernste SPÖ-Politiker inzwischen erkannt, dass Rot-Grün eine richtige Entscheidung war. Wenn das als selbstverständliche Regierungsoption angesehen wird, wenn sich's ausgeht, dann ist das schon ein Fortschritt. 13 Jahre nach Deutschland.

Standard: Was haben Sie im vergangenen Jahr über die Wiener SPÖ gelernt?

Van der Bellen: Wir hoffen alle, dass es Bürgermeister Häupl gut geht, und dass er noch recht viele Amtszeiten anhängt. Ich weiß nicht, wie es sonst laufen würde. Michael Häupl ist ein Intellektueller, das soll man nicht unterschätzen. Ein Intellektueller, der nicht ohne Erfolg versucht, volkstümlich zu sein. Aber er ist einer der Letzten, die das können.

Standard: Trotz fast 12.000 Vorzugsstimmen sind Sie nach der Wien-Wahl nicht in den Gemeinderat gegangen. Finden Sie das rückblickend betrachtet schade?

Van der Bellen: Sicher hat man solche Anwandlungen. Aber sie sind müßig. Ich habe mich so entschieden, und meine Arbeit ist sinnvoll und interessant. (Andrea Heigl, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 29.10.2011)