Die Gründer von Diaspora.

Foto: Diaspora

In letzter Zeit habe ich mir gelegentlich vorzustellen versucht, wie die Sitcom Seinfeld wohl aussehen würde, wenn es damals Facebook schon gegeben hätte. Die sozialen Orte dieser Serie - Jerrys ja mehr oder weniger öffentliches Wohnzimmer und das Cafe an der Ecke (beides typische "hangouts") - sind es ja genau, die durch das technische Kommunikationsmittel unter Druck geraten sind. Andererseits stellen sich beim Leben im sozialen Netzwerk ständig genau die Art von Fragen, die in ihren "analogen" Entsprechungen in Seinfeld verhandelt wurden. Einer der wichtigeren Facebook-Begriffe - "unfriend" - wurde in Seinfeld vorweggenommen, wo entsprechende Wortprägungen ("un-vite", "de-gift") eine prominente Rolle spielen. Zugleich haben wir aber hier den Fall eines gesellschaftlichen Phänomens, zu dem es nicht so leicht eine Comedy geben kann - nicht zuletzt deswegen, weil Vieles in Zusammenhang mit Facebook überhaupt nicht witzig ist.

Ich will deswegen ein paar meiner eigenen, aktuellen Probleme mit dem Netzwerk beschreiben, sollte dazu aber vorausschicken, wie es um mich da drinnen im Moment steht. Ich habe gerade 161 Freunde, das wird nicht lange so bleiben, sollte sich aber nur langsam verändern. 161 Freunde nach drei Jahren bei FB bedeutet: ich musste eine ganze Menge Anfragen ablehnen, fast durchweg von Leuten, mit denen ich persönlich noch nicht zu tun hatte. Mit allen diesen 161 Freunden verbinde ich etwas Spezifisches. Fast alle von ihnen nützen das Netzwerk auf ein originelle Weise, auf eine Weise, die ihnen entspricht und in der ich sie wiedererkenne, und zwar durchaus in vielen Fällen als "Spieler" ihrer sozialen Rollen im Netzwerk, zum Teil sogar als genuine "Stars", die mit diesen Formen besonders viel anfangen können. Bilder und Links weiß ich ab und zu zu schätzen, aber in erster Linie ist FB für mich ein Redemedium - ich mag es, wie die "Statusmeldungen" das Genre des Alltagsaphorismus wiederbelebt haben, wie in den Kommentaren das Geistreiche neben dem Gelaber existiert. Und ich mag es, zu wissen, wo die Freunde gerade sind, und zwar ohne dass sie sich durch ihre Telefone orten lassen. Sie schreiben es auf, und ich nehme Notiz davon.

Nun ist aber eine Änderung eingetreten, die mich massiv stört. Neuerdings gibt es Hauptmeldungen und "weitere Meldungen", ohne dass es mir bisher gelungen ist, die genauen Kriterien des Unterschieds herauszufinden. Ich habe allerdings den Verdacht, dass man sich bei den Hauptmeldungen nach vorn drängen kann - durch eifriges Statusmelden. Das wäre also wie im richtigen Leben auch: wer mehr quatscht, wird wichtiger, bis er oder sie riskiert, "weggeschaltet" zu werden.

Natürlich ist mir klar, dass FB auf diese Weise den Leuten aus der Patsche helfen will, in die es sie selbst geführt hat. Denn zuerst wird man ja geradezu im Stakkato dazu angehalten, so viele Freunde wie möglich zu sammeln, und wenn man dann den Überblick verloren hat, muss man wieder von vorn anfangen: wen abonniere ich, wen nur teilweise, wen nicht? Und ganz beiläufig taucht hier die Unterscheidung zwischen allgemeiner Öffentlichkeit und privaten Kreisen wieder auf, die ich doch schon getroffen hatte, als ich Freunde ausgewählt habe, von denen ich wiederum hoffte, dass sie an meinen Meldungen das Interesse haben, das ich an ihren habe.

Facebook hat ein Interesse daran, dass unsere Kreise groß sind, so groß wie möglich; und eine Weile hat es vielen von uns den Eindruck vermittelt, dass das auch unser eigenes Interesse wäre. Das konnte nicht lange gutgehen. Das Netzwerk, das ich als Strom von Meldungen mochte, gleicht nun plötzlich mehr einer Nachrichtensendung, die Aufmacher und Nebenmeldungen kennt und sich dabei auf Quoten beruft, deren Zustandekommen nur schwer nachvollziehbar sind. Die vielen Umstände, die mir das jetzt wieder bereitet, das alles zu durchschauen, die entsprechenden Einstellungen zu setzen etc., haben es mit sich gebracht, dass ich jetzt doch sehr deutlich an einer Alternative interessiert bin.

Diese existiert auch schon, allerdings macht das die Sache nicht leichter. Es gibt nämlich zwei Alternativen. Die eine ist Google+, in das vor einigen Monaten einige für mich wichtige Freunde sofort ausgewandert sind, sodass ich ihnen nun dort "folge", ohne dort selbst viel zu posten, weil ich mich selbst nicht als umgezogen betrachte. Google+ hat in etwa den Effekt, den der Protestantismus seinerzeit gehabt haben muss: plötzlich gibt es neben der alleinseligmachenden Religion eine zweite, nach der klassischen Säkularisierungsthese müsste das zur langfristigen Abschaffung beider führen. Dann müssten wir uns, um im Bild zu bleiben, aber noch auf 500 Jahre Gegenreformation bei FB einstellen, und in ungefähr 400 Jahren auf die Erklärung der Unfehlbarkeit Marc Zuckerbergs.

Google+ gilt einigen Freunden, um in andere Bilder zu wechseln, als "Salon", während FB eine "Mall" ist (siehe auch Ekkehard Knörers Sozialmedienkunde. Was jetzt noch Google+ soll in unserem aktuellen Heft 11) - für mich liegen die Unterschiede im Detail, einen prinzipiellen vermag ich nicht zu sehen.

Die zweite Alternative wäre für mich die einzig plausible, doch mit Diaspora stehe ich vor einem Rätsel. Niemand will dort hin, auch nicht die Freunde, von denen ich eigentlich dachte, dass sie aus politischen Gründen dieses Netzwerk "von unten" bevorzugen müssten. Auf Diaspora habe ich fünf oder sechs Freunde, ich zahle sogar eine kleine, monatliche Dotation, um die Server am Laufen zu halten, doch ich sehe nicht, dass sich da noch irgendeine Auswanderungsbewegung aus FB hin mobilisieren lassen könnte, geschweige denn, dass wir an der weiteren Gestaltung aktiv mitarbeiten würden.

Das finde ich schade, denn auf Diaspora würde ich sogar so etwas wie eine "Chronik" anlegen - so etwas suche ich nämlich tatsächlich, einen halböffentlichen Ort für meine Texte, meine Bilder, meine Spinnereien und meine durchaus diversen Projekte. Vermutlich kam Diaspora ungefähr die drei Jahre zu spät, die ich inzwischen auf FB zugebracht habe, und die dort zu einer kritischen Masse geführt haben, aus der die Leute, wenn, dann eher wieder in die analoge Welt aussteigen als in ein anderes Netzwerk.

Ich hatte währenddessen nie das Gefühl, dass irgendjemandem von uns die richtige Welt abhanden gekommen wäre. FB war immer eine gute Ergänzung, ein eigentlich großartiges Instrument, das ich zudem auch immer als Trainingsgelände für ein Leben in der vernetzten Welt empfand (meine Regeln, auch nie ganz dogmatisch eingehalten: nie nach rechts schauen; nie etwas "liken"; FB auf einem eigenen Browser). Jetzt bin ich aber gerade gespannt, ob das einfach so weitergehen kann, oder ob das Unternehmen nicht doch schon lange viel zu weit gegangen ist. Kann ich wohl nur von drinnen mitverfolgen. Klassisches Beobachtbarkeitsdilemma. Auf diesen Text werde ich per Meldung verlinken. Ob es eine Hauptmeldung wird? Hängt von meiner Quote ab. Sollte es aber nicht.