Zur Mittagspause wird diese Tür geschlossen. Unabhängig davon, wer sich noch im Raum aufhält.

Foto: An Yan

Meine chinesischen Sitznachbarn hatten wesentlich weniger Probleme mit ihren Dokumenten als ich.

Foto: An Yan

Behördengänge sind natürlich keine chinesische Besonderheit und Nicht-EU Bürger müssen in Österreich oft noch mehr Hürden überwinden als eine ausländische Studentin in China. Doch in diesem Land mit einer starken Regulierungs- und Behördentradition habe ich seit meiner Ankunft manchmal das Gefühl, dass ich nur von einem Amt zum nächsten laufe. So unumgänglich Behördengänge wegen jeder Kleinigkeit sind, so mühsam, umständlich und manchmal unheimlich sind sie für alle Beteiligten. Meine letzten Behördengang absolvierte ich, um einen chinesischen Meldezettel zu bekommen.

Jeder, der sich länger als 24 Stunden an einem Ort aufhält, muss sich bei der örtlichen Polizeistation melden. Wenn man in einem Hotel wohnt, dann übernimmt dieses die Anmeldung. Normalerweise überprüft das aber niemand, und ich war während meiner Reisen kaum in Hotels und noch nie irgendwo in China gemeldet. Alleine die Vorstellung, freiwillig auf eine Polizeiwache zu gehen, ist befremdlich. Berichte von Medien und chinesischen Freunden über den Missbrauch der Polizeigewalt in China lassen mich auch nicht gerade euphorisch werden. Aber ich habe keine Wahl, ohne Meldezettel kann mein Visum nicht ausgestellt werden. Außerdem haben gerade Ausländer im Gegensatz zu Chinesen sehr viel weniger von der Polizei zu befürchten.

Ausländer = Ärger

Die zuständige Polizeistation ist ein schlichter Raum, der mit Bekanntmachungen zugekleistert ist. Sieht also zunächst aus wie jede österreichische Polizeistation. Zwei Reihen fest montierter Plastikstühle sind der einzige Hinweis dafür, dass man sich hier länger aufhalten könnte. Sofort werde ich von zehn Augen fixiert, zehn Augen, die einander sofort Botschaften zurufen: Mach du das! Nein, du! Ich musste schon beim letzten Mal!

Ausländer sind in öffentlichen Institutionen wegen der zu erwartende Sprachhürden nicht gerne gesehen. Die chinesische Regierung hat in den letzten Jahren viele Englisch-Unterrichtkampagnen gestartet, doch die meisten Polizisten in "meiner Station" scheinen zu alt zu sein, um diese mitbekommen zu haben. Außerdem können viele Chinesen dieser Generation keine europäische Schriftzeichen lesen oder geschweige denn schreiben. Eventuelle Fehler und die mühsame Kommunikation bedeuten immer gleich Ärger für denjenigen, der die Akte bearbeitet. Die Beamten in der Polizeistation sind offensichtlich nicht gerade begeistert über meine Anwesenheit.

Eingesperrt

Eine Frau winkt mich dennoch vor ihren Schreibtisch und fragt mich, was ich will. "Ich wohne jetzt hier,...." "So, so. Geben Sie mir mal Ihren Pass." Sie blättert drin rum, sucht nach irgendwas, das sie lesen kann. Beim chinesischen Visum bleibt sie stehen. Sie mustert erst das Visum, dann mich sehr lange, und ich werde langsam nervös. "Wo wohnen Sie? Was machen Sie hier?" Ich antworte und gebe ihr meinen Mietvertrag, sie fragt mich nach etwas, was ich nicht verstehe. Dann ruft sie die Nummer auf dem Mietvertrag an und fängt an, sich mit dem Vermieter zu streiten. Es wird Zeit für die Mittagspause. Langsam leert sich der Raum, und plötzlich bin ich alleine mit ihr. Dann verlässt auch sie kommentarlos den Raum und schließt eine massive Gittertür hinter sich. Ich bin vollkommen alleine in einer chinesischen Polizeistation eingesperrt, und ich muss an die vielen Berichte über willkürliche Verhaftungen in China denken. Vielleicht ist in meinen Akten vermerkt, dass ich Journalistin bin? Vielleicht sind sie darüber nicht erfreut? Die Situation fühlt sich so sehr nach einem schlechten Film an, dass ich trotz zunehmender Nervosität fast lachen muss.

Doch noch ein Happy End

Als sie nach endlosen Minuten wiederkommt, bin ich sehr erleichtert. Sie lässt sich dagegen nichts weiter anmerken, wahrscheinlich hat sie nur schnell Mittag gegessen. Sie ruft erneut beim Vermieter an und streitet weiter. Die Nummer sei falsch, etwas fehle. So könne sie die Ausländerin nicht anmelden, stellt sie mit Blick auf mich fest. Nach endlosen Verhandlungen wird plötzlich die Entscheidung verkündet und mir in Form eines lächerlich billig aussehenden Zettels ausgehändigt: Ich bin ab sofort in Kunming gemeldet, wohne offiziell in China, auch wenn der Meldezettel noch schäbiger aussieht als Flugtickets von Ryanair. Sie öffnet die Gittertür für mich. Triumphierend lege ich den Fetzen Papier in meine Mappe und sie schließt die Tür hinter mir: Wir haben es beide überstanden. (An Yan, 27. Oktober 2011, daStandard.at)