Hilfe, ich bin Papst - Kardinal Melville (Michel Piccoli, Mi.) benötigt zur Bewältigung dieser Aufgabe bald die Hilfe eines Psychoanalytikers.

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Die Kardinäle versammeln sich in der Sixtinischen Kapelle. Das Rot ihrer prächtigen Soutanen kontrastiert mit den prächtigen Wandgemälden. Sie haben eine gewichtige Aufgabe: Der alte Papst ist gestorben, ein neuer muss gewählt werden. Die Kamera hält sich bei einzelnen von ihnen auf, offenbar den Favoriten. Aus dem Off hört man ihre inneren Stimmen, sie beten, dass die Wahl nicht auf sie fallen möge. Als die Kardinäle in Nanni Morettis Komödie Habemus papam zu ihrem Votum kommen, fällt es auf einen Mann, der nicht zufällig Melville heißt wie der Autor von Moby Dick und Bartleby der Schreiber. Gespielt wird er von Michel Piccoli, ein melancholisches Air umweht ihn. Als er auf den Balkon des Petersdoms treten und die Gläubigen begrüßen soll, schafft er es nicht, vom Stuhl aufzustehen.

Der Papst ist ratlos im Angesicht dieser Blockade, die Kardinäle sind ratlos, ein von Moretti gespielter Psychoanalytiker wird konsultiert, doch auch der ist ratlos: Wie soll er seine Arbeit verrichten, wenn beim Vorgespräch mehr als hundert Kirchenmänner zuschauen? Wenn er weder über die Kindheit, die Sexualität noch die Träume seines Patienten reden darf? Wenn ihm unmissverständlich klargemacht wird, dass die katholische Vorstellung der Seele und die psychoanalytische Vorstellung des Unbewussten unvereinbar sind?

Beim geheimen Besuch einer anderen Analytikerin - pikanterweise ist sie die Ex-Frau von Morettis Figur - entkommt Melville seiner strengen Entourage; er vagabundiert nun durch Rom und lernt schließlich eine Theatertruppe kennen, die Tschechows Möwe einstudiert. Im Vatikan wird währenddessen eine Farce inszeniert. Damit niemand die Abwesenheit bemerkt, agiert ein Mitglied der Schweizergarde im Apartment des Papstes als Stand-in, das von Zeit zu Zeit die Vorhänge öffnet und schließt.

Es gibt hinreißend komische Szenen in Habemus papam - etwa die, in der der Psychoanalytiker, den Moretti recht konsequent als eitlen Geck anlegt, die im Vatikan ausharrenden Kardinäle zum Fußballspielen animiert, oder die, in der sie sich im Takt einer weichgespülten Version von Mercedes Sosas Latinohymne Cambia, todo cambia wiegen. Alles, alles ändert sich.

Habemus papam wurde vorgehalten, zu respektvoll mit der katholischen Kirche und dem Vatikan umzugehen, da etwa die Kardinäle als liebenswerte, schrullige alte Herren gezeichnet werden, und das ausgerechnet in Zeiten, in denen immer mehr Details über Kindesmissbrauch in katholischen Einrichtungen an die Öffentlichkeit dringen und in denen der amtierende Papst seinen umstrittenen Vorgänger Papst Pius XII. seligspricht.

Ein solcher Einwand lässt außer Acht, dass die sanfte Subversion und der milde Spott bisweilen viel mehr erreichen als die offene Konfrontation. Unübersehbar kühn an Habemus papam ist, dass Moretti in einer Zeit, der nichts so heilig ist wie die Affirmation, auf den guten alten Schreiber Bartleby aus Melvilles Erzählung vertraut: "Ich möchte lieber nicht."  (Cristina Nord  / DER STANDARD, Printausgabe, 27.10.2011)