Geht es nach dem Gesetz, soll der Anblick von Straßenprostituierten in Wiener Wohngebieten mit 1. November der Vergangenheit angehören.

Foto: Heribert Corn

Wien - Die zwei jungen Frauen im Lokal an der Felberstraße im 15. Wiener Gemeindebezirk haben bislang am wenigsten von der Aufregung um das neue Prostitutionsgesetz mitbekommen - obwohl genau sie ab kommenden Dienstag davon betroffen sein werden.

"Ein neues Gesetz, hm?" Eine der beiden Rumäninnen, etwa 20 Jahre alt, will schon davon gehört haben. Sicher ist sie sich aber nicht. So richtig alarmiert scheint sie auch nicht. Strafen für das Übertreten der Schutzzonen kriege sie so oder so, meint sie resigniert. Ihre Kollegin ist derart verkühlt, dass sie ohnehin nichts anderes zu interessieren scheint, als sich kurz in der Bar des Stundenhotels aufzuwärmen, bevor sie sich wieder mit ihrem dicken Schal und der roten Schnupfennase auf die Straße stellt. 

Keine Ahnung vom Gesetz

Von einem neuen Gesetz hat sie weder etwas mitbekommen, noch würde sie es lesen können. Sie spricht kaum Deutsch, wie die meisten der Prostituierten in Wien: Etwa 95 Prozent sind Migrantinnen oder Asylwerberinnen, für die Sex gegen Geld oftmals die einzig legale Möglichkeit darstellt, in Österreich zu arbeiten.

Dass sie ab 1. November wohl gar nicht mehr im Wohngebiet stehen dürfen, haben die beiden noch nicht erfasst. Aber die bisherigen Strafen, fragen sie bestimmt, die werden doch fallen. Denn das haben sie schließlich gehört, mehrfach. Ein nicht unwesentlicher Punkt, hat doch die eine oder andere Strafen in der Höhe von bis zu 30.000 Euro angesammelt.

Wer weiß was?

Die Verunsicherung ist bei Frauen wie Betreibern groß. Bei Politikern und NGO-Sprechern der Steuerungsgruppe, bestehend aus Vertretern der SPÖ, den Grünen, Beratungseinrichtungen, der Polizei und Magistratsabteilungen, ebenso. Ob es nun zu einer Vollamnestie kommt oder nur die Strafen der vergangenen 14 Tage getilgt werden, ob es, wie vereinbart, Erlaubniszonen geben wird - genau scheint das im Moment niemand sagen zu können.

Wo also sollen die etwa 200 Prostituierten ab Dienstag stehen? Wenige Tage vor Inkrafttreten des Gesetzes ist vieles noch offen und einiges möglich. Hinter verschlossenen Türen wird bis zum Schluss um jedes Detail gezankt. Dass es so zäh würde, hätte sie nicht gedacht, erzählt die grüne Gemeinderätin Birgit Hebein. Heute, Donnerstag, sollen fünf Zonen nicht festgelegt, aber zumindest empfohlen werden. Ob sie dort straffrei arbeiten dürfen, wissen die Frauen damit aber auch nicht.

Prater als möglicher Standort

Laut Flächenwidmungsplan kommt der Prater infrage. Dort mangelt es jedoch an Infrastruktur, Sicherheit, Hygiene. Bei der Ausübung im Auto, wie Frauenstadträtin Sandra Frauenberger (SP) es vorgeschlagen haben soll, droht eine Anzeige wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses. Viele der Frauen haben Angst davor, in einen Wagen zu steigen. "Ich sehe in der Dunkelheit nicht, ob innen der Türgriff fehlt", erzählt eine Straßenprostituierte.

Aber Laufhäuser als Alternative sind teuer: Bei bis zu 140 Euro Tagesmiete und Durchbuchungen für Folgewochen kippen viele in "Blockschulden". Und landen erst recht wieder auf der Straße, um Miete und Provision an die Betreiber zahlen zu können.

Gefahr der Kriminalisierung

Christian Knappik von der Plattform sexworkers.at warnt vor einer Kriminalisierung der Frauen, die durch das Verbot in die Unsichtbarkeit gedrängt würden. Fast jede Nacht patrouilliert er mit seinem Auto an den stadtbekannten Straßenstrichabschnitten, klappert Bars und Hotels ab, ist rund um die Uhr am Handy erreichbar, wenn eine der Frauen Hilfe braucht.

"Sollte der Straßenstrich tatsächlich verboten werden, müssten die Prostituierten auf Bordelle ausweichen, wo die Betreiber die Jüngsten und Hübschesten aussuchen." Der Rest müsse versuchen mit immer noch billigeren Angeboten auf gefährlichen und illegalen Plätzen wie Tiefgaragen, durchzukommen.

Straße zur Selbstbestimmung

Gerade auf der Straße hätten die Frauen Knappiks Meinung nach die größte Möglichkeit zur Selbstbestimmung: Sie zahlten keine Provision an die Hotelbetreiber, und es gäbe kein "Weisungsrecht", wie es bei einem Zuhälter der Fall wäre. Indoor sei die Kontaktaufnahme durch Sozialarbeiter schwieriger, räumt Eva van Rahden von der Beratungstelle Sophie ein. Müssten alle Prostituierten plötzlich auf einem Fleck stehen, drohen zudem ethnische Konflikte und Preisdumping.

Frau Liane, die das "Haus 97" betreibt, hält das Gesetz in der derzeitigen Form für unlogisch. Keiner wolle einen Rund-um-die-Uhr-Strich im Prater. "Das ist doch nicht die Lösung." Die Politik verdamme damit nur die sichtbare Prostitution, schaffe aber Raum für willkürliche Strafen durch die Polizei. Generell hätten sich viele aus der Szene eine Diskussion über die immer noch bestehende Sittenwidrigkeit gewünscht, ohne die stabilere Arbeitsbedingungen möglich wären (siehe Wissen).

"Wie in einem Freiluftbordell"

Alles andere als glücklich ist auch die Bürgerinitiative von der Felberstraße, die sich für ein Verbot in ganz Wien eingesetzt hat. Den Vorwurf, einst billig Eigentum im Strichgebiet gekauft zu haben, um nun durch Verdrängung desselben den Wert steigern zu wollen, weist deren Sprecherin Gabriele Schön zurück.

Vor etwa eineinhalb Jahren sei die Stimmung gekippt. Die Frauen seien zu zahlreich und rund um die Uhr auf der Straße gestanden, "wie in einem Freiluftbordell, es wurde einfach zu viel". Sie habe schlichtweg nicht mehr zusehen wollen, wie sich die Männer tagtäglich am Elend der Frauen bedienten. Die Politik, so Schön, sollte die Illusion vom schnellen Geld nicht auch noch fördern.

Wandel durch Ostöffnung

Die Ostöffnung, so heißt es bei der einen Seite ganz direkt, bei der anderen hinter vorgehaltener Hand, habe den Wandel ins Gewerbe gebracht: Zu billig, zu aggressiv, zu gleichgültig gegenüber den Verordnungen seien sie, die Frauen aus dem Osten.

Erst, wenn die Auswirkungen der neuen Order sichtbar seien, werde über zusätzliche Erlaubniszonen in der Steuerungsgruppe verhandelt. Das Ziel des neuen Gesetzes sei in jeden Fall eine Verlagerung der Prostitution in den Indoor-Bereich, heißt es aus dem Büro von Sandra Frauenberger. (Julia Herrnböck, DER STANDARD, Printausgabe, 27.10.2011)