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Erfolg hängt nicht unbedingt mit dem Intelligenzquotienten zusammen

Foto: REUTERS/Brian Snyder

Ab einem Intelligenzquotienten von 130 gilt man laut dem Verein Mensa als hochbegabt. Offiziell gibt es in Österreich rund 550 Menschen, die diese Anforderung erfüllen, durchschnittlich sind es aber zwei Prozent der Bevölkerung. Haben es Menschen mit hohem IQ leichter im Beruf, haben sie Vorteile bei Bewerbungen und wie reagiert das Umfeld? derStandard.at/Karriere hat mit einigen über Karriereverläufe, Selbstbewusstsein und Schwierigkeiten gesprochen.

Berufsalltag

"Hochbegabte denken schneller als andere und müssen daher lernen, Argumente im Berufsalltag besser vorzubereiten, damit Kollegen auch folgen können. Sonst kann es passieren, dass ihre Ideen nicht wahrgenommen werden", erklärt Renate Birgmayer, die für die Intelligenzforschung bei Mensa Österreich zuständig ist. "Ich musste lernen weniger vorauszusetzen", sagt auch Peter Kemptner, einer der Mensa-Vorstände, und betont genauso wie seine Kollegin, dass er dies ganz fernab von jeglicher Arroganz meine. 

Weniger Geduld als vielmehr Selbstreflexion sei im Alltag gefragt. Ein hoher IQ korreliere nämlich nicht unbedingt mit einem guten Selbstbewusstsein. Eva Lenz kennt das Problem, sie hat hohe Ansprüche an sich selbst: "Ich glaube immer alles auf Anhieb können zu müssen. Das verunsichert mich in jedem neuen Job, denn auch ich als 'Mensianerin' bin eher der Learning by Doing Typ". Die 44-Jährige, die nach einer wahren Job-Odyssee in einer Bank in der Innenrevision arbeitet, hat nun ihren "Traumjob" gefunden. Nur wenige Kollegen wissen, dass sie hochbegabt ist.

Unregelmäßige Karriereverläufe

Typisch für Karriereverläufe von Hochbegabten ist, so Intelligenzforscherin Birgmayer, dass sie in den wenigsten Fällen geradlinig sind. Bei weitem seien nicht alle Menschen mit hohem IQ in Vorstandsetagen oder auf Managerposten vertreten, obwohl sie sehr wohl bei dem ein oder anderen bekannten CEO in Österreich Hochbegabung vermutet. Die Berufspalette sei bunt gemischt, es gibt auch Hochbegabte mit Hauptschulabschluss und Lehrberuf.

"Gemeinsam haben sie, dass sie sich sehr viel weiterbilden. Viele gehen den zweiten Bildungsweg oder üben drei Berufe aus, die nichts miteinander zu tun haben", weiß Birgmayer. Intelligenz ist wie ein Muskel, der trainiert werden will. Der innere Verwirklichungsdrang ist ausgeprägt. Birgmayer selbst ist gutes Beispiel dafür: sie hat ein Mathematik- und ein Physikstudium absolviert sowie ein Teilstudium Psychologie, eine Beraterausbildung gemacht und schon ein EDV-Unternehmen geführt. Außerdem führt sie seit 17 Jahren eine pädagogisch-psychologische Praxis. Ein befreundetes Mensa-Mitglied sei Schneiderin, Yogalehrerin und habe in einem EDV-Beruf gearbeitet. 

Breite an Interessen - Breite an Intelligenz

Warum so viele unterschiedliche Interessen? Viele Hochbegabte brauchen die Herausforderung und Abwechslung. Genau diese fehlende Geradlinigkeit kann aber auch problematisch im Job sein: eine Breite an Interessen ist nicht immer gefragt. "Denn man ist nicht so weit wie jemand, der eine straighte Karriereschiene verfolgt", erklärt Birgmayer. Insofern sei die Idee, Intelligenz mache automatisch erfolgreich, ein Mythos. 

Auch Waltraud Rosner, Direktorin des Österreichischen Zentrums für Begabtenförderung und Begabtenforschung, sieht das Thema Intelligenz und beruflicher Erfolg differenziert. Erfolg hänge nicht unbedingt mit dem Intelligenzquotienten zusammen: "In der Expertisenforschung ist der IQ nicht ausschlaggebend." Ein hoher IQ sei zwar eine "gute Basis", aber "ein schneller Prozessor und ein guter Arbeitsspeicher" im Gehirn reichten noch längst nicht für hohe Leistung aus. Vielmehr spielten Motivation, Selbstvertrauen und Selbstregulation eine große Rolle. "Für uns ist Begabung das gesamte Leistungspotenzial des Menschen. Sowohl kognitive als auch nicht kognitive Fähigkeiten sind notwendig, um überdurchschnittlich erfolgreich zu sein." Rosners Fazit: Im Beruf ist eher Performance gefragt und nicht bloßes Potenzial.

Ähnlich sieht das auch Mensa-Mitglied Robert H.*, er arbeitet als Projektleiter in einer Forschungsfirma. Bei seinem Test zur Mensa-Aufnahme erreichte er einen IQ von 138. "Das liegt innerhalb der obersten ein Prozent." Prahlen will er damit nicht: "Ich kann genug andere Fakten vorweisen, dass ich beruflich etwas kann. Arbeitgeber sollen mich kennenlernen und dann urteilen."

Inkognito in Punkto Intelligenz

Dazu, ob sich eine Mensa-Mitgliedschaft gut im Lebenslauf mache, gebe es unterschiedliche Meinungen, weiß Mensa-Vorstand Peter Kemptner. "Viele fürchten sich vor Ausgrenzung und glauben, sie haben es schwer mit den Personalisten." Manche hielten ihre Mitgliedschaft sogar derart geheim, dass ihnen die Vereinszeitung der Mensa im Postkasten unangenehm ist. "Sie wollen nicht, dass die Nachbarn das mitbekommen." 

Auch Projektleiter Robert H. hängt seinen IQ nicht an die große Glocke - weder beruflich noch privat, weil er Angst davor hat als "schräg" abgestempelt zu werden. Eva Lenz würde es sich ebenfalls "gut überlegen" ob sie die Mensa-Mitgliedschaft in Bewerbungen angibt: "Es wird oft erwartet, dass man als Hochbegabte alles sofort kann."

Entdeckung per Zufall

Ihre Hochbegabung hat Lenz erst mit Ende 30 entdeckt - per Zufall, weil ihre Mutter einen Intelligenztest gemacht hat und sie selbst dann auch. "Das Ergebnis hat mich gestärkt beim Wiedereinstieg nach der Kindererziehung", sagt sie. Im Nachhinein erklärt sie sich damit, warum sie für ihre Matura nur "sehr spartanisch" lernen musste und warum es ihr genügt, für Jusprüfungen das Inhaltsverzeichnis zu lernen und sich an die dazugehörigen Vorlesungsinhalte zu erinnern. Lenz' wahre Leidenschaft ist die Biologie, die sie als Hobby betreibt. Nach der derzeit intensiven Bankfortbildung will sie ihr Jusstudium abschließen, das sie seit Jahren mit Unterbrechungen neben Beruf und Kindererziehung betreibt.

Hochbegabte in der Sonderpädagogik

Nicht immer sieht die Laufbahn von Hochbegabten so positiv aus: Laut Beobachtungen des niederländischen Professors Franz Mönks besteht für hochbegabte Kinder die Gefahr, schon im Kindergartenalter in sonderpädagogische Einrichtungen abgeschoben zu werden und somit auch keine gute Prognose für das Berufsleben zu haben.
Renate Birgmayer weiß aus ihrer pädagogischen Praxis von "mindestens einem tragischen Fall pro Jahr" zu berichten. "Sozial werden diese Kinder oft an den Rand gedrängt, aber auch dadurch, dass sie sich nicht verständlich machen können." Hochbegabung werde in den Schulen noch immer nicht gut erkannt. Besonders problematisch sei das für Kinder, die gleichzeitig Legastheniker sind, ihnen werde häufig Unrecht getan.

Ein Fall bewegt die Intelligenzforscherin besonders: "Eine junge Studentin bedankt sich heute noch bei mir, dass ich ihr insbesondere durch das Erkennen ihrer Hochbegabung ins Gymnasium geholfen und an sie geglaubt habe - sie galt bei den Lehrern als dumm." (Marietta Türk, derStandard.at, 3.11.2011)