Viermal in der Woche, je zwei Stunden, trainiert Christian Pinkernell derzeit mit seinem Handbike. ‟Das ist jetzt nur mehr Hobby-Sport-Pensum.“ Intensiver trainiert hat er noch, bevor er 1992 bei den Paralympics in Barcelona mit dem Renn-Rollstuhl startete. ‟Beruflich bedingt musste ich mit dem Leistungssport aufhören, habe auf das Handbike umgesattelt, fahre aber inzwischen Wettkämpfe.“ Das Reizvolle am Handbike ist, dass er damit mit den Radfahrern mitfahren kann – ‟wenn die halt trainiert sind“, sagt der Niederösterreicher mit den starken Armen. Bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit, die bei rund 30 km/h liegt, kann nicht jeder mithalten.

Mit 19 Jahren hatte Christian Pinkernell einen Verkehrsunfall, bei dem er als Beifahrer aus dem Fahrzeug geschleudert wurde und sich dabei den achten Brustwirbel um 19 Zentimeter verschob. Inzwischen sitzt er seit fast 20 Jahren im Rollstuhl.

Die Motivation, Besonderes zu leisten, hat sich der Wiener Neustädter nicht nehmen lassen. Neben seiner sportlichen Karriere führt er ein Musiklokal, arbeitet seit 1996 in der Rehabranche, berät Ärzte, Pflegepersonal, Therapeuten und hält Vorträge über das Leben im Rollstuhl.

‟Beim Thema Mobilität müssen wir natürlich auch den Rollstuhl selbst anführen“, sagt Christian Pinkernell. Wie wichtig es ist, im richtigen Rollstuhl zu sitzen, zeigt er auch gesunden Menschen, die darüber entscheiden, welchen Rolli die Krankenkasse genehmigt. ‟Wenn ich jemanden, der sagt, welcher Rollstuhl für wen ausreicht, in genau einen solchen Rollstuhl setze, erreiche ich mehr als mit Worten. Ein schwerer Rollstuhl ist eben nicht nur billig, sondern auch unhandlich und erschwert einem das Leben“, fängt Christian Pinkernell an, eine Reihe von Erfolgsgeschichten zu erzählen. Von der Dame, die über die Bewilligungen entscheidet und nach zwei Stunden, völlig ermattet, verstanden hat, warum nicht alle Rollstühle gleich sind. Oder von der jungen Dame, die, um ihr Verständnis zu erhöhen, einmal versuchen wollte, ein paar Stunden im Rollstuhl zu leben. ‟Dass sie Türglocken nicht erreichen konnte, oder beim Einkauf bestimmte Waren außer Reichweite waren, damit hat sie ja gerechnet. Als wir aber einen Kaffee trinken waren und sie auf die Toilette musste, habe ich selbst groß geschaut. Die Toiletten waren im Keller – die Stufen runter. Aufstehen wollte sie nicht, also ließ sie sich von zwei Kellnern in den Keller und wieder rauf tragen. Den beiden hat das aber eh recht gefallen, glaub ich, weil die Dame auch noch schlank und recht fesch war.“

Foto: Christian Pinkernell

Der außerordentlich sportliche Christian bewältigt inzwischen sogar Stufen wenn er wo schnell hinunter muss. Auch im eigenen Lokal fährt er oft lieber über die Stufen, statt seinen Lift zu benutzen. ‟Vor allem, wenn es schnell gehen muss, mache ich das oft.“ Lieber fährt er aber über Rolltreppen. Wie einfach das sein kann, zeigt er auch in Kursen. ‟Wenn man das richtig macht, ist relativ wenig Kraftaufwand dafür nötig.“ Doch immer und überall ist das nicht erwünscht. ‟Ich verstehe es ja auch, wenn etwa in einem Kaufhaus, in dem ein Lift ist, die Sicherheitskräfte darum bitten, diesen auch zu benützen. Ich bin aber auch über die Einkaufszentren froh, in denen ich mit anderen Rollstuhlfahrern das Rolltreppenfahren trainieren kann.“


Generell stehrt Österreich ganz schlecht da, was die Einhaltung baulicher Vorschriften in Hinblick auf Rollstuhlfahrer betrifft, sagt Christian Pinkernell. ‟Wenn du etwa durch den Arlberg-Tunnel fahren willst, musst du aus dem Auto aussteigen und über die ganze Straße gehen, um eine Karte zu lösen. Für einen Rollstuhlfahrer heißt das: Rollstuhl ausladen, sich vom Auto in den Rollstuhl heben, zur Verkaufsstelle und wieder zurück zu fahren, sich wieder ins Auto zu hieven und den Rollstuhl wieder zu verladen. ‟Wenn man den Rollstuhl über sich drüberhebt, muss er leicht und kompakt sein. Rollstühle mit Akkus etwa sind dafür ungeeignet.“ Er selbst, der es ob seiner Kraft auch schafft, sich in einen VW-Bus zu heben, fährt einen Voyager, bei dem hinten die Sitze ausgebaut sind. ‟Da setze ich mich auf den Fahrersitz und stelle den Rollstuhl bei der Schiebetür hinten rein – da kann ich dann auch den Rucksack drauflassen.“ Sein rund zwei Meter langes Handbike verlädt Christian Pinkernell auch selbst. ‟Das ist kein Problem, das Ding wiegt ja nur rund 12 Kilogramm“, meint er bescheiden.

Übung im Verladen hat er ja, war er doch bis zu einem Bandscheibenvorfall im Halswirbelbereich im Außendienst einer Rollstuhlfirma unterwegs und verlud die acht Rollstühle, die er dann auch auslieferte, nicht selten selbst. Inzwischen ist er für Otto Bock beratend tätig und macht für das Unternehmen auch diverse Schulungen.

Foto: Christian Pinkernell

Österreich könne sich ein Beispiel an den Vereinigten Staaten nehmen, sagt Christian Pinkernell, denn ‟die sind ein Schlaraffenland für Rollstuhlfahrer. Da gibt es kein Lokal, das aufsperren darf, ohne dass es komplett behindertengerecht ist. Dass in Österreich gar nicht jeder so umbauen kann, weiß ich aus eigener Erfahrung. Mein Lokal steht in einem Gebäude aus dem 17. Jahrhundert, in das ich einen Plattformlift habe einbauen lassen. Da habe ich schön geschaut – denn da heißt es immer, dass die Geschäftsleute so unterstützt werden – dabei bekommt man die gesamte Förderung in Höhe von 50 Prozent nur dann, wenn alles ÖNORM gerecht ist. Mein Aufzug hat 16.000 Euro gekostet – wenn du dann aber nicht in der Lage bist, etwa in einem alten Haus, ein rollstuhlgerechtes WC einzubauen, kriegst du nur einen Bruchteil. Daher nehme ich es keinem Unternehmer übel, wenn er nicht umbaut, weil es so kompliziert ist und man das Geld dafür nie wieder herein bekommt.“

Worauf er sich schon freut, das sind die Segways für Rollstuhlfahrer, von denen er erste Exemplare auf einer Reha-Messe in Düsseldorf gesehen hat. ‟Damit bist du einem Nichtbehinderten dann quasi gleichgestellt“, begründet Christian Pinkernell seine Freude. ‟Es ist kein Sportgerät, man braucht es nicht unbedingt, aber es ist ein Nice-to-have.“ Ganz anders als die öffentlichen Verkehrsmittel in Österreich. ‟In Wien ist es da ein wenig besser, aber außerhalb von Wien sind Bus und Bahn eine Katastrophe – auch wenn es besser wird. Bei der Bahn musst du dich zwei Tage vorher anmelden – spontan zu reisen hingegen, ist sehr schwer.“

Links:

Backstagebar

Otto Bock

Foto: Christian Pinkernell