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Während über dem schwer zerstörten Reaktorgebäude 3 mittlerweile ein Kran aufgebaut wurde, tauchen bedenkliche Zahlen auf: Der Austritt von Cäsium-137 entspricht der zweitgrößten Freisetzung von Cäsium in der Geschichte der Menschheit - nach Tschernobyl. Bei Xenon-133 wurde durch den Unfall in Fukushima der höchste Wert aller Zeiten verursacht.

Foto: REUTERS/IAEA/Handout

Wien - Die Freisetzung radioaktiver Substanzen aus dem am 11. März bei einem Erdbeben und dem darauffolgenden Tsunami schwer beschädigten japanischen Kernkraftwerks Fukushima "begannen früher, dauerten länger und waren daher größer als in vielen bisherigen Studien und Berichten angenommen". Zu diesem Schluss kommen österreichische Wissenschafter in einer internationalen Studie über die Emissionen des radioaktiven Edelgases Xenon-133 und von Cäsium-137, teilten die Universität für Bodenkultur (Boku) Wien und die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) Wien am Freitag in einer Aussendung mit.

Wie Gerhard Wotawa von der ZAMG erklärte, wurde die Studie vom Fachblatt "Atmospheric Chemistry and Physics", ein Journal der "European Geosciences Union", noch vor der für wissenschaftliche Arbeiten üblichen Prüfung durch unabhängige Experten (Peer-Review-Verfahren) online zur Diskussion gestellt. Die beteiligten Wissenschafter weisen deshalb darauf hin, dass die Studie von den mit der Prüfung beauftragten Personen auch abgelehnt werden könnte.

"Größte zivile Freisetzung in der Geschichte der Menschheit"

Beim radioaktiven Edelgas Xenon-133 geht das Forscherteam von einer Freisetzung von 16.700 Peta-Becquerel aus (1 Becquerel entspricht einem radioaktiven Zerfall pro Sekunde, 1 Peta-Becquerel ist zehn hoch 15, also eine Billiarde Becquerel). "Das ist die größte zivile Freisetzung in der Geschichte der Menschheit, sie übersteigt die Emission von Tschernobyl um den Faktor 2,5", betonen die an der Studie beteiligten österreichischen Wissenschafter Petra Seibert vom Institut für Meteorologie der Boku, Gerhard Wotawa von der ZAMG und Hauptautor Andreas Stohl vom Norwegischen Institut für Atmosphärenforschung (NILU).

Es gebe zudem starke Hinweise darauf, dass die Freisetzung bereits am 11. März 2011 um 6.00 Uhr (koordinierte Weltzeit UTC) begann, also unmittelbar nach dem großen Erdbeben. Für Wotawa deutet das auf eine "relativ frühe Kernschmelze" in dem Katastrophenreaktor hin, wie er betonte. Xenon-133 wird vom Körper weder aufgenommen noch gespeichert und ist daher von geringerer gesundheitlicher Auswirkung. Die Forscher halten aber die Abfolge der Freisetzung für wichtig, um das Unfallszenario besser verstehen zu können.

Auch bei Cäsium zweitgrößter Wert aller Zeiten

Im Gegensatz zu Xenon-133 ist Cäsium-137 wegen seiner Eigenschaften und seiner langen Halbwertszeit von 30 Jahren von großer Bedeutung für die menschliche Gesundheit. Auch hier zeigt die neue Untersuchung nach Angaben der Forscher, dass "die Freisetzungen früher begannen und später aufhörten als in vielen bisherigen Studien angenommen". Die gesamte Emission beträgt etwa 36 Peta-Becquerel. "Das entspricht der zweitgrößten Freisetzung von Cäsium in der Geschichte der Menschheit, beziehungsweise etwa 40 Prozent der beim Unfall in Tschernobyl freigesetzten Menge", so die österreichischen Forscher. Aufgrund der meteorologischen Bedingungen seien jedoch nur etwa 20 Prozent des Cäsiums über Japan, der große Rest über dem Meer niedergegangen. In die USA und nach Europa seien nur geringfügige Mengen gelangt.

Die Wissenschafter haben für ihre Berechnungen die Daten von 1.000 Messungen der Konzentration und Deposition von Radioaktivität in Japan, den USA und Europa herangezogen. Laut Stohl ist das "die bisher umfangreichste Untersuchung". Für ihn besteht "kein Zweifel, dass der Unfall in Fukushima, zumindest bezüglich der Freisetzung von Xenon-133 und Cäsium-137, das bisher signifikanteste Unfallereignis nach der Katastrophe von Tschernobyl ist." (APA)