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Foto: Reuters/Rattay
Hamburg - Wohl kein Schriftsteller des 20. Jahrhunderts ist so konstant mit dem Etikett "umstritten" versehen worden wie der vor fünf Jahren im Alter von 102 Jahren gestorbene Ernst Jünger. Nun ist der 22., abschließende Band seiner Sämtlichen Werke im Verlag Klett-Cotta erschienen. Er enthält Texte dieses "Jahrhundert-Autors" aus allen Phasen seines Lebens. Ein großer Teil sind erstmals gedruckte Nachlasstexte.

Einen "neuen" Jünger wird man auch in diesen Texten kaum entdecken. Doch mögen sie meist bestätigen, was schon in seinen letzten Lebensjahrzehnten in den Urteilen über ihn immer mehr zum Ausdruck gekommen ist: Dass er im Grunde seines Wesens ein unpolitischer Mensch war - und ein Weltbürger. Die Politik war ihm nur bei ganz besonderen Ereignissen Aufmerksamkeit in seinen Tagebüchern wert. Gelegentlich aber sehr pointiert, wie etwa beim Golfkrieg 1991: "Wenn man das faustdicke Unrecht bedenkt, das überall wuchert, fragt man sich, ob man die Orientalen nicht besser unter sich ließe. Aber wann, wo und gegen wen die Amerikaner moralisch werden - das ist eine Frage für sich."

"Merkwürdig, wie Pflanzen und Tiere mich beleben"

Im Vergleich mit der jeweiligen innenpolitischen Situation in Deutschland interessierten ihn seine "subtilen Jagden" auf Käfer und andere Insekten und ihre schließlich auf weit mehr als 30.000 Exemplare angewachsene Sammlung zweifellos mehr. Das Leben der Natur überhaupt fesselte ihn zumindest in der zweiten Lebenshälfte mehr als alles andere.

Nach dem Anblick seltsamer Vögel auf einer Nahost-Reise nennt der damals 65-Jährige im Tagebuch es "merkwürdig, wie Pflanzen und Tiere mich beleben, etwa im Vergleich mit Architekturen, Ruinen und selbst Kunstwerken. Ohne Zweifel wird das als ein Manko notiert. Aber ein Gecko, der an einer verfallenen Mauer spielt, der Efeu, der an ihr blüht, der Wiedehopf auf ihren Zinnen, sie alle sind Anrufe, die stärker erregen als der Turm zu Babel."

"Unangenehme Neuerungen"

Immer wieder bedrückte ihn auf Reisen, wie auch technischer Fortschritt ursprüngliches Leben zunichte machen kann. Da sind etwa die "von Autos verheerten Straßen". Im Gefolge der Elektrifizierung auch in eher abgelegener Gegend "überall Radios in höchster Lautstärke." Unter den "unangenehmen Neuerungen" in einem ihm schon länger bekannten Hotel verzeichnet er 1961 "eine Television - das entwickelt sich zu einer der Hauptplagen unserer Zeit." er Schmerz über den gewaltsamen Einbruch des Neuen gehöre zu den Grundthemen seines Lebens, schrieb der 67-Jährige.

Wichtig waren ihm neben den Begegnungen mit dem Leben in der Natur vor allem die mit Menschen - Gespräche, Erlebnisse. Davon zeugen in diesem letzten der vier Supplement-Bände seiner Sämtlichen Werke vor allem seine sardischen Notizen. Fast hätte im geliebten Sardinien der aus vier Jahren Geschoßagel im Ersten Weltkrieg Davongekommene aber auch einen vorzeitigen Tod gefunden. Beim Schwimmen im Meer am Ende eines Tages im September 1963 im Angesicht des alten Sarazenenturms unweit des Capo Carbonaro kam ein Gewittersturm auf. Eine Strömung, "merklich stärker als ich", trieb ihn ab. Die Kräfte ließen schnell nach. Der alte Krieger schwamm um sein Leben - bis eine isolierte Sandbank Grund unter seine Füße und Rettung brachte - obwohl es der 13. jenes Monats war und ein Freitag noch dazu. (APA/dpa)