Bei der grundsätzlichen politischen Ausrichtung der Eidgenossen ist aber keine Veränderung zu erwarten.

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"So langweilig war Wahlkampf noch nie" , titelte das Boulevardblatt Blick am Abend am 14. Oktober. Langweilig - das bezog sich wohl darauf, dass der schweizerische Wahlkampf 2011 weniger gehässig, polarisierend und emotional war als vor vier Jahren - damals überzog die rechtskonservative Volkspartei SVP das Land mit einer ausländerfeindlichen Kampagne, und ein Aufmarsch ebendieser Partei vor dem Bundeshaus in Bern, dem Regierungssitz, endete in Straßenschlachten und Tränengaseinsatz der Polizei.

"Ein Wahlkampf, so spannend wie selten", konterte die Aargauer Zeitung tags darauf.

Inhaltlich bot der Wahlkampf des Jahrgangs 2011 mehr an politischer Auseinandersetzung rund um die großen Themen wie den Atomausstieg, die Wirtschafts- und Finanzkrise und die Fragen der sozialen Gerechtigkeit. Es war ein Wahlkampf, den keine Partei dominieren konnte - auch nicht die finanzstarke SVP, obwohl sie auch diesmal das Land flächendeckend zuplakatierte mit ihrem Slogan "Schweizer wählen SVP" - doch Parteien und Medien reagierten diesmal gelassener darauf.

Drittelparität

Ein gutes Drittel der Eidgenossen wählt Rot-Grün, ebenfalls ein Drittel Mitte-rechts, das letzte Drittel gibt der SVP ihre Stimme: Dies war 2007 so, und das dürfte auch dieses Mal ähnlich sein, sagen die Meinungsumfragen voraus. Veränderungen dürfte es eher innerhalb der Lager geben, vor allem bei Mitte-rechts. Hier tritt erstmals die Bürgerlich-Demokratische Partei BDP an, die Partei von Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf, welche sich vor vier Jahren von der SVP abspaltete.

Zur Erinnerung: Weil das Parlament im Herbst 2007 den Bundesrat (Minister) Christoph Blocher abwählte und ihn durch seine gemäßigte Parteikollegin Widmer-Schlumpf ersetzte, schloss sie die SVP aus der Partei aus. Zusammen mit anderen enttäuschten SVP-Anhängern, die den "Wir gegen alle" -Stil nicht mehr mittragen wollten, gründete Widmer-Schlumpf die BDP. Diese dürfte nun wohl der SVP einige Sitze abnehmen, vor allem aber Wähler der traditionellen Mitte-rechts-Parteien anziehen: Die liberale FDP und die christdemokratische CVP dürften die neue Konkurrenz zu spüren bekommen.

Zulegen dürften auch die Grünliberalen, die 2007 bei ihrem ersten Auftritt vier Sitze eroberten. Sie zielen auf grün angehauchte, aber bürgerlich gesinnte Wählerinnen und Wähler in der Mitte. Insbesondere der FDP dürften sie einige Sitze abnehmen, denn sie haben sich im Gegensatz zur FDP klar hinter den AKW-Ausstieg gestellt, den Parlament und Regierung nach Fukushima im Grundsatz beschlossen haben und den das neue Parlament noch in einem Gesetz festschreiben muss.

Ein wichtiges Thema im Wahlkampf war neben der AKW-Frage auch die Wirtschafts- und Finanzkrise; sie bot den Sozialdemokraten Gelegenheit, sich als Vertreter der kleinen Leute zu profilieren, die um ihre Löhne und Arbeitsplätze bangen.

Mit einer Erbschaftssteuer-Initiative brachten SP, Grüne und die Evangelische Volkspartei EVP zudem das Thema der sozialen Gerechtigkeit in die Arena. Die SVP ihrerseits nutzte die Wirtschaftskrise, um erneut mit einem Volksbegehren gegen die "Masseneinwanderung" ausländischer Arbeitskräfte anzutreten. Die starke Zuwanderung - eine Kehrseite des relativen wirtschaftlichen Erfolgs der Schweiz: Rundum sind die Arbeitslosenquoten höher - gibt auch den anderen Parteien zu denken; eine scharfe Einschränkung, wie sie die SVP fordert, würde aber die Beziehungen zur EU infrage stellen.

FDP bisher überrepräsentiert

Auch wenn die Resultate bloß Verschiebungen im einstelligen Prozentbereich bringen werden, so ist das Resultat doch wichtig, vor allem für die Bundesratswahl im Dezember. Der Sitz von FDP-Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann, der sich in der Krise lange zögerlich zeigte und dann mit einem großen Ankurbelungsprogramm im Parlament auflief, wackelt, wenn die FDP Wählerstimmen verliert. Denn die FDP ist mit zwei Sitzen in der siebenköpfigen Regierung deutlich überrepräsentiert, während die SVP seit dem selbstverschuldeten Parteiausschluss von Finanzministerin Widmer-Schlumpf nur noch einen Sitz hat und damit rechnerisch zu schwach vertreten ist. Die Rechenspiele um die gerechte Sitzverteilung im Bundesrat werden schon Sonntagabend losgehen. (Klaus Bonanomi aus Bern/DER STANDARD, Printausgabe, 21.10.2011)