Lambeccius (unten) war passionierter Briefeschreiber - heute helfen die Handschriften des Hofbibliothekars den Austausch zwischen Gelehrten nachzuzeichnen und so eine intellektuelle Karte der "res publica literaria" zu erstellen.

Foto: FWF
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Anhand seiner Netzwerke wollen Historiker eine "intellektuelle Geografie" zeichnen.

Peter Lambeck konnte selbst nicht ahnen, dass er als Experte für Content-Management oder Social Networking in das Gedächtnis der Nachwelt eingehen würde – zu seinen Lebzeiten nannte man ihn schlicht Hofbibliothekar.

Lambeccius, wie er sich auch nannte, wurde 1628 in Hamburg geboren und starb 1680 in Wien, wo er die letzten 17 Jahre seines Lebens die Bibliothek des habsburgischen Kaisers Leopold I. betreute. In schlechtem Zustand übernahm er diese 1663, "um sie zu Ruhm und Glorie zu managen", erklärt Vittoria Feola, Leiterin eines aktuellen Forschungsprojekts, das Lambeck als ein Paradebeispiel des Social Networkings auszeichnet.

Denn er verhalf nicht nur der kaiserlichen Bibliothek mit einem ausgefeilten Katalogisierungssystem zu internationalem Ansehen, sondern managte nebenher auch sein eigenes Image – den Katalog der Hofbibliothek benutzte er quasi als Promotionwerkzeug für seinen Ruf. So wurde er zum "bestvernetzten Protagonisten der österreichischen Bibliotheksgeschichte", wie vonseiten des Wissenschaftsfonds FWF, der das Projekt finanziert hat, betont wird.

Dem geht Vittoria Feola mithilfe eines Lise-Meitner-Stipendiums am Department und Sammlungen für Geschichte der Medizin der Med-Uni Wien nach. Die Historikerin von der Universität Cambrige beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Antiquariat und Wissenschaft im 17. Jahrhundert.

Karte der Gelehrtenrepublik

Ihre Forschung über Lambeck stellt Feola in den Kontext einer "neuen wissenschaftlichen Disziplin": Intellektuelle Geografie. Der Anspruch: die Kartografierung der Gelehrtenrepublik.

Analysiert man Wissensstrukturen, "muss die geografische Lage berücksichtigt werden", spricht Feola von einer Lücke in der Geschichtswissenschaft, welche die neue Disziplin schließen soll. Eine Vorreiterrolle nimmt dabei der englischsprachige Raum ein. Feola kooperiert mit den Universitäten Oxford und Stanford, wo es bereits Programme gibt, die mit Informationen über Intellektuelle und ihre Korrespondenzen, Forschungsarbeiten und Erkenntnisse gefüttert werden. Anhand dieser Daten generiert das Programm eine Karte. Ein Art Google Maps der "res publica literaria", also der internationalen Gelehrtengemeinde, wenn man so will.

Begriffsprägend für die junge Wissenschaft war die Konferenz "Intellectual Geography", die vergangenen September in Oxford stattfand. "Sie ist Teil der 'digital humanities'", erklärt Feola, der "digitalen Geisteswissenschaften", ein Fach, das sich damit beschäftigt, wie die Verwendung von Computerprogrammen für geisteswissenschaftliche Forschung gezielt und sinnvoll eingesetzt werden kann.

Für Feola, die auf englische Geschichte spezialisiert ist, ist das zweijährige Lambeck-Projekt ein willkommener Anlass, "Wien in diese Projekte zu integrieren". Denn gerade die für das 17. Jahrhundert so wichtige Gelehrtenstadt Wien fehle auf der intellektuellen Landkarte. Man wisse selbst in Österreich nur wenig darüber, welchen Stellenwert die Stadt innerhalb des europäischen Netzwerks der Eliten einnahm.

Lambeck zeigt jedenfalls, dass vernetztes Arbeiten und Informationsfluss zwischen Wissenschaftern nicht erst seit dem Internet, sondern auch schon zu Zeiten der Habsburger üblich war. Als "passionierter Briefschreiber", der auch Aufzeichnungen über seine Besuche und Einladungen ins Ausland anfertigte, sei er für die Rekonstruktion eines wissenschaftlichen Netzwerks äußerst wertvoll, stellt Feola fest.

Medizinische Experimente

Lambeck pflegte nicht nur Kontakte zu ausländischen Kollegen, auch mit der medizinischen Fakultät Wiens war er gut vernetzt. Das verspricht Hinweise über die Vorgänge im hauseigenen Labor der Hofbibliothek. Auch Lambecks Rolle bei der Erforschung und Erprobung neuer medizinischer Präparate soll geklärt werden - etwa durch die Durchsicht griechischer Rezepturaufzeichnungen, die der Bibliothekar für den Kaiser übersetzte.

Das von den Historikern zusammengetragene Material soll mithilfe von Geografen und Mathematikern in eine Landkarte der intellektuellen Netzwerke einfließen und die Position Österreichs als Forschungsland des 17. Jahrhunderts sichtbar machen. Nicht zuletzt wird damit auch der analoge Wissensaustausch ins digitale Zeitalter überführt. (DER STANDARD, Printausgabe, 19.10.2011)