Larve des marinen Ringelwurms Platynereis unter dem Lichtmikroskop. Die Tiere werden angetrieben von einem schlagenden Band von Flimmerhärchen (Zilienband).

Foto: Markus Conzelmann, Arbeitsgruppe Gáspár Jékely, Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie

Wissenschafter haben in tierischem Plankton Einblicke in ein Urstadium in der Evolution des Nervensystems erhalten. Bei den Larven des Ringelwurms Platynereis stellten Forscher des Max-Planck-Instituts für Entwicklungsbiologie in Tübingen eine Reihe von Signalstoffen fest, die über das Nervensystem die Schwimmtiefe der mikroskopisch kleinen Lebewesen regulieren. Grundlage dafür sind einfache Schaltkreise der Nervenzellen.

Viele Tiere bewegen sich mit Muskeln fort. Kleine Meerestiere nutzen jedoch oft Zilienhärchen zum Schwimmen oder Kriechen. Dieser Fortbewegungsart ist evolutionär wesentlich älter als die Fortbewegung mit Muskeln und ist bei Meeresplankton sehr weit verbreitet. Die Larvenstadien vieler wirbelloser Meerestiere sind Teil dieses Planktons, zu dem neben den Ringelwurmlarven beispielsweise auch Larven von Schnecken, Muscheln und Seesternen gehören.

"Wie die Nervensysteme des Meeresplanktons Zilienbewegungen regulieren, ist immer noch weitgehend unbekannt, da intensiv erforschte Modellorganismen wie die Fruchtfliege Muskeln als Basis ihrer Fortbewegung benutzen", sagt Gáspár Jékely. Mit seiner Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie hat er in Zusammenarbeit mit Thomas A. Münch vom Werner-Reichardt-Zentrum für Integrative Neurowissenschaften in Tübingen das Nervensystem der Larven des Meeresringelwurms Platynereis dumerilii näher untersucht.

Das Zilienband dient den Platynereis-Larven im Meerwasser als Schwimmmotor: Bei schnellem dauerhaften Schlagen der Zilien schwimmen die Larven aufwärts, stoppt die Schlagbewegung, sinken sie. Diese Larven nehmen verschiedene Umgebungsbedingungen wahr, beispielsweise reagieren sie auf Schwankungen der Temperatur, des Lichteinfalls und des Nahrungsangebots und ändern entsprechend ihre Bewegung in der Wassersäule. Um mehr über die Regulation dieses Verhaltens zu erfahren, analysierten die Tübinger Forscher die Gene von Platynereis. Sie entdeckten mehrere neuronale Signalstoffe, sogenannte Neuropeptide, in ihren Gen-Datenbanken. Außerdem fanden die Forscher heraus, dass diese Neuropeptide in einzelnen sensorischen Nervenzellen der Larve produziert und direkt am Zilienband freigesetzt werden.

Zilienschlag durch Sinnesinformationen gesteuert

Die Forscher zogen daraus den Schluss, dass diese Nervenzellen Sinnesinformationen direkt an die Zilien weiterleiten. Einige dieser Neuropeptide haben Einfluss auf die Schlagfrequenz der Zilien, andere auch auf die Häufigkeit des Stillstands der Zilien. Dadurch konnten die Forscher die Auf- und Abwärtsbewegungen freischwimmender Larven steuern und deren Schwimmtiefe in der Wassersäule ändern.

"Wir haben dabei entdeckt, dass die verantwortlichen Nervenschaltkreise ungewöhnlich einfach aufgebaut sind. Die sensorischen Nervenzellen haben nämlich zugleich auch motorische Funktion, das heißt sie geben den Impuls zur Bewegung direkt an das Zilienband weiter", berichtet Markus Conzelmann vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie, der Erstautor der Studie. Von der nervösen Steuerung der Muskelbewegung seien solche einfachen Verschaltungen überhaupt nicht bekannt. "Erstaunlich war außerdem, dass wir nicht nur ein Neuropeptid gefunden haben, das an einem solch einfachen Schaltkreis beteiligt ist, sondern gleich elf verschiedene."

Urformen von Nervensystemen

Nach Ansicht der Wissenschafter liefert diese Entdeckung einen Einblick, wie Nervensysteme in einem frühen Stadium der Evolution ausgesehen und funktioniert haben könnten. Darüber hinaus könnten diese Erkenntnisse auch für andere Bereiche der Meeresbiologie von großem Interesse sein: "Nun haben wir ein geeignetes Modell dafür, die Regulation der Schwimmtiefe im Meeresplankton weitergehend zu erforschen. Da das Schwimmverhalten von Plankton für die Verbreitung und das Überleben tausender Meerestiere ausschlaggebend ist, kann unsere Forschung auch für die Meeresökologie relevant sein", erklärt Gáspár Jékely. Er möchte in weiteren Studien untersuchen, welche Nervenzellen genau die einzelnen Sinnesinformationen wie Wasserdruck, Temperatur oder Salzgehalt wahrnehmen. (red)