Gedankengut, das hoffähig geworden ist: Thema Ausländer im Wiener Wahlkampf 2008.

Foto: Matthias Cremer/STANDARD
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... kreiden sie ihr Unfähigkeit an. Die Europäische Wertestudie muss als Alarmzeichen gelesen werden.

Wien – Noch ist es gewissermaßen ein Vorbeben in der österreichischen Gesellschaft, das da spürbar wird. Aber die Verschiebungen und Verwerfungen, die der Wertekanon, die Gefühls- und Stimmungslage der Bevölkerung in den vergangenen zwei Jahrzehnten erfahren haben, legen einen Schluss nahe: Gefahr ist im Verzug, und die Politik hat nicht mehr viel Zeit zum Gegensteuern.

Ein internationales Forscherteam hat die Entwicklung in Österreich im europäischen Vergleich untersucht. Basis ist die Europäische Wertestudie (EVS), die erstmals 1981-1983 durchgeführt wurde. Österreich beteiligte sich daran zum ersten Mal 1990 und seither zweimal, 1999 und 2008. Die Ergebnisse des Langzeitvergleichs liegen jetzt auch in Buchform* vor. Sie werden am Donnerstag in Wien vorgestellt.

Erhoben und untersucht wurden Werthaltungen zu Politik, Religion, Arbeit, Familie, Migration und Stadt/Land. Für die Wertestudie 2008 haben dazu 45 Länder im Zeitraum von 2008 bis 2010 repräsentative Umfragen durchgeführt. Insgesamt nahmen 67.774 Personen zu 136 Fragen Stellung. Österreich präsentierte seine Ergebnisse bereits 2009. Ein Vergleich mit dem übrigen Europa wurde aber erst jetzt möglich.

Und der fällt in zentralen Bereichen beunruhigend aus. Im Nein zu allem "Fremden" – Zuwanderer, Minderheiten, Randgruppen – steht Österreich im westeuropäischen Vergleich klar an der Spitze. Damit korreliert eine starke Ablehnung der bereits vollzogenen EU-Erweiterung: Hier nimmt Österreich nach Großbritannien und Finnland Platz drei ein. (Siehe Grafik links.)

Die Wiener Politologin Sieglinde Rosenberger (siehe Interview) vermutet einen zumindest indirekten Zusammenhang zwischen der starken Ablehnung alles Fremden und dem Regierungseintritt der FPÖ im Jahr 2000. Erst danach sei ein deutlicher Einstellungswandel in diesen Bereichen manifest geworden. Da solches Gedankengut nun von einer Regierungspartei vertreten wurde, sei es gewissermaßen hoffähig geworden.

Was andere Entwicklungen in der österreichischen Politik betrifft - Stichwörter Korruption, Reformstau -, so zeigt die Studie eine Schere, die sich offenbar immer weiter öffnet. Die Zustimmung der Bürger zum Prinzip Demokratie ist unverändert hoch, zugleich aber schwindet das Vertrauen in die Arbeit der demokratischen Institutionen, allen voran der Parteien. Dass die Bürger im Problembewusstsein oft viel weiter sind als die Politik, illustriert das in zehn Jahren massiv gesunkene Vertrauen in das Bildungssystem (während jenes in sozialstaatliche Einrichtungen wie das Gesundheitssystem im Europavergleich nach wie vor hoch ist).

Beim Thema Bildung/Erziehung liefert die Studie manch andere Überraschungen. So halten nur 13,8 Prozent der Befragten in Wien Gehorsam für ein wichtiges Erziehungsziel (zum Vergleich: Budapest 42,8 Prozent, Prag 6,6). Das wäre an sich eine gute Basis für zivilgesellschaftliches Engagement. Die Bereitschaft dazu ist in Österreich freilich sehr gering, verglichen mit anderen Ländern, auch wenn grundsätzlich noch immer relativ großes Interesse an der Politik herrscht.

Die Wiener Pastoraltheologin Regina Polak, Herausgeberin des Buches, und Mitautor Dominik Gnirs drücken es in ihren Schlussfolgerungen so aus: "Partizipationsförderung steht als dringliche Aufgabe an ... Insbesondere die Akteure des politischen Diskurses sind hier in die Pflicht zu nehmen, da eine Politik auf fremdenfeindlichem Fundament demokratiegefährdend ist." (Josef Kirchengast, STANDARD-Printausgabe/Crossover, 18.10.2011)