Er steht und singt. Max Raabe begeistert in der  Stadthalle.

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Wien - Da steht er also. Und steht, und singt, und steht, und singt. Ein wenig wippt er vor und zurück, andere Regungen verkneift sich Max Raabe. Nach getaner Arbeit verneigt er sich tief, aber nicht hündisch, parliert über das nächste Stück und lehnt sich bis zu seinem Einsatz an den Flügel, der im Zentrum des Palast Orchesters steht.

Ins Schwitzen gerät er dabei nicht, die Frisur ist bis zum Ende in Fasson, lediglich seine Physiognomie verrät Anteilnahme: Gesenkten Lides empfiehlt er sich in eine Komposition aus dem Berlin der 1920er-Jahre und reimt darin "L'amour" auf ein gekränktes "retour" wie eine Welterklärung. Sein Blick observiert derweil den Saal, deutet nur in leisen Veränderungen Erheiterung oder Gelassenheit an. Meist ist Raabe beides, höflich obendrein.

Vergangenes Wochenende gastierte dieser schwarz-weiße Paradiesvogel an drei aufeinanderfolgenden Abenden in der Wiener Stadthalle F. Der 48-jährige Bariton wurde mit einem Repertoire berühmt, das sich vornehmlich aus der Zeit der Weimarer Republik speist. Früh im Jahr erschien heuer das mit Annette Humpe geschriebene Album Küssen kann man nicht alleine.

Mit zwei Stücken daraus eröffnet er den Abend. Als prominenter Außenseiter schmeichelt er durch Ich bin nur wegen dir hier, dann folgt das Titelstück des Albums, und Raabe ist beim Thema - dem mit den Männern und den Frauen, und dass da seit Anbeginn alles sehr kompliziert sei.

Damit begeistert Raabe ein Publikum von zehn bis 80, im Saal sitzen Hausmeistertypen in Gummizughose neben gelifteten Nancy Reagans aus den Nobelbezirken. Kinder lachen, Damen kichern, Herren machen den Weihnachtsmann. Raabe nimmt das nonchalant zur Kenntnis, ist mit der Wirkung seiner Kunst vertraut. Er wechselt in der Pause das Tuch, später vom Walzer zum Tango, steht durch eine Rumba und pflegt die verschwindende Kunst der Serenade: Schallschutzfenster sind schuld, dass nur noch hoffnungslose Romantiker wie er seine Angebetete unter ihrem Fenster anflöten.

Raabe ist ein exzellenter Unterhalter. Kleine Veränderungen zeitigen große Wirkung, er ist routiniert, aber nicht kokett, die Show lagert er an sein umwerfendes Orchester aus. Dieses liefert sich zwölfköpfig Schaukämpfe, trötet, wenn gefordert, in ein mit Wasser gefülltes Becken (In meiner Badewanne bin ich Kapitän), klatscht ein falsches Ei wirkmächtig in eine Silberpfanne (Ich wollt' ich wär' ein Huhn) oder lässt ihren Brotgeber zur pupsenden Basshupe den Doktor, Doktor um Medizin gegen seine chronische Schüchternheit bieten.

Raabes Ansagen sind kleine Kunststücke zwischendurch, seine Lieder immergrün: Singt er "Ich hab keine Mittel mehr am Mittelmeer", ist das so aktuell wie das Lied von der Krise, das er mit flatternden Wangen pfeift. Contenance verlangt er auch seinem Publikum ab, ein zur Bühne gerufener Wunsch wird mit "Wir arbeiten nicht auf Zuruf" ausgeschlagen - am Ende dann doch erfüllt. Die Höflichkeit, Sie versteh'n.  (Karl Fluch/ DER STANDARD, Printausgabe, 17.10.2011)