Der mit zwei Milliarden Euro Entwicklungskosten teuerste und gewaltigste Wächter über die europäische Umwelt hat sechs Radaraugen: Diese schießen hochaufgelöste Bilder der Erdoberfläche, liefern präzise Oberflächenprofile und können sogar Windbewegungen und Wellenhöhen erkennen. Sie registrieren die Farbe der Ozeane und überwachen Fischereizonen und Küsten, verfolgen die Dynamik der Erdkruste von Vulkanen, Gletscherbewegungen und Erdrutschen. Und sie messen Treibhausgase in Atmosphäre und Troposphäre, bestimmen die Temperatur der Erd- und Meeresoberfläche, liefern Werte für die Klimaforschung.

Der von der Europäischen Weltraumorganisation Esa vor gut einem Jahr in die Erdumlaufbahn geschossene Satellit "Envisat" liefert derzeit die umfassendste Datensammlung zur Umweltforschung, von der Stratosphäre bis zum Meeresgrund. Die Messdaten werden allen EU-Ländern zur Verfügung gestellt, sind Basis für viele entsprechende Umweltforschungsprojekte.

Damit aber nicht genug, seit sich die EU-Mitgliedstaaten im Bereich Umweltforschung der Nachhaltigkeit verpflichtet haben, stecke diese Wissenschaftsdisziplin "im größten Evolutionsprozess, den sie je durchlaufen hat", erklärt Christian Smoliner, Abteilungsleiter für Umweltforschung im Wissenschaftsministerium in Wien. "Dieser ruht auf drei Säulen - einer ökologischen, einer ökonomischen und einer soziokulturellen." Die gesamte Ökosystemforschung müsse daher von punktuellen Einzelprojekten weg und hin zu gesamtwissenschaftlichen Arbeiten, vernetzt mit der Wirtschaft.

Klingt zwar logisch, doch der Teufel steckt im Detail. Smoliner nennt zwei Schlagworte: zunächst die "Interdisziplinarität", das Zusammenarbeiten unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen. "Die Naturwissenschaften liefern ein Verfügungswissen über das, was ist und was machbar wird. Die Geistes-und Kulturwissenschaften sagen uns, was man tun soll." Das funktioniere auch.

Keine Privilegien mehr

Kopfzerbrechen bereitet Smoliner jedoch die "Transdisziplinarität", die Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis. "Hier sind viele Involvierte noch überfordert." Vor allem die Wissenschaft müsse lernen, "dass sie nicht das Privileg hat zu sagen, was wichtig ist und was nicht". Generell jedoch, sagt Smoliner, könne sich die heimische Umweltforschung sehen lassen.

Ein Beispiel ist etwa die Schwermetallbelastung. Zwar habe sich laut jüngstem EU-Bericht der Ausstoß der giftigen Metalle Cadmium, Blei und Quecksilber seit den Neunzigerjahren um 60 Prozent reduziert, dies betreffe aber nur die von der Industrie in die Luft ausgeblasenen Schwermetalle. Nicht jedoch jene, die über andere Abfälle und Altlasten ins Trinkwasser oder sonstwohin gelangen.

Zwei österreichische Studien - eine Vernetzung von universitären und außeruniversitären Forschungseinrichtungen sowie Umweltschützern - sind dem auf den nationalen Grund gegangen: So lag etwa der Bleigehalt im Trinkwasser (ob bleihaltiger Wasserrohre in Altbauten) bei einem Drittel der mehr als 8500 untersuchten Proben über dem von der Weltgesundheitsorganisation festgesetzten Grenzwert von zehn Mikrogramm pro Liter, neun Prozent über dem fünfmal so hohen österreichischen Grenzwert.

Die Konzentration des Schwermetalles in Muttermilchproben von Frauen aus Wien, Linz und Tulln - das von der WHO für den Bleigehalt in Kindernahrung festgesetzte Sicherheitslimit liegt bei fünf Mikrogramm pro Kilo Körpergewicht und Tag - lag jedoch deutlich darunter: mit etwa 0,2 Mikrogramm sogar weltweit am niedrigsten. Der Grund: das seit 1993 geltende Verbot bleihaltiger Kraftstoffe.

Nun weiß man zwar, dass generell weniger Blei (schädigt Nervensystem und die Entwicklung) vorhanden ist, doch damit ist es nicht getan. Nun gilt es, nach weiteren Möglichkeiten zu suchen, die Schwermetallkonzentration noch weiter zu senken. Und zwar - im Sinne einer vernetzten und nachhaltigen Umweltforschung - gemeinsam mit Wirtschaft und Industrie (siehe Artikel unten).

Smoliner nennt ein weiteres Beispiel funktionierender Umweltwissenschaften: die Kulturlandschaftsforschung, ein Projekt, das 2004 abgeschlossen wird. Dabei geht es um Dutzende Themen, vom Klimawandel über die Zukunft ländlicher Regionen, den Zusammenhang von Lebensqualität und Ökosystem bis zur Zerstörung der Umwelt durch die Städte. Jeweils wurde der Status quo erhoben, dann Zukunftsperspektiven entwickelt und schließlich - wiederum gemeinsam von Wissenschaft und Wirtschaft - nach Wegen geforscht, diese Ziele auch zu erreichen.

Laut Smoliner sind derzeit rund 500 Wissenschafter aus 40 Disziplinen in das Gewaltprojekt involviert - 300 an Universitäten, der Rest an außeruniversitären Einrichtungen. Dazu kämen 1500 Partner aus der Praxis - Schulen, Gemeinden, Unternehmen - und Kooperationen mit 40 Staaten.

Ein gewaltiger Output

Erwarteter Gesamtoutput (auch hier zeichne sich die Wissenschaftsevolution ab, denn laut Smoliner hätten einzelne Forschungsberichte für niemanden einen Nutzen): Rund 2000 Publikationen, annähernd 300 Schulprojekte, Seminare und Beratungen (etwa für Politiker), knapp 500 Vorträge (vor allem in Betrieben) sowie mehr als 60 Diplomarbeiten, Dissertationen und Habilitationen. "Und es sind sogar weitere 130 Folgeprojekte entstanden, an denen sich das Wissenschaftsministerium nach Abschluss nicht mehr beteiligt." Bisherige finanzielle Förderung des Projekts: 17,44 Millionen Euro.

Gesamt habe das Wissenschaftsministerium im Zeitraum 1980 bis 2000 (die jüngsten vorhanden Zahlen) für die ökologische Forschung 36,05 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Neben den Kulturlandschaften am meisten für Waldschadensforschung (6,3 Millionen), hydrologische Forschung (5,7 Millionen) und Agrarökologie/Bodenforschung (3,5 Millionen Euro). (Andreas Feiertag/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2.6. 2003)