Slow-Food-Gründer Carlo Petrini liebt Wiener Schnitzel. Jetzt initiierte er einen eigenen Guide für österreichische Wirtshäuser.

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"Mich interessiert gerade diese Nähe Ihres Landes zu verschiedenen Kulturen. So schätze ich eure Knödel, die ich während meines Studiums in Trient kennengelernt habe." (Petrini)

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Standard: Das Buch "Slow Food - Gasthäuser in Österreich" ist eine Premiere. Erstmals wurden nach dem Vorbild der italienischen "Osterie"-Führer die Wirtshäuser eines anderen Landes, nämlich Österreichs, nach Slow-Food-Kriterien beurteilt. Wie sehen Sie das?

Petrini: Es gibt Führer für die USA, Spanien, Großbritannien und andere Länder, aber die sind vermischt mit Hinweisen auf Luxuslokale. Hier hingegen geht es wirklich um die Wurzeln. Also weniger Adressen, aber mehr Zufriedenheit im Alltag.

Standard: Wie sehr berücksichtigen Sie bei Slow Food die Entwicklung zum Verzehr von Produkten aus der Umgebung - was man im Englischen "locavore" nennt?

Petrini: Das wächst und wird wichtiger, auch bei uns in Italien.

Standard: Fühlen Sie sich so einer Bewegung verbunden oder den Vegetariern, den Veganern, die ja alle kritisch zur Nahrungsindustrie und zu Fast Food stehen?

Petrini: Ich denke, wir sind Teile einer Familie - mit unterschiedlichen Nuancen. Im Grunde verteidigen wir alle die Umwelt und alternative Wirtschaftskonzepte. Natürlich hat jeder Vorlieben, der eine das Fleischlose, der andere neue Distributionswege oder solidarischen Einkauf. Wir sind aber in der Verschiedenheit vereint.

Standard: Wer Sie kennt, weiß, dass Sie in Österreich immer vom Schnitzel schwärmen. Ist das nicht ein wenig einseitig?

Petrini (lacht): Viele glauben, der Slow-Food-Chef muss hohe Ansprüche stellen. Doch ich bin äußerst simpel gestrickt. Und außerdem suche ich gerne nach den Unterschieden zwischen dem Schnitzel und der Cotoletta milanese. Die gibt es: Die Cotoletta wird ohne Mehl zubereitet. Wir nehmen Butter statt Schmalz. Auch das Fleisch ist anders. Und was soll's, mir schmeckt's halt so oder so.

Standard: Gut, für Knödel (ital. canederli, Anm.) schwärmen Sie auch. Aber als Österreicher mag man sich da etwas unterschätzt vorkommen. Was fällt Ihnen noch zu den nördlichen Nachbarn ein?

Petrini: Mich interessiert gerade diese Nähe Ihres Landes zu verschiedenen Kulturen. So schätze ich eure Knödel, die ich während meines Studiums in Trient kennengelernt habe. Oder nehmen wir das Gulasch, das ich sehr mag und das aus der ungarischen Kultur kommt. Die Vielfalt der österreichischen, speziell der Wiener Küche begeistert mich also sehr wohl. Die Süßspeisen sind slawisch beeinflusst. Eine "rein" österreichische Küche wäre viel ärmer. Dieses Fischen bei den Nachbarn hat eure Gasthäuser sehr bereichert. Und ich möchte, dass meine Landsleute das wissen, deshalb soll der österreichische Guide auch auf Italienisch erscheinen. Warum? Weil die eigentliche Gastronomie wichtig ist, wenn man ein Land verstehen will.

Standard: Reden wir von Italien. Ich habe den - sehr subjektiven - Eindruck, dass die Küche eine Nivellierung durchgemacht hat, dass man mehr "europäisch" isst und trinkt und überhaupt mehr isst und trinkt; dass die Italiener wie der Rest Europas dicker werden. Wie sehen Sie das als Gründer einer Gegenbewegung?

Petrini: Teilweise stimmt das. Die Globalisierung befördert diese Vereinheitlichung, und zweifelsohne haben die Lobbys der Nahrungsmultis ihre Wirkung gehabt, auch auf die junge Generation. Die Rolle von Slow Food wird darum nur umso wichtiger. Dieses Italien von früher, das hat natürlicherweise eine gewisse Esskultur gehabt; also schien sie den Leuten naturgegeben. Heute muss man sie mit Stolz zurückgewinnen und pflegen. Es gibt tatsächlich bei uns inzwischen Übergewicht sogar bei den Kleinkindern. Die Auseinandersetzung zwischen dem standardisierten und dem traditionellen Essen ist in Italien sehr heftig.

Standard: Sie sind mit Nahrungsmittelmultis wie Lavazza oder Barilla Allianzen eingegangen und dafür kritisiert worden. Was versprechen Sie sich davon?

Petrini: Ich sehe Möglichkeiten, Veränderungen zu bewirken. Wir haben zum Beispiel mit Lavazza ein Projekt lanciert, Kaffee direkt bei ländlichen Erzeugern ohne Zwischenhandel einzukaufen. Das ist nur ein kleiner Schritt, aber Slow Food zieht dem harten ideologischen Kampf eine Politik der kleinen Beeinflussungen vor - wobei unsere eigenen Ideen klar bleiben müssen. Viele dieser Industrien, wenn sie eine Zukunft haben wollen, müssen sich Gedanken machen, was gute, saubere Ernährung bedeutet. Dazu gehört auch, auf die Umwelt zu achten und sozial gerecht zu agieren, also etwa die Erzeuger gut zu bezahlen. Das ist die politische Haltung von Slow Food. Sicher, die Zielgruppe, der wir am meisten verbunden sind, sind die kleinen Erzeuger. Aber das hindert uns nicht, mit allen Dialoge zu führen. Wenn aber Multis ausgesprochen negative Entwicklungen vorantreiben, wie es etwa in Afrika passierte, dann distanzieren wir uns. Ein großer Erzeuger wie Barilla andererseits produziert riesige Pastamengen, aber scheint nicht in problematische Strategien involviert zu sein. (Michael Freund, DerStandard/Album/15.10.2011)