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Umberto Eco recherchiert gern outdoor, hat aber sonst alle dafür nötigen Bücher bei sich zu Hause.
 Eco, 79,  ist neben seiner Schriftstellertätigkeit einer der berühmtesten Semiotiker und Träger von 33 Ehrendoktortiteln. Seinen neuen Roman, "Der Friedhof in Prag", präsentiert er am Mittwoch, 19. 10. , im Gespräch mit Standard-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid und Michael Kerbler (Ö1) im Burgtheater, 20 Uhr.

Foto: APA /epa /JUAN M. ESPINOSA

Reinhold Jaretzky traf Eco zum Gespräch.

Standard: In Ihrem neuen Roman "Der Friedhof in Prag" geht es um Fälscher und Fälschungen. Sie scheinen eine Schwäche für dieses Thema zu haben.

Eco: Ich war tatsächlich immer fasziniert von Fälschungen, übrigens auch von der Lüge. Lügen ist ja ein fundamentaler Aspekt der Kommunikation. Es ist ein Sprechen über mögliche Welten. Über reale Welten kommunizieren kann auch ein Hund. Aber ein Hund kann eben nicht lügen.

Standard: Sie besitzen eine bedeutende antiquarische Sammlung von Fälschungen.

Eco: Ja, es handelt sich um eine semiologisch-kurios-launenhaft-pneumatische Bibliothek. Mit pneumatisch meine ich okkulte Schriften. Es geht mir ausschließlich um Bücher, die Fälschungen sind. Zum Beispiel habe ich ein Buch des Astronomen Ptolemäus, in dem er allerdings nicht gelogen, sondern sich nur geirrt hat. Er glaubte einfach, dass die Sonne sich um die Erde dreht. Einen Galileo, der die Wahrheit gesagt hat, besitze ich dagegen nicht.

Standard: Was gehört zum Wesen einer bedeutenden Fälschung?

Eco: Überraschenderweise sind Fälschungen anfangs oft gar nicht als Fälschungen konzipiert, sondern als Übung des Könnens. So scheinen die Konstantinischen Schenkungen als rhetorische Fingerübung geschrieben worden zu sein. Dann sind sie jemandem in die Hände gefallen, und der hat sie für wahr gehalten. Die Fälschung wird dann zur Fälschung, wenn sie jemand für echt hält. Die Konstantinischen Schenkungen haben praktisch die Macht des Kirchenstaates begründet. Bereits im 16. Jahrhundert wurden sie als Fälschung enttarnt, aber da waren die Würfel schon gefallen. Zu den Fälschungen, die Geschichte gemacht haben, gehören natürlich die "Protokolle der Weisen von Zion".

Standard: Jenes Dokument, das eine jüdische Weltverschwörung beweisen sollte. In Ihrem Roman erzählen und erfinden Sie die Entstehungsgeschichte dieses antisemitischen Pamphlets.

Eco: In den Protokollen ist die Rede von einem Geheimstaat der Juden, der Komplotte schmiedet, um die Weltherrschaft zu erringen. Sie sind eine schwache, ja dumme Fälschung voller Widersprüche. Das zeige ich in meinem Roman.

Standard: Haben die "Protokolle der Weisen von Zion" heute noch eine Relevanz?

Eco: In den arabischen Ländern spielen sie heute noch eine wichtige Rolle, sie sind ein Schlüssel für die antiisraelische Politik und stehen dort in den Bibliotheken.

Standard: Es geht auch um die Paranoia des Komplotts. Liegen für einen italienischen Autor damit politische Bezüge auf der Hand?

Eco: Das Komplott ist eine Einrichtung, die den Menschen hilft, ihre Niederlagen zu rechtfertigen: Es ist nicht meine Schuld, sondern die einer geheimen Macht! Berlusconi stützt seine Propaganda seit Jahren darauf, dass Italien vor den Kommunisten gerettet werden müsse. Und es funktioniert!

Standard: Sprechen wir über den Fälscher Simonini, Ihre Hauptfigur, den Sie zum Autor der "Protokolle" machen. Welcher Typ ist er?

Eco: Mit Simonini wollte ich eine möglichst widerliche Person schaffen. Er verkörpert all die rassistischen Vorurteile seiner Zeit.

Standard: Ihr Roman ist prall von historischen Fakten. Ist Recherche ein wichtiger Teil Ihres Schreibens?

Eco: Ich brauche fünf oder sechs Jahre, um die Recherche für einen Roman abzuschließen. Es ist eine Arbeit, die mir gefällt, ja das Recherchieren war der Grund, warum ich überhaupt begonnen habe, Romane zu schreiben. In diesem Fall ging es um das Paris des 19. Jahrhunderts. Ich bin also nach Paris gefahren, um alte Straßen wiederzufinden.

Standard: Besuchen Sie Bibliotheken für Ihre Nachforschungen?

Eco: Niemals. Ich habe alle Bücher hier zu Hause!

Standard: "Der Friedhof in Prag" ist in Italien sehr erfolgreich. Überrascht Sie Erfolg noch?

Eco: Es überrascht mich immer noch ein wenig. Der Erfolg von "Der Name der Rose" überschattet natürlich alles. Und ich bin überzeugt, wäre der Roman zehn Jahre früher oder später herausgekommen, er hätte niemanden interessiert.
(DER STANDARD, Printausgabe, 15./16.10.2011)