Gerald Hörhan: "Hinter den älteren Leuten gibt es jemanden mit Macht, der 'Nein' sagt, wenn man ihnen etwas wegnehmen will. Die Jugend sagt nicht 'Nein'."

Foto: Edition a/Lukas Beck

"Wenn du den Jugendlichen sagst, 'arbeitet hart, kommt pünktlich zur Arbeit', dann kriegen die ein Burn-Out. Und darauf sind sie dann auch noch stolz. Sie tun lieber chillen, chatten, ein bisserl shoppen, bisserl saufen, Schulden machen." Gerald Hörhan geht in seinem Buch "Gegengift" mit der Jugend hart ins Gericht. Dabei kann man seiner Meinung nach mit Fleiß und den richtigen Investitionen reich werden. Warum Jugendrevolten nicht basisdemokratisch funktionieren, weshalb das Schulsystem "krank" ist, und warum sich sein Verständnis von Punk gegen die Spießigkeit namens ökonomische Dummheit richtet, sagt er im Interview mit derStandard.at.

derStandard.at: Wann haben Sie das letzte Mal eine Krawatte getragen?

Hörhan: Das ist sehr lang her. Ich hatte das letzte Mal eine an, als ich in einem osteuropäischen Land bei einem Bürgermeister war, in einer Hauptstadt.

derStandard.at: Warum kritisieren Sie Jugendliche, die sich adrett kleiden?

Hörhan: Ich bin der Meinung, dass sich diese Leute der Masse anpassen. Wenn die Leute das freiwillig machen, ist es kein Problem. Wenn das aber jemand nur tut, um sich anzubiedern, dann kritisiere ich ihn dafür. Weil das nicht die Zukunft ist, denn der Sachbearbeiter- und Bürokratenjob ist die Vergangenheit. Konzerne, wo es genaue Regeln gibt, wie bei der UBS, wo geregelt ist, welche Farbe die Krawatte haben muss, oder wie hoch die Socken sein müssen, sind dem Untergang geweiht. Weil sie sich nicht um das Geschäft kümmern. Ich habe sehr viele erfolgreiche und vermögende Unternehmer als Kunden, ich habe noch kaum einen mit Krawatte gesehen.

derStandard.at: Sie setzen ja auch immer dieses Punk-Element ein. Ist das eher Attitüde, oder glauben Sie wirklich daran? Punk ist ja in seiner Essenz Anarchie.

Hörhan: Nein, nein. Es gibt zwei Punkte. Erstens gefällt mir die Musik. Ich höre gern Punkrock-Metal. Mir macht das Spaß, man kann echt gut relaxen. Zweitens hat Punk, mehr noch wie Anarchie, mit Rebellion zu tun. Die Ursprünge des Punks waren, dass man gegen die Elterngeneration rebelliert hat. Indem man sich anders kleidet, indem man sagt, die Spießigkeit der Alten will ich nicht. Heute ist die Spießigkeit die ökonomische Dummheit, und dagegen muss man rebellieren. Wir in Europa gehen in einen Abgrund, und die Jugend wird dafür bezahlen.

Viele Unternehmer bezeichnen sich sogar als Punks. Das beste Beispiel ist der Gründer der Billigfluglinie Ryan Air, Michael O'Leary. Der hat das Fliegen billiger gemacht. Ryan Air ist dennoch profitabel. Und der hat auch teilweise auf die Flugzeuge geschrieben, "Fuck Lufthansa, We are Coming".

derStandard.at: Sie bezeichnen die Jugend als "Arschkriecher". Trifft das auf den Großteil der Leute zu?

Hörhan: Es sind nie alle. Aber ein Großteil der Leute ist überhaupt lethargisch. Die wollen gar nicht arbeiten. Wenn du denen sagst, "arbeitet hart, kommt pünktlich zur Arbeit", dann kriegen die ein Burn-Out. Und darauf sind sie dann auch noch stolz. Sie tun lieber chillen, chatten, ein bisserl shoppen, bisserl saufen, Schulden machen. Sie wollen die Gage eines Generaldirektors, aber kein Risiko. Viel Freizeit, wenig Kommandieren, wenig Arbeiten. Aber diesen Job gab es vielleicht vor dreißig Jahren, aber heute sicher nicht.

Und da gibt es ein paar, die was erreichen wollen. Aber viele von ihnen glauben, sie müssen sich an dieses System anbiedern. Die Zeiten, wo man damit erfolgreich sein konnte, sind vorbei. Den Job eines Sachbearbeiters oder eines Ober-Sachbearbeiters kann man heute in Istanbul oder Neu-Delhi viel günstiger erledigen als in Deutschland oder Österreich. Da arbeiten die Leute mehr und kosten weniger.

derStandard.at: Haben Sie hier Ihre eigene Erfahrungen bzw. wie kommen Sie darauf, dass alle so faul sind?

Hörhan: Ich habe viele junge Freunde, ich unterrichte auf der Universität, ich führe regelmäßig Bewerbungsgespräche. Wir geben auch Leuten mit sehr untraditionellen Background einen Job. Wir haben viele Migranten und Leute, die in der Schule durchgefallen sind, in der Firma. Wir haben also Fair-Trade-Leute. Ich bin auch der Meinung, dass Menschen ohne klassischen Background oft die besseren Leistungen erbringen. Leute mit dem klassischen Background sind oft für die moderne Arbeitswelt ungeeignet. Nicht nur schlecht qualifiziert, schlicht ungeeignet.

derStandard.at: Rein mentalitätsmäßig?

Hörhan: Ja, die haben die falsche Einstellung. Sie erwarten: Ich hab viele Ansprüche, ich will nicht viel arbeiten, und muss mich halt brav anpassen. Bei uns muss er sich nicht anpassen. Er muss nur die Leistung bringen. Der Rest ist mir egal. Ob jemand ein Piercing hat oder aufgestellte Haare. Ob Mann oder Frau, welche Hautfarbe er hat, welche Nationalität oder welche Religion er hat, spielt keine Rolle.

derStandard.at: Es sind in letzter Zeit viele Initiativen, die Volksbegehren starten wollen, aus dem Boden geschossen. Es fällt auf, dass sie vor allem von alten Männern und Frauen repräsentiert werden. Warum ist das so?

Hörhan: Weil die Leute zu lethargisch sind. Es muss jemand aus der Jugend sagen, ich streng mich an, ich mach was. Wenn das ein Alter sagt, ist das unglaubwürdig. Wenn die Pensionen gestrichen werden sollen, dann kommen die Pensionistenvertreter von ÖVP und SPÖ in alter Einigkeit und sagen "Niemals, geht nicht". Wenn man sagt, die Eisenbahner sollen mit 70 in Pension gehen und Leute, die im Büro sind, sind keine Schwerstarbeiter, dann stehen im ganzen Land die Züge.

derStandard.at: Wie soll sich die Jugend organisieren, damit sie Rückenwind erzeugt?

Hörhan: Durch wirtschaftliche Macht, Internet und IT. Eines der mächtigsten Tools, das entwickelt wurde, nämlich Facebook, steht in Kontrolle und Eigentum eines 27-jährigen. Mark Zuckerberg hat einen der strengsten Kontrollverträge, wie er Facebook kontrolliert, die es gibt. Auch wenn Facebook mitgeholfen hat, viele Diktatoren ins Wanken zu bringen. Die chinesische Diktatur, genauso wie der Herr Putin oder der Herr Ahmadinedschad, haben Angst vor Facebook.

derStandard.at: In Ihrem Buch kritisieren Sie beispielweise die unibrennt-Bewegung. Kann die Jugendrevolte basisdemokratisch funktionieren?

Hörhan: Nein. Es muss immer Alpha-Tiere geben. Basisdemokratie hat nicht funktioniert und wird nicht funktionieren. Das ist eine Utopie. Es muss immer einen geben, der anschiebt.

derStandard.at: Was halten Sie eigentlich von österreichischen Jungpolitikern wie Sebastian Kurz oder Laura Rudas?

Hörhan: Sagen wir mal so: Es sind bestimmt ganz gute Ansätze dabei. Es sind aber einfach zu wenige. Hinter den Jugendlichen steht keine Lobby. Hinter den älteren Leuten gibt es jemanden mit Macht, der "Nein" sagt, wenn man ihnen etwas wegnehmen will. Die Jugend sagt nicht "Nein". In Frankreich hat die Jugend gegen die Anhebung des Pensionsalters demonstriert. Das bedeutet, dass sie eigentlich gesagt haben, "Ja, ich will keine Pension mehr". Aber wenn man das Pensionsalter nicht anhebt, dann wird für die Jugend nichts mehr übrig bleiben.

derStandard.at: Wenn sich die Jungen mit den Alten solidarisieren, können Sie das nicht verstehen?

Hörhan: Es gibt einen natürlichen Konflikt, den hat es immer gegeben. Die Alten waren spießig und die Jungen wollten etwas anderes machen. Das ist ein fundamentaler ökonomischer Konflikt. Herr Busek hat einmal bei einem Vortrag gesagt: Herr Hörhan, Sie wissen eh, Sie werden alle für uns bezahlen müssen. Ich habe darauf gesagt: Herr Busek, ich glaube nicht, dass das passieren wird. Diesen Konflikt gibt es und er wird jedes Jahr größer, je weniger Geld da ist.

derStandard.at: Sie würden den Generationenvertrag kündigen?

Hörhan: Er wird von selbst gekündigt, weil die Staaten kein Geld mehr haben. Der Generationenvertrag wird wie folgt umgeändert: einzahlen aber nichts mehr herausbekommen.

derStandard.at: Sie fordern also mehr Initiative der Jugend. Am 15. Oktober findet ein Weltaktionstag von Greenpeace, Attac und diversen Gewerkschaften statt. Würden Sie bei so etwas mitmachen?

Hörhan: Als Belustigung und Zirkusveranstaltung vielleicht. Der Attac-Sprecher in Österreich ist ein relativ intelligenter Mensch, nur die Grundregeln, vor allem der Gewerkschaften, sind für mich ein rotes Tuch. Sie vertreten nicht einmal die Interessen der meisten ihrer Mitglieder. Sie vertreten die Interessen einiger pragmatisierter Leute. Ich habe noch keinen Gewerkschaftsfunktionär getroffen, der gesagt hat, Leute wir fordern eine Beteiligung an den Profiten des Unternehmens, damit die Mitarbeiter auch einen Anreiz haben, um sich anzustrengen. Das fordert kein Gewerkschaftsfuzzi. Der fordert nur starr: höhere Löhne, weniger Arbeiten. Aber das geht halt nicht. Das zerstört das Land.

derStandard.at: Wie beobachten Sie die Wall-Street-Proteste in New York?

Hörhan: Ich glaube, es wird wieder nichts ändern. Schauen wir, was in einem Jahr passiert ist: an der Wall Street wird viel Müll gelandet sein, es wird sich genau Null geändert haben, gerade nicht in Amerika.

derStandard.at: Warum gerade nicht in Amerika?

Hörhan: In Amerika ist es mehrheitsfähig, dass jeder ein Gewehr hat, das verabscheue ich. In Amerika ist es nicht mehrheitsfähig, dass jeder eine Gesundheitsversorgung hat. Es regieren ganz andere Systeme, die durchaus fragwürdig sind. Ich bin kein Freund der Waffenlobby. Gewehre werden verwendet um zu schießen, ich bin kein Freund vom Schießen. Aber "every american a gun" wäre mehrheitsfähig. "Every american a health insurance", da hat sich noch kein Präsident durchgesetzt.

derStandard.at: Sie sind wohlhabend, wollen am System was ändern und sprechen von 30.000 Euro, die Sie als Startkapital sehen. Wie soll das reichen, um eine Wohnung anzuzahlen?

Hörhan: Ganz einfach: Eine Einzimmerwohnung in Deutschland, wenn Sie die kaufen, das mache ich für einige meiner Freunde, kostet 60.000 Euro. Sie brauchen 20 Prozent Eigenkapital plus 10 Prozent Nebenkosten. 20 Prozent von 60.000 sind 12.000, mit den Nebenkosten sind das dann ca. 18.000 Euro. Ein bisschen eine Reserve sollten Sie haben – falls der Mieter nicht zahlen will oder etwas zu reparieren ist.

Fest steht, mit 30.000 Euro können Sie eine Wohnung kaufen, oder einen Kebabstand übernehmen; oder wenn sie Steuerberater gelernt haben, eine Steuerkanzlei. Man muss das geschickt strukturieren und ein gewisses Geschäftsgeschick haben.

derStandard.at: Vielleicht sind die Leute zu ungeduldig. Es dauert, bis man tatsächlich reich ist?

Hörhan: Wenn man zu gierig ist ... Gier und Verschwendung und Angst haben die Leute immer dazu gebracht, dass sie Geld verlieren, in der Geschichte war das immer so.

Ohne Disziplin, ohne harte Arbeit, geht gar nichts. Ich habe mein ganzes Leben hart gearbeitet, mein erster Job in Harvard war Computersoftwaretester. Ich habe 9 Dollar die Stunde verdient, bin mit der U-Bahn durchs kalte Boston gefahren. Ich habe das Geld nicht verprasst, hätte mir einen 100.000 Dollar Kredit aufnehmen können, das habe ich aber nicht gemacht, sondern habe mir was angesammelt. Dann habe ich beschlossen, es zu investieren.

derStandard.at: Haben Sie gleich in Immobilien investiert?

Hörhan: Am Anfang habe ich auch viel Blödsinn gemacht, habe mit Aktien gezockt, es war ein Nullsummenspiel. Zu meiner ersten Immobilie bin ich gekommen, da war ich bei einem Schulfreund und wir waren vorglühen und feiern. Um 3 in der Nacht, als alle besoffen waren, ist eine Freundin gekommen und hat gesagt, sie habe ein so großes Problem: ihre Eigentümerin ist pleite und sie will, dass sie aus der Wohnung ausziehen. Ich habe angeboten, die Wohnung zu kaufen, damit sie in der Wohnung drinnen bleiben können. Ich habe verhandelt und die Wohnung zu einem guten Preis bekommen.

derStandard.at: Sie haben in ihrem Buch auch das Schulsystem scharf kritisiert. Was läuft falsch?

Hörhan: Das System als solches ist krank. Lehrer haben keinen Anreiz sich anzustrengen, sie werden auch nicht nach Leistung bezahlt, sondern sie müssen immer stupide jedes Jahr dasselbe unterrichten. Es gibt keine Sanktionen für schlechte Lehrer, keine Anreize für gute Lehrer. Dafür gibt es Bürokraten: Landesschulräte, Lehrergewerkschafter, Elternvertreter. In Wirklichkeit sollte man diese Berufe gesetzlich verbieten. Das sollte man per Dekret untersagen, unter Strafe stellen.

derStandard.at: Sie wollen die Lehrer leistungsgerecht bezahlen, wie soll das ausschauen?

Hörhan: Es muss ein intelligentes Bewertungssystem her. Ich bin für eine Bezahlung, die sich an einer Kombination aus der Leistung der Schüler orientiert und einer Bewertung durch die Schüler und die Eltern. Oder Lehrer bewerten andere Lehrer. In Harvard konnten die Professoren nicht beliebig herumwerkeln. Wenn ein Professor von seinen Studenten regelmäßig schlecht bewertet wurde und es bei den standardisierten Prüfungen regelmäßig schlechte Ergebnisse gab, hat der Probleme bekommen, hat auch rausfliegen können.

derStandard.at: Woher kommt Ihre soziale Ader, dass Sie ihr Wissen jetzt weitergeben wollen?

Hörhan: Unterrichten hat mir immer Spaß gemacht, ich habe schon auf der Uni unterrichtet, als ich selbst noch Student war. Ich bin der Meinung, wenn man etwas Gutes tut, kommt auch etwas Gutes zurück. Mein erstes Buch hat mir viel Positives gebracht. Viele gute Freunde, zwei gute Mitarbeiter und einige gute Kunden.

derStandard.at: Sind Sie glücklich?

Hörhan: Ja! Das was ich mache, macht mir viel Spaß.

derStandard.at: Also macht Geld und Erfolg glücklich?

Hörhan: Ja. Wenn Sie wissen, wie man damit umgeht. Wenn Sie an Verschwendungssucht leiden, Nein. Wenn Sie es gut einsetzen, ja. (Hermann Sussitz, Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 14.10.2011)