Harry Weil (80) sucht im jüdischen Viertel von Hohenems nach Erinnerungen.

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Hohenems - Eine eigenartige Sache sei das, mit ihm und Hohenems: "Ich komme hierher und fühle mich sofort daheim." Harry Weil der seit 1939 in den USA lebt, kommt regelmäßig nach Hohenems zurück, das er als achtjähriger Bub mit seiner Mutter Angelina und seinem Vater Harry Weil sen, dem letzten Kantor der jüdischen Gemeinde Hohenems, auf der Flucht vor den Nazis verlassen musste.

Er sei freiwillig ausgereist, wurde Harry Weil sen. nach dem Krieg von der Gemeinde beschieden, als er die Rückstellung seines geringen Besitzes einforderte. Sein Vater habe mit ihm nie über diese Angelegenheit diskutiert, erzählt Sohn Harry Weil, das letzte noch lebende Mitglied der früheren jüdischen Gemeinde, beim Spaziergang durch das jüdische Viertel.

"Sorry, ich würde euch so gerne zeigen, wo ich gewohnt und gespielt habe", sagt der 80-Jährige, "aber es hat sich alles so verändert." Den Brunnen, an dem sich die Kinder des Viertels trafen, gibt es nicht mehr, das Haus steht nicht mehr. "Nur der Schlossberg steht noch", scherzt der Ranchbesitzer, Cowboy und Steuerberater. "Da ist mein Vater oft hinauf, hat er mir erzählt. Meine Eltern haben aber selten über die Vergangenheit gesprochen", bedauert Harry Weil. Die Mutter, eine in der Schweiz geborene Katholikin, habe manchmal von den jungen Jahren geschwärmt, "aber so lange sie lebte, war alles schlecht, was aus Deutschland kam".

Zu Hause in den USA wurde dennoch Deutsch gesprochen. Harry Weil sen. blieb der alten Heimat aus der Ferne und geschäftlich verbunden, er importierte Vorarlberger Käse in die Vereinigten Staaten.

Ganz große Traurigkeit

Er habe sich oft gewundert, warum die Eltern nicht nach Österreich zurückgekehrt sind "weil sie doch als junge Menschen so glücklich dort waren". Nachgefragt habe er aber nie. "Weil ich gespürt habe, dass da eine ganz große Traurigkeit, eine große Verletzung war", schildert Weil das Dilemma des Sohnes, mit dem Trauma der Eltern umzugehen.

Harry Weil jun. kam schon als junger Soldat der US-Navy zum ersten Besuch nach Hohenems zurück. "Mit Nylons, Zigaretten und Schokolade, das war eine Freude für die Leute hier." Seither kommt er regelmäßig nach Vorarlberg. Zu den Nachkommentreffen, die das Jüdische Museum mit den Amerikanischen Freunden des Museums organisiert, oder zu den Verwandten mütterlicherseits.

Auch Harry Weils fünf Kinder kennen die alte Heimat des Vaters. "Und auch alle meine Enkel sollen hierher kommen, damit sie die Wurzeln ihrer Familie kennen."

Harry Weil sen. bekam für seine Verdienste um den Käsehandel ein Ehrenzeichen aus Österreich, erzählt der Sohn. Am Mittwochabend war es nun an Harry Weil jun., eine Ehrung entgegenzunehmen. Die Stadt Hohenems verlieh ihm den Ehrenring.

Ein seltenes Ereignis, denn man ginge mit dem "politisch sensiblen Thema Ehrungen" sehr sparsam um, sagte Bürgermeister Richard Amann (VP). "Trotz allem, was der Familie Weil angetan wurde, blieb Harry unserer Stadt verbunden", der "Emser in New Mexico" lebe "Liebe und Vergebung vor", würdigte Vize-Bürgermeister Günther Linder (VP) Weil in seiner Laudatio. Harry Weil staunte: "Ich selbst habe ja nichts Bedeutendes geleistet." Er nehme den Ehrenring stellvertretend für seinen Vater und all jene entgegen, welche die jüdische Gemeinde von Hohenems ausgemacht haben, "für all jene, die nicht mehr sind, die gehen mussten". (Jutta Berger/DER STANDARD, Printausgabe, 14.10.2011)