Nach Ergebnissen der Europäischen Wertestudie 2008 liegt der Anteil der bekennenden Atheistinnen und Atheisten in Österreich bei etwa vier Prozent der Wohnbevölkerung. Der römisch-katholische Innsbrucker Diözesanbischof Manfred Scheuer berichtet in einem Exklusivinterview (22. April 2011) für die Tiroler Tageszeitung: "Neueren Untersuchungen zufolge hat der bewusste Atheismus in den vergangenen Jahren gerade auch in Tirol stärker zugenommen als in anderen Bundesländern."

Verwirrung

In der Erzdiözese Wien ist u.a. das Referat für Weltanschauungsfragen für Information und Beratung zuständig: "Unser Aufgabenschwerpunkt sind religiöse Gruppen, (...), Weltanschauungen, sogenannte Sekte(n) und deren Glaube und Lehren." Die durch dieses Referat betreute Website (www.weltanschauungsfragen.at) ist ein gemeinsames "Informations- und Beratungsorgan der Referate für Weltanschauungsfragen der katholischen Diözesen in Österreich." Auch der Neue Atheismus und die Atheistische Religionsgesellschaft in Österreich wird hier kurz dargestellt: "Die Atheistische Religionsgesellschaft in Österreich will mit ihrer Gründung Verwirrung erzeugen. Ca. 80 Mitglieder. (...)".

Gesellschaftlicher Wandel

Werfen wir einen Blick auf eine öffentlich zugängliche Grundlage, auf die sich diese Darstellung und der Hinweis auf die "Verwirrung" stützen könnte. Auf der Website der Atheistischen Religionsgesellschaft ist unter der Rubrik "Konzept" gleich zu Beginn zu lesen: „Derzeit findet ein interessanter gesellschaftlicher Wandel dessen, was und wie 'religiös geglaubt' wird, statt. Als eine Gruppe von Atheistinnen und Atheisten beteiligen wir uns am religiösen Diskurs, setzen uns für eine volle Gleichberechtigung ein und wollen – solange das Religionsrecht so ist, wie es derzeit ist – auf der religionsrechtlichen Ebene ganz konkret erreichen, dass unser religiöses Bekenntnis (siehe § 2 der Statuten, ‚Darstellung der Religionslehre') auch als ein solches staatlich anerkannt wird."

Götter von Menschen geschaffen

Ein Blick in die "Statuten" zeigt dann im Detail, was die Atheistische Religionsgesellschaft glaubt (§ 2): dass nämlich (kurz gesagt) die Menschen die Götter geschaffen haben, sodass alle Götter letztlich immer nur als jeweils von Menschen geschaffene Götter existieren. Ebenfalls kann das konkrete Ziel den Statuten entnommen werden: "Wir (...) wollen, dass dieses religiöse Bekenntnis auch als ein solches in einem umfassenden Sinn in Österreich anerkannt wird" (§ 2), woraus sich "das langfristige Ziel einer vollen Gleichberechtigung und Anerkennung als Religionsgesellschaft in Österreich" (§ 3) ergibt – je nach (politisch gestaltbarer!) Gesetzeslage mit oder ohne Sonderstellung bzw. Privilegien.

Neue Räume der kulturellen Partizipation

Auf der Website ist unter der Rubrik "Konzept" schließlich auch ganz leicht zu lesen: "Wir beteiligen uns damit aktiv am religiösen Diskurs und an der gesellschaftlichen Aushandlung dessen, was in Österreich heutzutage als 'religiös' beziehungsweise als 'Religion' wahrgenommen und angenommen wird. (...) Mit unserer Initiative wollen wir ganz gezielt neue Räume der kulturellen Partizipation eröffnen, unterstützen die Sichtbarmachung eines gesellschaftlichen Wandlungsprozesses und laden alle ein, über die derzeitige Sonderstellung und Privilegierung von Religionsgemeinschaften nachzudenken."

Der Verwirrer

Der Text des Referats für Weltanschauungsfragen schreibt hingegen der Atheistischen Religionsgesellschaft zu, "mit ihrer Gründung Verwirrung erzeugen" zu wollen. Ein "Verwirrer" ist in der geistlichen Tradition der römisch-katholischen Kirche ganz besonders einer: nämlich der Teufel. Wird die Atheistische Religionsgesellschaft in dieser knappen Darstellung durch eine Dienststelle der Erzdiözese Wien also gewissermaßen verteufelt? Als theologisch Interessierte wollen wir nicht so recht glauben, dass das religiöse Bekenntnis der Atheistischen Religionsgesellschaft in diesem Zusammenhang völlig unter den Tisch gekehrt werden sollte; ist es nicht im Sinne genau dieser "Information und Beratung" vorteilhaft, die Atheistische Religionsgesellschaft (und vielleicht auch sich selbst) kritisch und genau wahrzunehmen und auch entsprechend darzustellen?

Papst Benedikt XVI. hat ausdrücklich betont: "Vor allem aber ist mir wichtig, dass auch die Menschen, die sich als Agnostiker oder als Atheisten ansehen, uns als Gläubige angehen. Wenn wir von neuer Evangelisierung sprechen, erschrecken diese Menschen vielleicht. Sie wollen sich nicht als Objekt von Mission sehen und ihre Freiheit des Denkens und des Wollens nicht preisgeben. Aber die Frage nach Gott bleibt doch auch für sie gegenwärtig, auch wenn sie an die konkrete Weise seiner Zuwendung zu uns nicht glauben können" (Ansprache beim Weihnachtsempfang für das Kardinalskollegium und die Mitglieder der römischen Kurie sowie des Governatorats in der Sala Clementina des Apostolischen Palastes am 21. Dezember 2009).

Lumpensammeln

Wie wichtig der Dialog ist, schreibt auch der an der Universität Salzburg lehrende römisch-katholische Fundamentaltheologe Gregor Maria Hoff (derzeit Professor für Fundamentaltheologie und Ökumenische Theologie): "Theologie kann nicht darauf verzichten, sich argumentativ ins Spiel zu bringen, Missverständnisse zu klären. (...) Eine aufmerksam reagierende, zugleich eingreifende, selbstbewusst korrigierende und korrekturfähige Theologie bleibt also nicht bloß defensiv. Sie bringt sich ins Spiel. Und genau das verlangt jene Kontextualität, unter deren Vorzeichen sich die nachkonziliare Theologie entwickelt hat. Eines ihrer wesentlichen Kennwörter: Dialog. Das ist der theologische Auftrag unserer Zeit. Damit wird der Theologie allerdings einiges zugemutet. Sie erscheint mithin als 'Lumpensammlerin'[1]: 'Das erneut bereden, was schon so zerredet auf uns gekommen ist; das erneut bedenken, was schon tausendfach verdacht worden ist, das ist die Arbeit der Theologie.'[2] Das heißt aber auch: Die Dinge aufsuchen, wo sie sich finden lassen, in ihrer Entstellung, in ihrem Verschleiß" (Gregor Maria Hoff (2010), Religionskritik heute. Regensburg: Pustet, S. 138-139).

Gleichgültig gegenüber der Religion?

Dass Dialog und Auseinandersetzung auch aus anderen Gründen wichtig sind, zeigen auch folgende Worte des Papstes: "Der Religion gegenüber erleben wir (...) eine zunehmende Gleichgültigkeit in der Gesellschaft, die bei ihren Entscheidungen die Wahrheitsfrage eher als ein Hindernis ansieht und statt dessen Nützlichkeitserwägungen den Vorrang gibt", so die Worte des Papstes. (Im Rahmen der Willkommenszeremonie von Papst Benedikt XVI., Schloss Bellevue, Berlin, 22. September 2011).

Einige werden die Sorge darüber wohl teilen, andere wiederum nicht. Die Atheistische Religionsgesellschaft jedenfalls verhält sich "der Religion gegenüber" nicht gleichgültig. Wir versuchen vielmehr, (alltagssprachlich formuliert) die Wahrheit herauszufinden und auch klar auszusprechen. In unserer "Religionslehre" (§ 2 der Statuten) sagen wir ganz ausdrücklich "wir glauben" (das entspricht nämlich – hoffentlich nachvollziehbar – ganz besonders der Wahrheit) und (für manche vielleicht erstaunlicherweise!) nicht "es ist so" – wir verwenden hier also eine bescheidene Formulierung, die vielleicht auch viele andersgläubige Menschen als eine wahre Aussage annehmen können.

Ebenfalls vor ein paar Tagen hat Papst Benedikt XVI. in seiner Ansprache im Augustinerkloster Erfurt (23. September 2011) auch gesagt: „Ein selbstgemachter Glaube ist wertlos. Der Glaube ist nicht etwas, was wir ausdenken und aushandeln." Wir wollen gerade diesen Teil der Ansprache natürlich nicht missverstehen und freuen uns daher auf hilfreiche Erklärungen und Begründungen der in der römisch-katholischen Kirche in Österreich dafür kompetenten Mitmenschen, die uns helfen können, diese Einschätzung (auch aus Sicht der römisch-katholischen Kirche) angemessen zu verstehen. Wir haben nämlich den Eindruck, einiges an unserem Glauben tatsächlich selbst gestaltet zu haben (und uns darüber sogar auch ein bisschen freuen zu können).

Kardinal Christoph Schönborn schreibt in seinen "Gedanken zum Evangelium am 20. Sonntag im Jahreskreis" (13. August 2011): "Jesus will wohl, dass wir Christen wirkliche Christen sind. Heißt das Verachtung, Schlechtmachen der anderen Religionen? Jesus zeigt uns etwas Anderes. (...) Er zeigt uns, seinen Jüngern, die oft nur oberflächlich tolerant sind, was es Schönes und Großes ist, echten, gelebten Glauben auch außerhalb der Grenzen unserer Religion zu finden." – Gerne laden wir alle theologisch interessierten Menschen guten Willens herzlich ein, (auch) unser religiöses Bekenntnis kennenzulernen und theologisch zu erschließen!

Einladung zum Dialog

Das religiöse Bekenntnis des anderen als religiöses Bekenntnis wahrzunehmen und anzuerkennen: das ist (bzw. wäre) in unseren Augen ein wirklich guter Ausgangspunkt für einen ernsthaften, respektvollen, menschenfreundlichen, weltoffenen und konstruktiven Dialog. Ein solcher Dialog könnte uns allen auch beim großen Projekt einer Verbesserung unserer (sozialen) Welt ein wenig helfen – wäre das nicht eine attraktive Perspektive? (Leser-Kommentar, derStandard.at, 24.10.2011)