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Umjubelt von Anhängern und Parteifreunden in der Wahlnacht: Donald Tusk schreibt mit seiner liberalkonservativen, proeuropäischen Bürgerplattform polnische Geschichte.

Foto: REUTERS/Peter Andrews

Der Jubelschrei von Donald Tusk, vom Fernsehen übertragen, hallte am Sonntagabend in ganz Polen wider: 39 Prozent. Das war der Sieg für die liberalkonservative Bürgerplattform (PO), wenn auch mit einem Minus von 2,3 Prozentpunkten gegenüber 2007, und die erste Wiederwahl eines polnischen Premiers seit der Wende 1989.

Nur wenige Sekunden später jubelte auch Janusz Palikot, der Shootingstar der Parlamentswahlen. Die Korken knallten. Seiner antiklerikalen und linken Protestpartei "Palikot-Bewegung" gelang es, mit rund zehn Prozent aus dem Stand zur dritten Kraft im Abgeordnetenhaus (Sejm) zu werden.

Lange Gesichter hingegen machten die Anhänger Jaroslaw Kaczyñskis und seiner rechtsnationalen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Statt die Regierung zu übernehmen, müssen sie mit 30 Prozent (minus 2,2) wie bisher die Oppositionsbank drücken. Die Niederlage war so klar, dass Kaczyñski sie sofort anerkannte.

Regelrechte Grabesstimmung herrschte bei den Sozialisten (SLD). Unter dem farblosen Grzegorz Napieralski fuhr die Partei mit 8,2 Prozent (minus 4,9) das schlechteste Ergebnis seit 1990 ein. Am Montag kündigte Napieralski seinen Rücktritt an.

Waldemar Pawlak hingegen, dessen gemäßigte Bauernpartei PSL bisher den Koalitionspartner in der PO-geführten Regierung gestellt hatte, lächelte nur zufrieden. Die 8,4 Prozent (minus 0,5) sind zwar kein großartiges Ergebnis, aber sie reichen, um die Koalition fortzusetzen und an der Macht zu bleiben. Schon am Montag begann Tusk mit Koalitionsgesprächen.

Tiefe Spaltung bestätigt

Enttäuschend fiel die Wahlbeteiligung aus: knapp 49 Prozent. 2007 waren es mehr als 50 Prozent gewesen. Und auch an der tiefen Spaltung der Gesellschaft in Stadt und Land, Arm und Reich, Jung und Alt hat sich auch diesmal nichts geändert. Die Bewohner West- und Zentralpolens, die Jungen und Gebildeten stimmten mehrheitlich für Tusk und seine europafreundliche PO, die Bewohner Ostpolens einschließlich Krakaus und Lublins, die Alten und schlechter Gebildeten wählten Kaczyñski und dessen nationale und eher rückwärtsgewandte PiS.

Gerade Dorfbewohner und ältere Menschen kommen mit dem Alltag heute oft nicht zurande. Demokratie und Marktwirtschaft überfordern sie. Ganz anders die Wähler Tusks und Palikots. Doch während den einen der konservativ-europafreundliche Kurs der PO völlig ausreicht, wollen die Palikot-Anhänger mehr Freiheit, Offenheit und die Trennung von Staat und Kirche: Bei der Gesetzgebung zu homosexuellen Partnerschaften, In-vitro-Befruchtung, Verhütung, Sexualerziehung und dem Scheidungsrecht solle die Kirche demnächst nicht mehr ein so starkes Mitspracherecht haben wie bisher. Dass rund zehn Prozent der Wähler für diese Protestpartei gestimmt haben, zeigt den großen Wandel, den die polnische Gesellschaft durchlebt. (Gabriele Lesser aus Warschau, STANDARD-Printausgabe, 11.10.2011)