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David Gerbi beim Einreißen der Mauern, die den Eingang zur Synagoge Dar al-Bishi im einstmals jüdischen Viertel Hara Kabira in Tripolis versperrt hatten.

Foto: REUTERS/Suhaib Salem

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Im "I love Libya"-Shirt vor der Synagoge.

Foto: Abdel Magid al-Fergany/AP/dapd

Der Traum vom neuen Libyen hat für ihn nur kurz gedauert: David Gerbi wird die Pläne, die Synagoge Dar al-Bishi im einstmals jüdischen Viertel Hara Kabira in Tripolis wiedererstehen zu lassen, wohl aufgeben müssen. Anfang Oktober hatte er - mit Tränen in den Augen - die Mauer niedergerissen, die den Eingang zum heruntergekommenen Gebäude versperrte. Als er zwei Tage später seine Arbeit in der Synagoge aufnehmen wollte, wurde er von Bewaffneten vertrieben, die ihm den Tod androhten.

Der 56-jähriger Gerbi ist Psychoanalytiker in Italien - und Jude aus Libyen. Wie tausend andere libysche Juden floh der damals 12-Jährige mit seiner Familie aus Libyen, als sich nach dem verlorenen Sechs-Tage-Krieg Wut und Frustration gegen die Juden in arabischen Ländern richteten. In Libyen wurden bei Pogromen mindestens 18 Juden getötet, worauf die italienische Marine tausende nach Rom evakuierte - wo sie heute einen gewichtigen Teil der jüdischen Gemeinde bilden. Fast alle in Libyen verbliebenen Juden warf Muammar Gaddafi nach seiner Machtergreifung 1969 aus dem Land, es blieben nur noch etwa hundert zurück. Die letzte Jüdin - offenbar eine greise Tante Gerbis - verließ Libyen 2003.

Gerbis Traum, das jüdische Leben in Libyen wiederzuerwecken, reicht in die Zeit vor den Aufstand, der zum Sturz Gaddafis führte, zurück: Als Anfang der 2000er Jahre Gaddafi-Sohn Saif al-Islam Kontakte mit libyschen Juden aufnahm und sogar von Entschädigungen sprach, erklärte sich Gerbi bereit, bei dem Projekt - das natürlich letztlich zu nichts führte - mitzutun. Mit dem Vorrücken der Rebellen sah er dann die Stunde der Versöhnung gekommen, und als offizieller Vertreter der „Weltorganisation der libyschen Juden" traf er den Übergangsratsvorsitzenden Mustafa Abdul Jalil. Gerbis Wunsch, Mitglied des Übergangsrats (NTC) zu werden, wurde nicht erfüllt - der NTC schmückte sich jedoch allzu gerne mit dem „Revolutionsjuden". Auch die Erlaubnis zu den Arbeiten in der Synagoge Dar al-Bishi soll Gerbi vom NTC erhalten haben.

Was den Einwohnern von Hara Kabira, ein Slum, wo die Ärmsten der Armen wohnen, herzlich egal war. Für sie ist Gerbi einer, der beanspruchen könnte, was heute ihnen gehört. Gerbi hatte davon gesprochen, der jüdischen Vermögensfrage in Libyen nachgehen zu wollen - und davon, die Juden wieder nach Libyen zurückführen zu wollen. Auch das ist ein wiederkehrendes Motiv in arabischen Ländern mit einstmals großen jüdischen Gemeinden: Man erinnere sich an Bagdad in den Jahren 2003, als - völlig unbegründete - Gerüchte die Runde machen, dass Häuser und Grund und Boden in Irak massenhaft von Juden und Israelis aufgekauft würden.

Es handelt sich also in erster Linie um Verlustängste, die man auch aus anderen Kontexten (z.B. BRD-DDR) kennt. Die Gemengelage ist aber noch komplizierter, als sie der offenbar ahnungslose Gerbi wahrnehmen wollte, der meinte, in den Augen der Revolutionäre müssten Juden automatisch auf der Seite der Befreier angesiedelt sein, also als Feinde Gaddafis gelten. Weit gefehlt. Unter den vielen Anti-Gaddafi-Graffitos, die als Bildmaterial auch gerne in westliche Medien übernommen wurden, war immer wieder auch bösartiges antisemitisches Geschmiere zu finden, das Gaddafi, Juden und Israel auf eine Seite stellte. Besonders zu Kriegsbeginn vermeldete die revolutionäre Gerüchteküche, dass auf von Gaddafi verwendeten Waffen oder Flugzeugen der David-Stern prangte. Und natürlich hatte Gaddafi israelische Leibwächter ... Diese Gleichsetzung mit Gaddafi und Israel gehört natürlich besonders stark zum Narrativ islamistischer Revolutionäre - und leider, von denen gibt es genügend.

Was David Gerbi - der bei seinen Auftritten in Libyen gerne ein „I love Libya"-T-Shirt trug - nun weiter tun wird, ist ungewiss, er dürfte niemand sein, der schnell aufgibt. Von anderen libyschen Juden wird sein Aktionismus mit gemischten Gefühlen gesehen: Sie wissen, dass es nicht (nur) Gaddafi war, der den Hass auf Juden gesät hat. Und wie immer gehören „ganz normale" Menschen dazu, die mittun. Die libyschen Juden - einmal bis zu 37.000, in einer Gemeinde, die 2500 zurückreicht - haben eine besonders leidvolle Geschichte insofern, als sie auch unter den faschistischen Gesetzen Benito Mussolinis und dessen Kooperation mit Hitler zu leiden hatten. Viele starben in Konzentrationslagern.

Wer mehr über das Schicksal der libyschen Juden wissen will: Maurice Roumani: The Jews of Libya - Coexistence, Persecution, Resettlement. Sowie vom selben Autor: The Final Exodus of the Libyan Jews in 1967. (Gudrun Harrer, derStandard.at, 10.10.2011)