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Die Reserva Marina auf der Illa del Toro.

Foto: Horacio Lledias/flickr.com unter creativecommons-Lizenz

Anreise und Unterkunft

Ondine Escape S. L., Brad Robertson
Tel.: +34/971/91 61 65; info@ondineescape.com

Mar Balear Dive Center, Port Adriano
07182 Urb. El Toro, Calviá - Mallorca

Grafik: DER STANDARD

Plötzlich sind sie da. Wie aus dem Nichts ist ein Schwarm junger Bernsteinmakrelen aufgetaucht und hat sich zwischen die Taucher geschoben, ohne diese groß zu beachten. Ihre Aufmerksamkeit gilt etwas anderem. Die Tiere halten inne. Goldene Streifen zieren ihre Köpfe. Kriegsbemalung, könnte man glauben. Ein Zittern scheint durch den Trupp zu fahren. Dann, als hätten sie einen Startschuss gehört, stürzen sich die Raubfische blitzschnell auf die zahlreichen kleinen Riffbarsche, die knapp zwei Meter tiefer über den Felsen kreuzen.

Die kleinen fliehen in Panik, aber kommen nicht weit. Sie werden von den Bernsteinmakrelen regelrecht zu Boden getrieben, und dort gibt es für so manchen kein Entrinnen mehr. Schon nach wenigen Sekunden ist die Hatz vorbei. Die Taktik der Räuber ist aufgegangen, einige sind noch immer dabei, mit gespreizten Kiemen ihre Beute zu schlucken. Die menschlichen Augenzeugen des Spektakels hängen derweil regungslos im Wasser, noch staunend über das, was sie soeben gesehen haben.

Ort des Geschehens ist das Meeresschutzgebiet El Toro an der Südwestküste Mallorcas. Brad Robertson nimmt seine Gäste gerne mit hierher. Wohin man blickt, überall wimmelt es von Leben. Verschiedene Meerbrassen-Spezies suchen den Felsboden nach Essbarem ab, Lippfische schwimmen emsig umher und verteidigen ihre Territorien gegen Artgenossen. In etwa 20 Meter Tiefe haben Meerraben und ein paar mittelgroße Zackenbarsche zwischen mächtigen Geröllblöcken Unterschlupf gefunden. Diese Fische sind meist nachtaktiv, den Tag verbringen sie träge herumlungernd. Anderswo müssen sie sich ständig vor Speerfischern in Acht nehmen. "In den Reservaten gibt es eine sehr hohe Vielfalt", hat Robertson vor dem Tauchgang erklärt. Der Schutzstatus macht offenbar einen enormen Unterschied. Nirgendwo sonst in den mallorquinischen Gewässern sieht man so viel Fisch wie in El Toro und den anderen geschützten Gebieten.

Brad Robertson ist Tauchlehrer und Tourführer, ein Mann, der sich unter Wasser mindestens genauso wohlfühlt wie zu Hause. Der gebürtige Australier kam vor gut zwei Jahren mit seiner spanischen Lebensgefährtin Beatrice Esparza nach Mallorca. Die beiden gründeten ihre eigene kleine Touristikfirma namens Ondine Escape, spezialisiert auf Angebote für Naturbegeisterte und Ruhesuchende. Tauchtouren spielen dabei eine zentrale Rolle, eigens angeheuerte Meeresbiologen bieten fachkundige Auskunft und Begleitung. Die meisten Mallorca-Urlauber aalen sich wohlig an den Stränden der Insel, ohne dabei zu ahnen, welche Wunder sich unter der Wasseroberfläche verbergen. Oder es interessiert sie nicht.

Das ist ein Fehler. "Die Meeresreservate sind echte Attraktionen", erzählt Robertson. "Und das Wasser ist sehr klar." Natürlich könne man die mallorquinischen Küstengewässer nicht mit dem Great Barrier Reef, wo er jahrelang gearbeitet hat, vergleichen, fährt der Profitaucher fort. Die Ökosysteme seien schließlich total verschieden. Doch es ist erstaunlich, was das Mittelmeer rund um die Insel zu bieten hat. Die mediterrane Fauna umfasst zum Beispiel viele Arten, die Biologen als Endemiten bezeichnen - sie kommen nirgendwo anders vor. Felsenriffe beherbergen Kraken, farbenfrohe Nacktschnecken und grimmig dreinblickende Muränen. Ein ganz besonderes Phänomen ereignet sich indes jeden Frühling in der sandigen Bucht von Palma. Dort liegt praktisch in Sichtweite der Saufmeilen und der berühmten Kathedrale la Seu eine Kinderstube von Stachelrochen. Die Weibchen bringen hier alljährlich ihre jeweils vier bis sieben Jungen zur Welt. "Dann gibt es die dichteste Konzentration an bodenlebenden Rochen, die ich jemals gesehen habe", schwärmt Brad Robertson. Im Mai stoße man an dieser Stelle alle paar Meter auf einen kleinen Stachelrochen, der sich den Sand von den Flügeln schüttelt und davongleitet. Ein einmaliges Schauspiel.

Weitere Unterwasser-Sehenswürdigkeiten Mallorcas sind die Höhlensysteme. Die Felsenküsten der Insel bestehen vielerorts aus Kalkgestein, in dem durch unterirdisch fließendes Süßwasser leicht Tunnel gebildet werden. Und die münden teilweise ins Meer. In den düsteren Höhlen lebt eine bunte Tierwelt: rote Kardinalbarsche, Seesterne, Garnelenschwärme, Seeanemonen und vielerlei Schwämme. Brad Roberston ist immer wieder von solchen Grotten fasziniert. "Wenn man da drinnen die Wände anleuchtet, zeigen sich unglaubliche Farben."

Robertsons spezielle Leidenschaft gilt gleichwohl einer bei den meisten von uns eher unbeliebten Tiergruppe: Hai. Mehr als 30 verschiedene Arten dieser Knorpelfische kommen in mallorquinischen Gewässern vor, manche häufig, andere nur selten. Bei den allermeisten handelt es sich um kleine, bodenbewohnende und natürlich völlig harmlose Spezies wie der Graue Glatthai. Die oft hysterische Abneigung, die viele Menschen gegenüber Haien empfinden, kann Brad Robertson nicht nachvollziehen. Er kennt sie, ist schon so vielen von ihnen unter Wasser begegnet. Daraus erwuchsen Begeisterung und Respekt für diese prächtigen Kreaturen. Heutzutage müssen die Haie viel mehr vor Homo sapiens geschützt werden als umgekehrt, erklärt er. Besonders im Mittelmeer. Zu viele Junghaie landen auf den Fischmärkten, bevor sie die Gelegenheit hatten, sich fortzupflanzen. Robertson arbeitet deshalb zusammen mit den örtlichen Behörden an der Planung eines Schutzprogramms. Die Vielfalt soll auch für zukünftige Generationen erhalten bleiben.

Wer Großhaie live erleben will, kann dies im Aquarium von Palma tun. Brad Robertson veranstaltet dort regelmäßig Hai-Begegnungen. Zusammen mit einer Handvoll Besuchern taucht er dann im größten Becken des Aquariums, wo Sandtiger und Sandbankhaie schwimmen. "Für manche ist dies eine lebensverändernde Erfahrung", sagt Robertson. "Sie bieten so zum ersten Mal ihren Ängsten die Stirn, ob vor Haien oder auch einfach nur vor dem Wasser." (Kurt de Swaaf/DER STANDARD/Rondo/07.10.2011)