Hani Rashid: "Architektur ist nicht nur Bauen."

Rashid, 53, ist Architekt und leitet mit seiner Partnerin Lise Anne Couture das New Yorker Büro asymptote. Seit 1989 unterrichtet er an der Columbia University in New York, nun auch an der Universität für angewandte Kunst in Wien.

Foto: Reiner Zettl

Mit Rashid sprach Wojciech Czaja.

STANDARD: Seit Montag sind Sie neuer Architekturprofessor an der Universität für angewandte Kunst in Wien. Ihr erster Eindruck vom österreichischen Hochschulsystem?

Rashid: So wie ich das System bisher verstanden habe, bietet es Leuten, die engagiert und interessiert sind, gute Ausbildungsmöglichkeiten. Das Angebot ist umfangreich. Am meisten beeindruckt mich, dass das Studium kostenlos ist. Das lässt jeden Amerikaner vor Neid erblassen. Davon können wir nur träumen.

STANDARD: Und Ihr Eindruck von Wien?

Rashid: Wien ist ein Highlight, nicht nur das historische Wien, sondern auch das zeitgenössische. Ich habe aber das Gefühl, dass man sich dieser Tatsache in dieser Stadt, in diesem Land nicht wirklich bewusst ist. Das internationale Image ist viel schillernder als die eigene Wahrnehmung.

STANDARD: Wie ist denn das Image?

Rashid: Österreich gilt in den USA und in Asien als Inbegriff für zeitgenössisches Bauen und Denken. "Architecture made in Austria" wird da, wo ich herkomme, längst als Marke wahrgenommen. Nicht zuletzt ist es eine Marke, die für Provokation steht.

STANDARD: Und Provokation ist gut?

Rashid: Provokation ist ein Triebmittel für Entwicklung, das Fundament für Forschung, für Medizin, für Biochemie, für Physik, für Astronomie, warum also nicht für Architektur? Stellen Sie sich nur einmal vor, wie Wien, wie Venedig oder wie New York ohne Provokation aussehen würde. Wollen wir das?

STANDARD: In New York leiten Sie das Architekturbüro asymptote. Ihre Projekte sind zwar provokant, gebaut haben Sie aber nur wenig.

Rashid: Wir haben zwar noch nicht viel gebaut, aber was wir gebaut haben, das hat eingeschlagen. Das Formel-1-Hotel YAS in Abu Dhabi mit dem amorphen Glasdach ist eines der meistpublizierten Architekturprojekte weltweit. Das kennt fast jeder. Zudem befindet sich zurzeit eine Handvoll Projekte in Bau. Aber ich finde, es geht in der Architektur ohnehin nicht nur ums Bauen.

STANDARD: Sondern?

Rashid: Es geht um die Verantwortung, die dahintersteckt. Es geht um die Überzeugung, dass man mit Feingefühl und Kompetenz die Welt verändern kann.

STANDARD: Kann man das?

Rashid: Ich leite schon seit einiger Zeit eine Forschungsgruppe mit dem Titel "Deep Future" . Darin untersuchen wir, wie wir mit der Gestaltung von Gebäuden unser Lebensumfeld beeinflussen können. Dabei geht es nur am Rande um Ästhetik. Es geht um Funktion, Vernetzung, Mobilität, Energiehaushalt und nicht zuletzt um die Frage, was eine Stadt langfristig lebenswert macht. In China beispielsweise müssen in den nächsten Jahren mehr als 100 Instant-Citys aus dem Erdboden gestampft werden. Wenn wir solche Aufgabe Ingenieuren, Investoren und Immobilienentwicklern überlassen, wird das schiefgehen.

STANDARD: Sie haben so eine Instant-City in Malaysia geplant, das sogenannte Penang Global City Center. Was ist daraus geworden?

Rashid: Ein Projekt für die Schublade. Aus und vorbei. Eines ist aber interessant: Obwohl Penang nicht gebaut wird, hat es weltweit Wellen geschlagen. Es ist zum politischen und wirtschaftlichen Thema geworden - obwohl kein Kubikmeter Beton angemischt wurde. Ich finde das faszinierend.

STANDARD: Der Architekt der Zukunft wird also nicht nur Häuser planen, sondern auch Gedankenblasen?

Rashid: Ja, und noch mehr als heute. Die Forschungs- und Experimentier-Komponente wird zunehmen. Am Ende des Tages wird es in vielen Fällen keine Rolle spielen, ob ein Gebäude real oder nur virtuell vorhanden ist.

STANDARD: Der Architekt als Erbauer von "Star Wars" und "Blade Runner" ?

Rashid: Ich mag solche Visionen! Sie werden lachen: Wir haben in Abu Dhabi den Strata Tower geplant. Das ist ein sehr futuristischer Wolkenkratzer mit Hubschrauberplattform auf der Spitze. Das Projekt wird allerdings nicht realisiert. Doch dafür gab es schon zwei Anfragen aus Hollywood, unter anderem von den Pixar Animation Studios, in dem Ingenieure den Turm in einem Science-Fiction-Film und in einem Computerspiel verwenden wollen.

STANDARD: Macht Sie das glücklich?

Rashid: Sehr sogar. Im Kinosaal sitzen wir manchmal mit offenem Mund vor der Leinwand und sind überwältigt von dem, was wir sehen. Das sind große Emotionen. Ich wünsche mir, dass den Menschen der Mund nicht nur im Kinosaal offensteht, sondern auch beim Anblick von Architektur.

STANDARD: Also doch bauen?

Rashid: Ein bisschen. Das ist doch unser Job. (DER STANDARD, Printausgabe, 7.10.2011)