Eine Stiege nach dem Ikea-Prinzip, die sich leicht zerlegen und an verschiedenen Stellen einsetzen lässt. 1200 v. Chr. kam es dann zu einem Erdeinbruch, der nicht nur die Stiege zerstörte, sondern das ganze Bergwerk verschüttete.

Foto: A. Rausch

Prähistoriker Hans Reschreiter.

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Österreichische Archäologen stoßen im Berg auf immer neue Erkenntnisse über den Bergbau der Bronzezeit.

Ein schneereiches Hochtal fernab von Verkehrswegen, erreichbar nur über einen 400 Meter hohen Steilhang – abgelegenerer Orte als das Salzbergtal von Hallstatt gibt es wenige. Und dennoch dürfte hier bereits vor 3500 Jahren ein Industriebetrieb entstanden sein, der im Wirtschaftsleben der Bronzezeit weit über Mitteleuropa hinaus eine Schlüsselrolle spielte.

Das vermuten zumindest Archäologen, die unter der Leitung Hans Reschreiters vom Naturhistorischen Museum (NHM) seit 20 Jahren im und rund um das Hallstätter Salzbergwerk graben.

Die wichtigsten Funde der vergangenen Jahre betreffen nicht die eigentliche Hallstattzeit – jene Epoche der älteren Eisenzeit, die etwa 800 v. Chr. begann - sondern die Jahre zwischen 1500 und 1200 v. Chr. Damals gab es bereits einen großen Bergbau in Hallstatt, von dem aus Salz bis in die ungarische Tiefebene, ins heutige Italien und weit nach Norden geliefert wurde. "Hallstatt war ein Global Player mit einer Art Monopolstellung – trotz seiner geografisch ungünstigen Lage", sagt Reschreiter.

Hallstatt dürfte damals im Zentrum eines dichten Handelsgeflechts gestanden sein. So wurden Werkzeugstiele aus Eichenholz und Seile aus Linde gefunden, die in der Region kaum zu finden ist. Gemeinsam mit der Universität für Bodenkultur werden nun die Versorgungswege erforscht.

Und neben der Salzproduktion dürfte es im Bergwerk eine große Schweineveredelung gegeben haben, im Zuge deren hunderte Schweine im Jahr zu Speck verarbeitet wurden. Archäologen haben riesige Wannen gefunden, in denen man 150 Schweine gleichzeitig pökeln konnte, und tausende Knochen von Tieren, die alle das gleiche Schlachtalter aufwiesen. Zur Mästung wurden die Schweine zwei Winter lang durchgefüttert. "Das ging weit über den Eigenbedarf hinaus", sagt Reschreiter. "Weite Bevölkerungsteile der Ostalpen wurden von hier aus versorgt."

Warum wurden die Schweine auf den Berg gebracht und nicht das Salz ins Tal? Die Forscher vermuten, dass verunreinigtes Salzwasser zum Pökeln verwendet wurde und das Fleisch zum Trocknen und Räuchern aufgehängt wurde. Konstante Temperaturen und die rauchende Abluft der im Bergwerk eingesetzten Rauchspäne, boten ideale Bedingungen. Wie viele Menschen dort tatsächlich tätig waren, soll eine Computersimulation der TU Wien eruieren. Schätzungen schwanken derzeit zwischen 30 und 500.

Was Reschreiter am meisten beeindruckt, sind die technischen Innovationen der damaligen Zeit. So etwa Tragsäcke, die nur einen Schulterriemen und auf der anderen Seite einen Knüppel haben, mit denen man 30 Kilo Salz tragen und die man ohne Kraftaufwand entleeren kann. Füllen musste sie allerdings ein anderer Arbeiter, was auf eine klare Arbeitsteilung deutet.

Trick mit der Natur

Die im Bergwerk gefundenen Pickel mit langen Stielen und spitzen Winkeln gibt es sonst nirgendwo. Und die Fülltröge bestehen aus einem extrem reißfesten, leichten Holz, das die Natur nur durch einen Trick produziert.

Wenn zwei Tannen nahe beieinander stehen und eine gehackt wird, dann lebt sie weiter, indem sie Nährstoffe von den Wurzeln des anderen Baums bezieht. Doch sie wächst nur noch in die Breite in Form besonders harter Baumstocküberwallungen, aus denen dann die Tröge geschnitten werden. Allerdings dauert der Wachstumsprozess 15 bis 20 Jahre. "Jemand muss einen Baum hacken und dann das Wissen seinen Nachkommen weitergeben. Das ist eine generationenübergreifende Produktionsplanung", sagt Reschreiter, der die Erkenntnis über diese einzigartige Technik noch gar nicht publiziert hat.

Der wichtigste Fund der letzten Zeit ist eine Holzstiege mit Sprossen, die in die Wangen nur eingehängt werden. "Das ist eine einmalige Konstruktion, eine Art Baukastensystem", schwärmt Reschreiter. Die gleiche Stiege kann man für ganz unterschiedliche Neigungen verwenden, sie kann wie ein Ikea-Möbel in Einzelteilen transportiert und vor Ort zusammengebaut und wieder zerlegt werden.

Gebaut wurde diese Stiege laut Analyse des Holzes um 1344 v. Chr., und sie war mehr als ein Jahrhundert in Betrieb. Auch Teile anderer Stiegen zum Ausgleich von Höhenunterschieden wurden tief im Berg gefunden.

Die Stiege weist auch die Zeichen einer Katastrophe auf, die den bronzezeitlichen Bergbau mit einem Schlag beendete. Um das Jahr 1200 v. Chr. verschüttete ein massiver Einbruch von Schotter, Lehm und Baumresten die Stollen. Entweder brachte ein Murenabgang die oberste Decke zum Einsturz, oder die Bergleute stießen selbst an die Oberfläche und lösten damit eine Lawine aus, die kaskadenartig von einer Ebene in die nächste stürzte. Geologen der Universität Erlangen-Nürnberg sind überzeugt, dass dieser Prozess über Wochen oder gar Monate vor sich ging und deshalb niemand zu Schaden kam.

Obwohl der Salzabbau wohl gleich weiterging, lässt sich erst um das Jahr 900 v. Chr. wieder ein Bergbau nachweisen. Dieser nutzte weniger Spezialkonstruktionen, dafür aber ein ausgeklügeltes, sparsames Ressourcensystem, bei dem viele gebrauchte Materialien zum Einsatz kamen.

Bescheidenes Budget

Sechs bis acht Wochen ist Reschreiters Team jedes Jahr in Hallstatt vor Ort, um unter schwierigsten Bedingungen zu bohren und zu graben. Das Budget von 25.000 Euro im Jahr stammt überwiegend von den Salinen Austria, der kleinere Teil vom Naturhistorischen. Die Salzwelten bieten in der Saison jeden Freitag archäologische Führungen für Besucher.

Reschreiters größte Sorge ist, dass der Zugang zu Stollen, an denen früher gegraben wurde, verlorengeht, weil sie aus Geldmangel nicht erhalten werden. 15.000 bis 20.000 Euro im Jahr würde er von Sponsoren benötigen, damit einzigartige Relikte einer uralten europäischen Industriekultur nicht auf ewig im Berg verschwinden. (DER STANDARD, Printausgabe, 05.10.2011)