Wien - In Spanien demonstrierten die jungen "Indignados" gegen die Regierungspolitik, in Großbritannien eskalierte der Unmut der Jugend in pure Zerstörungswut, in Israel initiierten Studierende aus Protest Zeltstädte in der Hauptstadt. Und in Österreich?

"Es beginnt zu brodeln", sagte Ex-ÖVP-Klubchef Heinrich Neisser von der "Initiative Mehrheitswahlrecht und Demokratiereform" (demokratiereform. at oder mehrheitswahl.at) am Freitag bei der Präsentation des ersten "Demokratiebefundes". Nur brodelt es hierzulande am anderen Ende des Generationenspektrums.

Ein 72-Jähriger startet ein Bildungsvolksbegehren, eine Reihe soignierter, besorgter Ex-Politiker bringt ein Bürgerbegehren für "Mein Österreich" in Gang, und 85-Jährige wie Gerd Bacher rufen zu einer Revolution zur Rettung der Demokratie auf. Wobei sich niemand vor dieser Revolution fürchten muss, beruhigte der Ex-ORF-Generaldirektor - sekundiert von Neisser (75): "Wir brauchen revolutionäre Entwicklungen."

Und solange keine jungen Revoluzzer aufstehen, weil die jetzt vielleicht schon mit 16 Jahren lernen, dass Wählen "ja eh nichts ändert" und das Wahlrecht bloß "einige Parteien pragmatisiert", wie Verfassungsjurist Theo Öhlinger sagte, machen sie es eben selbst.

Denn die Lage der Demokratie in Österreich zeigt doch bedenkliche Verwitterungserscheinungen. Laut einer OGM-Umfrage unter 504 wahlberechtigten, repräsentativen Österreichern haben drei Viertel der Bevölkerung wenig bis gar kein Vertrauen in die Politik. Eine Dreiviertelmehrheit bekundet auch, dass das Vertrauen in die Politik in den vergangenen fünf Jahren gesunken ist, bei 20 Prozent ist es gleich geblieben, ein Prozent hat mehr Vertrauen. Noch schlimmer steht es um das Vertrauen in die Politiker selbst. Ganze 82 Prozent der Bevölkerung haben wenig bis gar keines.

Das seien starke Indizien dafür, "dass es allmählich wirklich an die Substanz der Demokratie geht", sagte Neisser und hofft etwa auf eine demokratiefördernde Wahlrechtsänderung. Die Unlust hänge zusammen mit "viel zu großem Stillstand und viel zu kleinem Anstand", ergänzte Ex-Bundesratspräsident Herwig Hösele (ÖVP). Da die Demokratie-Aktivisten nicht auf die Selbstbesinnungskraft der Parteien vertrauen, wollen sie einen "kritischen öffentlichen Dialog" anstoßen.

Wenn das Volk da mal mitmacht und aufwacht, wie Gerd Bacher angesichts dessen, was sich "der Souverän, das Volk, gefallen lässt", etwa die Wiederwahl "des unfähigsten von allen ORF-Generaldirektoren", fordert: "Wir haben sicher einen der wurschtigsten Souveräne, von denen ein Politiker nur träumen kann."(Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, Printausgabe, 1./2.Oktober 2011)