"Ja, ich weiß, wen Du meinst: Josef Schulz, oder? Kragujevac, oder?", hört man von Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien, wenn man sie auf den "guten Deutschen", der 1941 in Serbien keine Partisanen erschießen wollte, anspricht. Die meisten können sich noch an den Film über jenen Mann erinnern, der selbst erschossen wurde, weil er den Schießbefehl verweigerte. Josef Schulz war ein Held in Jugoslawien, und er war ein Held in Deutschland. In Bonn wollte man sogar eine Straße nach ihm benennen. In Serbien ist sein Name in ein Partisanen-Denkmal graviert.

Die Sache ist nur: Josef Schulz war kein mutiges Vorbild, keiner, der beim Morden nicht mitmachen wollte. Schulz wurde im Juli 1941 von Partisanen erschossen. Nichts Herausragendes. Die Legende aber, die um ihn gestrickt wurde, erzählt über die Sehnsucht nach dem Aufrechten inmitten des Niederträchtigen, es ist eine Geschichte über die Disposition der Menschen, lieber an erhebende Lügen zu glauben, als kritisch nachzufragen. Der Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Michael Martens, hat darüber ein Buch geschrieben.

In Jugoslawien wurde der Deutsche Schulz zum Reserve-Partisanen hochstilisiert. Als 1977 ein Schulz-Denkmal in einem Garten eines jugoslawischen Dorfs abgerissen werden sollte, weil es nicht dem Artikel 22 des Gesetzes über das Bestattungs- und Friedhofswesen entsprach, kämpften Partisanenverbände wie Intellektuelle für dessen Verbleib. Die Belgrader Gesellschaft für Kultur und Bildung protestierte: "Mit der Geste von Josef Schulz hat die gesamte freiheitliche Kraft des jugoslawischen Kampfes ihre Bestätigung gefunden."

In Schulz sich selbst feiern

Martens resümiert trefflich über die Instrumentalisierung des vermeintlichen Helden: "Man konnte Schulz ohne Vorbehalte unterstützen, weil man in ihm sich selbst feierte. Gefahrlos ließ sich ihm jedes erdenkliche Motiv unterstellen." Auch in Deutschland liebte man Josef Schulz. Vor einem Treffen mit Hans Dietrich Genscher versicherte der jugoslawische Außenminister Josip Vrhovec Ende der 1970er-Jahre seinem deutschen Kollegen, dass die Sympathien ganz Jugoslawiens auf der Seite von Josef Schulz seien.

Politiker wie Journalisten ließen sich gerne in die Irre führen. Auch Martens führt seine Leser 300 Seiten lang in das Dickicht der Widersprüche, er steigert die Spannung wie ein Krimiautor bis ins Unerträgliche. Dann endlich gibt er die Fakten preis. Zuvor nähert er sich über jene, die an der Legende mitschrieben, an Josef Schulz an. Er schneidet historische Dokumente mit erzählerischen Episoden, wechselt von einer journalistischen zu einer Roman-Sprache. Da taucht etwa ein jüdischer Handelsreisender auf, der in Kragujevac den Nazis wie aufgezogen deutsche Balladen zitiert, weil er glaubt, in seinen Mördern das Vermächtnis der deutschen Kultur wecken zu können.

Martens ist unersättlich in seiner Gier nach Genauigkeit und präsentiert ein um das andere Dokument. Sehr lustig sind etwa die Zeitungsberichte, die die Legende "Schulz" in den 1960ern und 1970ern wiederkäuen. Chronologisch geordnet offenbaren sie, wie Journalisten voneinander abschreiben und so lange Neues dazuerfinden, bis sogar die Ursprungslegende (die ja bereits jeder Realität entbehrte) völlig verfälscht ist.

Heldensuche ist die Dokumentation einer Recherche. Martens zerpflückt Schulz so akribisch, bis sein Glanz erlischt, er wühlt sich durch die Archive. Die Ungereimtheiten treten immer stärker zu Tage: Mal wird Schulz dort, mal da, mal mit 15, mal mit 25 Personen erschossen. Martens dekuvriert auch die Legendenschreiber - Selbstdarsteller, Politiker, Journalisten - in Jugoslawien wie in Deutschland.

Er ist aber nicht nur ein penibler Wahrheitssucher, er ist auch ein Erklärer der Lüge. Die Erfindung der Legende vom aufrechten deutschen Märtyrer reflektiert die Sehnsucht nach Zuversicht und Trost angesichts der Brutalität der real existierenden Nazis. Martens zitiert etwa den Österreicher Franz Böhme, der als General in Serbien im Oktober 1941 forderte, für jeden getöteten "Soldaten oder Volksdeutschen" 100 gefangene Geiseln (Kommunisten, des Kommunismus Verdächtigte, Juden, nationalistisch und demokratisch gesinnte Einwohner) zu erschießen.

Zuweilen sorgt man sich beim Lesen, ob Martens seine Geschichte nicht zu Tode recherchiert. Doch am Ende sind alle Schulz-Erfinder und ihre Motive erhellend erklärt, die Schulz-Zweifler werden geehrt. Und Schulz-Aufdecker Martens ist der Sieger unter allen Rechercheuren. Seine Botschaft im Subtext ist: Seid sorgfältig und unbeugsam in eurer Suche nach Fakten und stichhaltigen Argumenten! Martens weiß natürlich, dass so ein Journalismus kaum mehr bezahlt wird. Aber Heldensuche wendet sich an uns alle. Es ist ein Buch über das Verborgensein der Wahrheit und wie unsere leichtfertige Unaufmerksamkeit dazu beiträgt, dass sie nicht zum Vorschein kommt. (Adelheid Wölfl, STANDARD-Printausgabe, 1./2.10.2011)