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Essverhalten und Körpergewicht lassen sich laut Mangge nicht willentlich beeinflussen.

Foto: APA/Waltraud Grubitzsch

Hungrig einkaufen gehen, kann eine teure Angelegenheit sein, egal ob jemand normalgewichtig ist oder nicht. Zu verlockend ist das Angebot, um sich im nüchternen Zustand der visuellen Reizüberflutung zu widersetzen. Wer sparen will, nimmt also vor dem Gang in den Lebensmittelladen am besten einen Happen zu sich. Das Problem: Dieser Tipp gilt nur für schlanke Menschen. Dicke werden auch mit halbvollem Magen magnetisch von hochkalorischen Lebensmitteln angezogen.

„Wir glauben immer noch, dass wir unser Essverhalten und damit unser Körpergewicht willentlich steuern können. Das ist aber in der Regel nicht der Fall", behauptet Harald Mangge, Facharzt für Labormedizin an der Medizinischen Universität in Graz. Jahrelange Forschungen haben seinen Standpunkt bestätigt, Akzeptanz findet dieser aber nach wie vor kaum. In einer großangelegten Studie hat sich Mangge als Projektleiter gemeinsam mit seinem Team vor allem auf übergewichtige Jugendliche konzentriert und dabei unter anderem eine interessante Entdeckung gemacht: Das Gehirn fettsüchtiger junger Menschen reagiert anders auf hochkalorische optische Nahrungsreize. Schuld daran ist unter anderem Insulin.

Insulin schwankt auf hohem Niveau

„Der Insulinspiegel korreliert mit Aktivitäten im Gedächtniszentrum", weiß Mangge. Das bedeutet: Je mehr Insulin im Blut ist, umso stärker zeigt sich bei Betrachtung eines Fotos mit abgebildeter Pizza in der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) eine Aktivität in Hirnregionen, wo das Langzeitgedächtnis vermutet wird (Hippocampus). Das ist auch bei Normalgewichtigen der Fall, jedoch sind diese Menschen hier entscheidend im Vorteil. Zum einen klettert ihr Insulinspiegel nur im nüchternen also hungrigen Zustand in die Höhe und zum anderen ist ihr Langzeitgedächtnis eventuell von vornherein anders geprägt. 

„Wir primen unsere Kinder mit Nahrungsmitteln die unverantwortlich viel Fett und Zucker beinhalten", so Mangge. Nicht zuletzt deshalb sind Im Langzeitgedächtnis erwachsener dicker Menschen haufenweise Bilder hochkalorischer Lebensmittel gespeichert. 

Dazu kommt: Personen mit viel Bauchfett neigen dazu eine Insulinresistenz zu entwickeln, die wiederum mit einer verstärkten Insulinproduktion ausgeglichen werden muss. Diese Tatsache erklärt, warum die Ergebnisse der Grazer Untersuchungen bei Probanden mit Stammfettsucht besonders deutlich ausfielen, schwankt doch ihr Insulinspiegel auch im gesättigten Zustand, weit über dem normalen Niveau. 

Es ist also völlig egal, ob dicke Menschen hungrig oder satt einkaufen gehen, allein die Konfrontation mit optischen Reizen löst einen Kontrollverlust und damit verbunden suchtartiges Essverhalten aus. Allerdings gilt das nur für hochkalorische Lebensmittel. Brokkoli und Karotten beeindrucken das Gehirn Übergewichtiger wenig.

Extrem adipöse Menschen sind krank

Eine aktuelle amerikanische Studie zieht vergleichbare Schlüsse. Hier wird ein niedriger Zuckerspiegel, der parallel auch immer mit einem hohen Insulinspiegel einhergeht, mit einer Aktivierung des limbischen Systems in Zusammenhang gebracht. Augenmerk legten die US-Forscher auf das Striatum und die Inselrinde, beides Hirnregionen, die das Verlangen nach Essen beeinflussen. 

Die Konfrontation der Probanden mit Bildern hochkalorischer Speisen fiel ähnlich aus, wie bei den Forschern aus Graz. Nur wird von den US-Wissenschaftlern der präfrontale Cortex für das unkontrollierte Verlangen adipöser Menschen verantwortlich gemacht. Bei Normalgewichtigen sorgt diese Region im Gehirn dafür, dass das Essen bei steigendem Zuckerspiegel seine Anziehungskraft auch wieder verliert. Dicken Menschen wird ihre Hypoglykämie hier zum Verhängnis, indem sie dafür sorgt, dass der präfrontale Cortex seine Arbeit ganz einfach nicht tut. 

Amerikaner und Österreicher kommen zum selben Ergebnis: Extrem adipöse Menschen sind krank und können ihr Essverhalten derzeit leider nur mit medikamentöser oder chirurgischer Unterstützung nachhaltig verändern. „Wenn man diese Mechanismen im Gehirn besser beeinflussen könnte, dann wäre dicken Menschen wirklich geholfen", resümiert Mangge. Dieser therapeutische Ansatz ist allerdings noch Zukunftsmusik. Wogegen präventivmedizinisch jetzt schon viel getan werden kann, indem bereits Kinder nicht zu Opfern des Nahrungsüberangebotes gemacht werden. (phr, derStandard.at, 05.10.2011)