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95 Prozent der Sozialmärkte können nur dank Spenden, Förderungen und ehren- amtlicher Helfer überleben, sagen Experten. In Wien soll im Frühjahr ein neuer Standort eröffnen. Die Betreiber suchen Flächen in Kagran und in der Leopoldstadt.

Foto: AP/Ronald Zak

Der Bedarf an günstigen Lebensmitteln wächst. Steigende Kosten und schmale Umsätze machen das Überleben der Sozialmärkte aber zur Gratwanderung. Bei Grundnahrungsmitteln verknappt sich das Angebot.

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Wien - Er verstehe Politiker nicht, sagt Alexander Schiel, die sich für die Eröffnung eines Sozialmarktes feiern lassen. "Sie sollen lieber dafür sorgen, dass es nicht nötig ist, einen zu gründen und darauf anstoßen, wenn sie zusperren." Der Wiener führt zwei Sozialmärkte in Hernals und Favoriten, einen dritten will er im Frühjahr eröffnen.

Seine Lebensmittel sind um ein Drittel günstiger als im konventionellen Handel. Zum Einkaufen berechtigt ist, wer nicht mehr als 900 Euro im Monat verdient. 600 Kunden zählt er täglich, die monatlich bis zu 80 Tonnen an Nahrungsmitteln erwerben. Ein Bedarf, den er vor Jahren nicht erwartet habe.

Manfred Kiesenhofer stellte früher in Linz in der Woche 20 bis 30 neue Einkaufskarten aus. Mittlerweile seien es fast doppelt so viel, erzählt der Mitbegründer des ersten Sozialmarktes in Österreich. Der mit seiner Hilfe initiierte gemeinnützige Verein Soma betreibt heute, zwölf Jahre später, mit Partnern 40 entsprechende Geschäfte. "Immer mehr Menschen fallen unter die Armutsgrenze, doch nach außen hin wird das retouchiert. "

Die Hemmschwelle und Scheu, dort einzukaufen seien gesunken, vor allem junge Frauen und Familien ziehe es vermehrt in die Läden. Ein Fünftel der Kunden habe zumindest drei Kinder, 17 Prozent seien alleinstehende Frauen, weiß Helli Schornböck, die einen Markt in Wien-Neubau für das Hilfswerk verantwortet. Mehr als die Hälfte der Wiener Kunden habe Migrationshintergrund, der Anteil der gebürtigen Österreicher aber steigt, ist man sich in der Branche einig.

Selbstläufer sind die Läden dennoch keine. Wachsende Fixkosten von Mieten bis zu Energie machen das Überleben zum Balanceakt. 95 Prozent halten sich nur dank ehrenamtlicher Arbeit, Förderungen und Spenden. Marktkenner warnen vor einem Wildwuchs an Betreibern, denen das ökonomische Know-how und sichere Partner aus Industrie und Handel fehlten.

Jung und wenig Erfahrung

Österreichweit schossen gut 70 Sozialmärkte aus dem Boden. Der Großteil ist nicht älter als drei, vier Jahre, einige stehen finanziell an der Kippe. Die Branche sei ein Experimentierfeld und im Umbruch, resümiert Christina Holweg, die mit Eva Lienbacher Sozialmärkte für die Wiener Wirtschaftsuni auf ihre Wirtschaftlichkeit abklopfte.

Die Hälfte der Geschäfte setze im Monat weniger als 2100 Euro um. Nur die zehn größten erzielten im Jahr mehr als 100.000 Euro - der Schwellenwert, um aus eigener Kraft überlebensfähig zu sein. Der Organisationsaufwand sei in der Regel hoch: Ein Markt brauche oft zehn ehrenamtliche Helfer, da- zu komme eine große Fluktuation an Mitarbeitern, die dort ihren Sozialdienst leisten oder für den Arbeitsmarkt fit gemacht werden.

Holweg bezeichnet Sozialmärkte als treffsicheres Instrument, um Armut zu lindern. Es brauche aber auch im Non-Profit-Bereich mehr Effektivität. Ratsam seien Kooperationen mit der Privatwirtschaft. Das Engagement der Lieferanten gehöre besser ausgeschildert und das Netzwerk von Profis genutzt.

Er habe bis zu 9000 Euro Fixkosten im Monat, rechnet Schiel vor. Förderungen gebe es in Wien keine, seine dritte Filiale, die unterm Strich mehr als 80.000 Euro erfordere, realisiere er dank Spenden.

Weitere Läden vertrage Wien jedoch nicht - auch weil der Handel nicht mehr mitmache. Bei Grundnahrungsmitteln werde es eng, bestätigt Schornböck, überschüssige Ware sei doch auch begrenzt. Als Konkurrenz zu Supermärkten sehen sich die Sozialmärkte nicht. Kiesenhofer: "Was die Menschen bei uns sparen, tragen sie in den konventionellen Handel." (Verena Kainrath, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27.9.2011)