Der Wechsel an der Spitze der Mailänder Tageszeitung "Corriere della Sera" ist in Italien zu einem politischen Fall aufgerückt. Die Demission des Chefredakteurs Ferruccio De Bortoli, der laut Gerüchten wegen des zunehmenden Drucks des Kabinetts von Silvio Berlusconi gegen seine oft regierungskritische Linie den Rücktritt eingereicht hatte, löste heftige Reaktionen aus. Die Journalisten riefen für kommenden Freitag (6. Juni) einen eintägigen Streik aus, die Redaktion wurde mit Solidaritätsbriefen entrüsteter Leser überschwemmt.

"Garantie für Pressefreiheit"

"Wir wollen De Bortoli zurückhaben, der eine Garantie für Pressefreiheit ist", liest man in einigen E-Mails, die in die Redaktion eintrafen. "Wir werden keinen 'Corriere' unter Berlusconi-Kontrolle mehr lesen", schrieben manche Leser. Aus Solidarität mit Chefredakteur De Bortoli wollen sich die italienischen Journalisten dem Streik der "Corriere"-Kollegen am Freitag anschließen.

Divergenzen

Tief greifende Divergenzen zwischen dem Hauptaktionär der Tageszeitung, der Verlagsgruppe RCS, und De Bortoli über die Zukunft des Mailänder Blattes seien die Ursache der Demission, hieß es in gut informierten Kreisen. Die Opposition bemängelte, dass De Bortoli zurücktreten musste, nachdem der Druck der Aktionäre wegen seiner oft regierungskritischen Linie zu stark geworden sei. De Bortoli wurde durch Stefano Folli ersetzt, der seit Jahren politischer Kommentator der Zeitung ist.

Berlusconi dementiert Einflussnahme

Ministerpräsident Berlusconi bestritt am Wochenende, dass er Drahtzieher des Wechsels an der Spitze der Mailänder Tageszeitung "Corriere della Sera" sei. "Ich kann garantieren, dass ich keineswegs den Wechsel an der Spitze der Zeitung beeinflusst habe", so Berlusconi. Telekommunikationsminister Maurizio Gasparri kritisierte den Beschluss der Journalisten, am Freitag in Streik zu treten, um vor den Gefahren für die Medienfreiheit in Italien zu warnen. "Es handelt sich um einen puren politischen Streik gegen die Regierung Berlusconi", so Gasparri.

RAI vs. Mediaset

Das Thema Medienfreiheit beherrscht die Debatte in einem Land, in dem der Regierungschef die stärkste private TV-Gruppe, sowie mehrere Tageszeitungen und Zeitschriften besitzt. Die seit zwei Monaten amtierende Präsidentin des Staatsfernsehens RAI, Lucia Annunziata, warnte vor einer "Verarmung" der öffentlich-rechtlichen TV-Anstalt, in der die politischen Konflikte eskalieren. Die RAI habe bereits mehrere Starmoderatoren verloren, die Gefahr sei, dass das Staatsfernsehen im Konkurrenzkampf gegen den Rivalen Mediaset unter Kontrolle Berlusconis weitere Verluste hinnehmen müsse.

Mediaset wird immer konkurrenzfähiger, geben die RAI-Manager zähneknirschend zu. Im Kampf um die Einschaltquoten feiert Mediaset seit Monaten Erfolge. Die Gruppe ist mit den Sendern Canale 5, Italia 1 und Retequattro die Nummer 1 im italienischen TV-Geschäft und hält einen Marktanteil von über 40 Prozent. Während der Hauptsendezeiten weitete die Mailänder Gruppe ihren Marktanteil im ersten Quartal 2003 um 2,3 Prozent auf 46,2 Prozent aus. (APA)