Von den Arbeitsroutinen bei einem Bestattungsunternehmen aus in einen geordneten Alltag wechseln: Kogler (Thomas Schubert), der jugendliche Held aus Karl Markovics' "Atmen".

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Neoregisseur Karl Markovics: "Das Streben, Filme zu machen, hatte ich schon lange."

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Dominik Kamalzadeh sprach mit dem Allrounder über Wien-Bilder, Pubertätsgefühle und neue Horizonte.

Wien - Atmen, das Regiedebüt von Karl Markovics, begleitet den 18-jährigen Kogler (Thomas Schubert) bei seinen Freigängen aus der Jugendstrafanstalt - genau genommen sind es Versuche, sich das Fundament eines Daseins aufzubauen. Justament in einem Bestattungsunternehmen beginnt der Einzelgänger seine erste geregelte Arbeit, die ihn indirekt auch zur Suche nach seiner ihm unbekannten Mutter inspiriert. In konzentrierten Breitwandbildern (Kamera: Martin Gschlacht), die zwischen Milieurealismus und symbolbeladeneren Szenen wechseln, inszeniert Markovics eine langsame Passage in die Freiheit. Ein warmer, emphatischer Film um einen Helden, der mit seinem Leben ins Reine kommen will.

STANDARD: Ein zentraler Schauplatz von "Atmen" ist ein städtisches Beerdigungsunternehmen. Was hat Ihnen an diesem morbiden Ort so gut gefallen?

Markovics: Die Herausforderung bestand eigentlich darin, von der Morbidität wegzukommen, die dem Wiener gerne nachgesagt wird. Ich wollte eine handfeste Geschichte, eine Arbeitergeschichte um den Tod herum erzählen. Das Bestattungsunternehmen als Dienstleistung und der Tod, salopp gesagt, als Arbeitgeber: Mich hat interessiert, wie hier von einer bestimmten Schicht mit dem Nicht-mehr-Mensch-Sein umgegangen wird - losgelöst von schwarzem Humor, Endlichkeitsgedanken und Ähnlichem. Es ging darum, den Tod zu benützen, um eine Geschichte übers Leben zu erzählen.

STANDARD: Gab es denn einen Auslöser, diese Arbeit mit und an Toten zu zeigen?

Markovics: Meine Geschichten entstehen immer aus einem Einzelbild, das meine Neugier gefangen nimmt - dann versuche ich, über die Ränder hinauszugehen, hinter und unter das Bild zu schauen. Hier war es das Bild einer Altbauwohnung mit einer toten alten Frau. Die Hauptfigur kam erst später hinzu. Ich wusste nicht gleich, was ich mit einem 18-Jährigen bei der Bestattung anfangen sollte. Der Zufall spielt da bei mir eine große Rolle.

STANDARD: Die Entwicklung des jungen Mannes, von der Sie erzählen, entstand also eher indirekt?

Markovics: Es ist ein seltsamer Prozess, ein wenig wie eine Erinnerung. Die Basis der Geschichten ist so konkret, als hätte ich es selbst erlebt. Man macht sich auf die Suche danach, will sich an etwas Nichterlebtes erinnern - und dann fließt tatsächlich Erlebtes hinein.

STANDARD: Was zum Beispiel?

Markovics: Vor allem die Hauptfigur: Das Gefühl als 16-, 17-Jähriger um sich herum ein Gefängnis zu spüren, nicht zu wissen, wie man an der Welt Anteil nehmen kann, ist mir aus der Pubertät vertraut. Wie in jeder Form von Kunst durchläuft das eine Metamorphose, denn das unmittelbar Biografische erscheint einem ja nie als interessant genug.

STANDARD: "Atmen" ist auch ein Wienfilm - das altvaterische Wien wechselt sich mit moderneren Ansichten ab. Ein persönliches Bild?

Markovics: Vieles kommt wohl aus der eigenen Wahrnehmung als Jugendlicher. Ich bin am Stadtrand aufgewachsen und bin dann immer mit der Schnellbahn nach Floridsdorf gefahren. Schon durch die winterliche Jahreszeit entsteht im Film das Bild eines grindigen Wiens, wie man es aus den 80er-Jahren kennt. Eine Institution wie die Bestattung, bei der sich seit den 70ern kaum etwas verändert hat, leistet ein Übriges. Es war aber auch in der Geschichte so angelegt, das Satellitendasein der Figur im öffentlichen Raum zu zeigen.

STANDARD:Die Öffnung des Helden, von der der Film erzählt, ist verhalten optimistisch. Wollten sie sich vom oft bemühten heimischen Defätismus abgrenzen?

Markovics: Ich würde es nicht Abgrenzung nennen, es ist meine Denkweise - schon im Erfinden dieser Geschichten versuche ich Horizonte zu öffnen. Und selbst wenn sie es am Ende gar nicht schaffen, möchte ich den Figuren Möglichkeiten gewähren. Der Platz dafür soll da sein, auch wenn sie ihn gar nicht füllen.

STANDARD: Geht es beim Regieführen auch um Befreiung? Versucht man selbst eine Welt zu erschaffen, anstatt Teil von der eines anderen zu sein?

Markovics: Mit Sicherheit. Aber es ist Befreiung und Anmaßung zugleich, zum Schöpferischen gehört beides dazu. Man will der kleine Gott sein, es ist eine spielerische Lust, die den Zusatzwert hat, dass man sich mit dieser Welt wirklich beschäftigen muss, um sie plausibel zu machen. Man taucht in Figuren ein und muss sich fragen, was man transportieren will und wie man es vermittelt.

STANDARD: Gab es einen bestimmten Grund, warum es gerade jetzt so weit war, dies umzusetzen?

Markovics: Meine Frau hat daran großen Anteil. Sie hat miterlebt, wie viele Ideen ich wieder verwarf, und sah meine wachsende Unruhe. Sie ist der Grund, warum ich endlich einmal etwas zu Ende erzählt habe. Ich stand mir selbst im Wege, da ich mein schlimmster Scharfrichter bin. Zugleich geht es auch um die Überwindung von Feigheit, denn solange etwas in der Schublade ist, kann ich immer noch denken, dass es wohl ein geniales Werk gewesen ist. Man betrügt sich stets auf mehrere Arten.

STANDARD: Sie vereinen unterschiedliche Aktivitäten in sich, überbrücken damit auch Gräben. Fällt Ihnen das leicht?

Markovics: Ich habe nie zünftisch gedacht. Mich nicht zuordnen zu wollen kommt von meiner bedingungslosen Neugier: Ich mag das Unbekannte lieber als das Vertraute. Es kommt nicht von ungefähr, dass ich beim Serapionstheater begonnen habe, wo man eine Produktion aus dem Nichts entwickelt hat und dann nicht nur auf der Bühne stand, sondern überall mithalf. Lange fehlte mir dieser Produktionsprozess - in Häusern wie dem Volkstheater gibt es ja für alles Leute! Mir kam das vor, als würde man stückweise Eigenverantwortung abgeben.

STANDARD: Aber braucht es nicht viel Energie, die Öffentlichkeit immer wieder neu zu überzeugen?

Markovics: Gerade nach Kommissar Rex habe ich gemerkt, wie schwierig es ist, in der öffentlichen Wahrnehmung als etwas anderes ernst genommen zu werden. Aber Erfolg ist nur ein momentanes Glücksgefühl, nichts, auf das man sich zurückziehen kann. Ich habe stets das Unerwartete gesucht, hätte nie Traumrollen benennen können. Egal, ob es das Burgtheater, Hollywood oder Castorfs Volksbühne ist - das sind alles nur Namen. Erst wenn ich wo bin und arbeite, entsteht für mich Bedeutung. Chance und Risiko müssen sich dabei die Waage halten. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD - Printausgabe, 24./25. September 2011)