Es liegt was in der Luft. Angesichts der 1920er-Jahre-Nostalgie, die zum Ende der New Yorker Modewoche aufkam, könnte man auf einen strengen Lavendel-Duft tippen. Gleich zwei Designer, Ralph Lauren und Marc Jacobs, wiegten sich am letzten Tag des Modemarathons (gezeigt wurden die kommenden Frühjahrskollektionen) zu den Klängen imaginärer Jazzcombos. Topfhüte, tiefe Taillen, Bubikrägen und Boas kündeten von einer Sehnsucht nach dem Geiste beschwingter Ballsäle. Wobei zumindest Marc Jacobs durch den Einsatz von Plastikpailletten und geraffter Nylonröcke den Bezug zur Gegenwart nicht ganz vergaß. Bei Ralph Lauren wäre auch der Auftritt von Fred Astaire keine Überraschung gewesen.

Dabei präsentierte sich die Mode in den zehn Tagen zuvor alles andere als vergangenheitsselig - dafür kreischend hysterisch. Da wurde diskutiert, ob Victoria Beckhams Show justament zu jenem Zeitpunkt stattfinden müsse, an dem die Twin Towers krachten, da wurde debattiert, wer denn nun der beste aller Jungdesigner sei, Alexander Wang, Prabal Gurung oder doch vielleicht Thakoon, da wurde aufgeregt über die vielen Stars in der ersten Reihe getuschelt. Einen Blick auf sie erhaschte allerdings nur derjenige, der die strengen Einlasskontrollen samt Barscannern und ID-Kontrollen bestand.

Weitaus stärker als in Mailand oder Paris infiziert die Modewoche in New York die ganze Stadt. Dafür sorgen nicht zuletzt ganze Heerscharen von Bloggern und Streetstyle-Fotografen. Bei bis zu sechs Modeschauen in der Stunde geht der Überblick allerdings schon einmal verloren.

Aber den hat in der Mode derzeit sowieso kaum einer. Sei es, dass noch immer nicht klar ist, ob Marc Jacobs von Louis Vuitton zu Dior wechselt (es spießt sich laut Women's Wear Daily am Gehalt im unteren achtstelligen Bereich) und damit ein Postenkarussell in Gang setzen würde, sei es, dass manche der gezeigten Kleider per Internet auch von Privatpersonen sofort geordert werden können, während man für das Gros bis auf kommendes Frühjahr warten muss, sei es, dass es in etwa gleich viele Trends gibt wie Designer, die ihre Kollektionen zeigen. Von Letzteren gibt es auf der New York Fashion Week über 400. Kein Wunder, dass sich manche in dieser Saison nahezu verzweifelt an Schlagworte wie "starke Farben", "Blumenmuster" oder "Rocklängen bis über die Knie" klammern.

Kopie der Sanduhren-Silhouette

Das bedeutet allerdings noch lange nicht, dass eine Kollektion, auf die diese Schlagworte zutreffen, auch überzeugen muss. Die Mulleavy-Schwestern, die mit ihrem Label Rodarte derzeit zu den meistbeachteten US-Designern zählen, landeten diesmal sogar einen richtigen Flop. Ihr Ausgangspunkt war van Gogh, seine Sonnenblumen, seine charakteristischen Pinselstriche, seine vibrierenden Farben. Doch die Umsetzung mutete entweder ziemlich altmodisch an, wie eine Kopie der Sanduhren-Silhouette der 1950er-Jahre, oder wie im Falle einiger geometrischer Cocktailkleider als hoffnungslos überkonstruiert. Ein glücklicheres Händchen hatte da schon Alexander Wang.

Den jungen Designern kommt in New York mindestens genau so viel Aufmerksamkeit zu wie den Altmeistern. Ja, während man die Namen von Jungdesignern in Europa kaum buchstabieren kann, sind Namen wie Derek Lam, Altuzarra oder Phillip Lim hier in aller Munde. Und das, muss man sagen, durchaus zu Recht. Während sich Designer wie Michael Kors (er zeigte eine eingängige Safari-Kollektion) oder Oscar de La Renta (edelste Upper-East-Side-Roben) in erster Linie selbst zitieren, sind es die jungen, die das Rad hier am Laufen halten.

BMX-Fahrer als Vorbild 

Alexander Wang ist ein Meister darin, sei es als Begleiter der richtigen It-Girls auf den richtigen Partys, sei es, indem er ihnen die richtigen Kleider auf den Leib schneidert. Diesmal hat er an Motocross- und BMX-Outfits Maß genommen, ohne allerdings am Thema kleben zu bleiben. Kleider in Metallicfarben mit riesigen Hosentaschen und Zipp-Verschlüssen wechselten mit Jumpsuits mit Lederapplikationen an Ärmel und Krägen oder weiten, futuristischen Pullis. Durchsichtige Inserts und Lochmuster verstärkten das Spiel mit der zweiten Haut.

Diese prägte auch die Kollektion von Diesel Black Gold, der Designlinie des Streetwear-Labels Diesel, das von der Griechin Sophie Kokosalaki verantwortet wird. New York ist neben der Stadt der Jungdesigner auch jene der Sportswear, weswegen hier auch Labels wie Y3, G-Star, Lacoste (hier konnte der neue Designer Felipe Oliviera Baptista mit einer ungewohnt pariserischen Kollektion punkten) oder eben Diesel ihre Kreationen auf dem Laufsteg zeigen - beziehungsweise auf dem Betonboden einer Lagerhalle am Hudson.

Bei Diesel strahlte es gleich in mehrerer Hinsicht: zum einen, weil die Kollektion mit Bikerjacken, Hotpants und Wickelröcken in metallic- und golden schimmerndem Leder aufwartete, zum anderen weil Kokosalakis Kollektion einen richtig erwachsenen Eindruck machte. Tops aus Neopren über langen Streifenblusen sahen nicht deplatziert aus, Bustierkleider bekamen durch eine Art Gürtelschnallen als Träger einen sportlichen Touch.

Letztere gab es übrigens auch bei Victoria Beckham zu sehen - bzw. an ihren hautengen Schlauchkleidern. Beckham wagte sich in der Public Library das erste Mal mit ihrer Mode auf den Laufsteg. Sexy, aber stimmig: Selbst einige flache Schuhe waren dabei. Wer hätte das gedacht.(Stephan Hilpold aus New York; DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17.9.2011)