Hegel und Marx als Grundlage einer Gegenwartskomödie: Karin Viard als Haushaltshilfe und Gilles Lellouche als Broker in "Mein Stück vom Kuchen/Ma part du gâteau" von Cédric Klapisch.

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"In Wahrheit sind diese Figuren noch unglaublicher": Cédric Klapisch.

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Cédric Klapisch hat im französischen Kino eine Sonderstellung. Den intellektuellen Erben der Nouvelle Vague gilt er häufig als zu populistisch, zum Mainstream hält er aber auch Distanz. In seiner neuen Komödie Mein Stück vom Kuchen erzählt er von einer Begegnung zweier meist fein säuberlich voneinander geschiedener Welten: Der Kapitalist Steve (Gilles Lellouche) trifft auf die Arbeiterin France (Karin Viard), die er als Haushaltshilfe einstellt und anfangs kaum bemerkt.

Standard: Sie erzählen von einem Finanzspekulanten, der glaubt, er könne sich alles leisten. Die Aktualität des Stoffes liegt auf der Hand. Wie kamen Sie dazu?

Klapisch: Es war ganz einfach eine Reaktion auf die Fernsehnachrichten. Es war ja so, dass am offiziell verkündeten Ende der Finanzkrise der Anfang einer anderen Krise stand: einer sozialen Krise. Zwei Themen fielen mir seit 2008 auf: das der Arbeiter, die sich gegen ihre Bosse wehren, und das der Banker, die sofort wieder dieselben Boni bezahlt bekamen wie davor. Diese konstrastreiche Situation wollte ich darstellen.

Standard: Wie sehr haben Sie sich bei der Gestaltung des Films, der auch eine Komödie ist, von Realismus leiten lassen? Ist die Figur des Brokers Steve nicht eher Karikatur?

Klapisch: Der Film ist leider sehr realistisch. Ich habe intensiv recherchiert, und ich sage Ihnen: Ich musste dann die Realität fast wieder ein wenig ausradieren, gerade weil sie so stark nach Karikatur aussieht, dass mir niemand mehr glauben würde. In Wahrheit sind diese Figuren noch viel unglaublicher.

Standard: Steve wird nach Paris versetzt, wo er eine Haushaltshilfe braucht. So trifft er France, die aus der Arbeiterkultur von Dünkirchen stammt. Was zwischen diesen beiden geschieht, hat Elemente eines Märchens.

Klapisch: Man könnte von einem philosophischen Märchen wie bei Voltaire sprechen. Ich wollte mir keine unglaubwürdige Geschichte ausdenken, sondern Reflexion auf die Aktualität auslösen.

Standard: Vor der Begegnung mit France fährt Steve noch mit dem Model Tessa nach Venedig. Was dort geschieht, ist nur eine Episode - aber für den ganzen Film zentral. Um welche Balance ging es da?

Klapisch: Die Szene ist tatsächlich entscheidend, und sie war sehr schwierig. Tessa schläft schließlich mit Steve, obwohl sie eigentlich nicht will. Das Geschehen musste hart an der Grenze der Vergewaltigung sein, durfte diese Grenze aber nicht überschreiten. Die Frage ist: Wie weit kann Geld Menschen bringen? Sie ist ja keine Prostitutierte, und doch kommt sie ihm entgegen.

Standard: Mit dieser gefühlsmerkantilen Schlüsselszene wird vorbereitet, was sich zwischen Steve und France entwickelt. Eine Begegnung der Gegensätze, die anfangs vielversprechend verläuft.

Klapisch: Ich wollte zunächst zeigen, dass dieser Mann zwar vor allem Geld, aber auch etwas Gewinnendes hat. Er ist sehr besitzergreifend, aber eben auch attraktiv. Mit seiner Putzfrau ist das anders. Sie ist plötzlich unersetzlich, so entsteht eine Beziehung, die auf Komplizenschaft beruht. Ich bin dabei von einem berühmten Text von Hegel ausgegangen, in dem die Dialektik von Herr und Knecht entwickelt wird. Ich nehme diese Stelle, die eine Grundlage des Marxismus bildet, als Grundlage für eine Komödie: Ein Knecht kann seinen Meister beherrschen.

Standard: Die Region, aus der France kommt, ist im gegenwärtigen französischen Kino stark besetzt.

Klapisch: Der Film über die Sch'tis hat klargemacht, dass es Leute im französischen Kino gab, die nie gezeigt worden waren. Ich habe bemerkt, dass ich noch nie Arbeiter gezeigt hatte. Ich habe mich dann für Dünkirchen entschieden, weil es dort eine Arbeiter- und Gewerkschaftskultur gibt, die sehr spezifisch ist. Man sieht vor allem in den Karnevalszenen, dass es da einen Zusammenhalt gibt. Man fasst sich unter den Arm.

Standard: Geht es um einen positiven Populismus, einen Populismus, der nicht auf der Seite des Ressentiments steht?

Klapisch: Ich hatte immer diesen Song von Patti Smith im Ohr: People Have the Power. Das ist die Idee der Demokratie, wie ich sie auch vertrete: Das Volk hat die Macht. Derzeit hat das Volk keine Macht. Aber wenn ich Filme machen könnte, die dieser Idee wieder zu mehr Kraft verhelfen, dann würde ich das machen.

Standard: Das Risiko dieses Populismus ist eine Sentimentalität, die den Blick auf die Verhältnisse trübt. Wie vermeidet man die?

Klapisch: Das Wichtigste ist, dass einem diese Gratwanderung bewusst ist. Ich mag die Filme von Frank Capra, der in diesem Zusammenhang sicher das Schulbeispiel ist, und gerade in diesem Bereich liegen oft auch die Probleme mit seinem Filmen. Wenn ich aber ans Ende von It's a Wonderful Life denke, dann bin ich da auf jeden Fall dafür. Dieses Bild des Zusammenhalts ist einfach stark. Aber es ist heute sicher leichter für einen zynischen Regisseur, Erfolg zu haben, als für einen sentimentalen. Da riskiere ich lieber Kitsch. (Bert Rebhandl, DER STANDARD/Printausgabe 14. September 2011)