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Breitbandversorgung ist nicht nur eine technische Entwicklung, sondern auch eine gesellschaftliche und politische Frage

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Georg Serentschy im Interview

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Die Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH (RTR-GmbH) hat sich in der letzten Zeit sehr intensiv mit dem Thema Breitbandversorgung auseinandergesetzt: sowohl im Kommunikationsbericht für das Jahr 2010 als auch in einer Studie zu Nutzern und Nutzerverhalten.

Im Festnetzbereich geht der Ausbau des Glasfasernetzes voran; damit zusammenhängend wird die „Virtuelle Entbündelung" derzeit verhandelt. Im Mobilfunkbereich - der zunehmend wichtiger wird - ist neben dem technischen Ausbau auch die anstehende Vergabe der Digitalen Dividende ein wichtiges Thema.

Breitbandversorgung sollte aber nicht auf die Frage des Angebots reduziert werden. Dr. Georg Serentschy, Geschäftsführer der RTR-GmbH für den Fachbereich Telekommunikation und Post, sieht im Interview in dem Thema Nachfragestärkung eine wichtige Aufgabe an die gesamte Gesellschaft:

derStandard.at: Welches sind die wichtigsten Themen der Breitbandentwicklung in Österreich?

Serentschy: Es gibt zwei übergeordnete Themen: Versorgung und Nachfrage. Wir hatten auf der Telekomtagung in Salzburg am 25./26. August einen sehr interessanten Vortrag aus Dänemark, einem auf dem Breitbandsektor sehr hoch entwickelten Land. Dort zeigt sich ein ähnlicher Effekt wie bei uns: Je höher die angebotene Bandbreite desto geringer ist der Prozentsatz von Menschen, die solche Produkte kaufen. Das 100 Mbit-Angebot, das in Österreich in allen Ballungsgebieten erhältlich ist, kaufen nur relativ wenig Kunden - wir hören von einstelligen Prozentsätzen. Das zeigt ganz deutlich die Notwendigkeit der Stärkung der Nachfrageseite. Wenn wir die Entwicklung der digitalen Gesellschaft und digitalen Ökonomie vorantreiben wollen, dann muss man beide Seiten des Marktes betrachten. Die Angebotsseite, das heißt gibt es für alle die Möglichkeit, überall auf das Internet zuzugreifen und die Nachfrageseite: Wir müssen die Menschen dazu befähigen, mit dem Internet umzugehen.

Wir haben im Frühjahr dieses Jahres eine Offliner-Studie erstellt: Warum sind Menschen offline? Was für mich das Interessante ist: Zirka 50 Prozent der Menschen, die offline sind, sagen: „Ich bin offline, weil das für mich nicht interessant ist". Diese „Offliner" haben zwar die angebotsseitige Möglichkeit, das Internet zu nutzen, aber sie wissen nicht, was sie damit anfangen sollen. Das ist ein Zeichen für mich, dass wir auf der Nachfrageseite durch die ganze Gesellschaft etwas tun müssen. Die Menschen sollten neben Lesen, Schreiben, Rechnen auch den Umgang mit dem Internet lernen.

derStandard.at: Wie ist der technische Stand der Entwicklung?

Serentschy: Es gibt zurzeit eine große Netzerneuerung sowohl im Festnetz- als auch im Mobilfunkbereich. Im Festnetzbereich war es die Einführung der neuen Koaxialkabeltechnologie DOCSIS 3.0. Diese Kabeltechnologie macht es möglich, mit den bestehenden Kabeln, die ursprünglich nur für die Verbreitung von Fernsehsignalen gedacht waren, eine Internetverbindung mit 100 Mbit im Download und 10 Mbit im Upload dem Kunden zur Verfügung zu stellen.

Im Bereich der Kupferzugangsleitungen, das Netz, das in Österreich die A1Telekom betreibt, ist Glasfaser auf dem Vormarsch. Die verbleibende Kupferleitung wird immer kürzer: FTTC - Fiber-to-the-Curb (Glasfaserleitung bis zum Verteilerkasten auf der Straße), FTTB - Fiber-to-the-Building (Glasfaserleitung geht bis in den Keller) oder FTTH - Fiber-to-the-Home (gar keine Kupferleitung mehr, die Glasfaserleitung geht bis in die Wohnung). Die Entwicklung hin zu FTTH ist ein evolutionärer Prozess. In dem Moment, wo ich Glasfaser in der Wohnung habe, kann ich prinzipiell jede Bandbreite bekommen, ohne praktische Limitation nach oben, die üblichen Angebote liegen derzeit so wie beim Koaxialkabel: 100 Mbit im Download und 10 Mbit im Upload. Diese Entwicklung wird NGA („New Generation Access") genannt.

derStandard.at: Wie sieht es auf der Mobilfunkseite aus?

Serentschy: Auf der Mobilfunkseite gibt es auch eine technologische Weiterentwicklung: LTE (Long Term Evolution), die vierte Generation des Mobilfunks. LTE ist eine reine Datentechnologie. Mit LTE kann dem Kunden bis zu 100 Mbit über die sogenannte Luftschnittstelle - das ist die Strecke von der Antenne zum Gerät des Endkunden - zur Verfügung stellen. Zu beachten ist jedoch, dass die Luftschnittstelle, ein sogenanntes „Shared Medium" ist: Die Übertragungskapazität wird geteilt zwischen allen Nutzern in der jeweiligen Funkzelle.

Damit über die Luftschnittstelle überhaupt irgendetwas übertragen werden kann, braucht man ein Stück des elektromagnetischen Spektrums - landläufig „Funkfrequenzen" genannt. Spektrum ist eine Engpass-Ressource, die es nur einmal gibt. Deswegen muss diese Ressource staatlich bewirtschaftet werden. Wir werden nächstes Jahr voraussichtlich in einer Multiband-Auktion die Frequenzen der Digitalen Dividende versteigern, das sogenannte 800 MHz-Band. Wir werden darüber hinaus auch die Frequenzen neu vergeben, die bisher nur für GSM vorgesehen sind, das sind das 900 MHz- und das 1.800 MHz-Band. Das 800 MHz- und das 900 MHz-Band haben den großen Vorteil, dass man damit vor allem rurale Gebiete effizient versorgen kann. Wir beabsichtigen einen Schwerpunkt darauf zu legen, dass diese Frequenzen bevorzugt in den ländlichen Gebieten zum Einsatz kommen.

derStandard.at: Was sahen die Verpflichtungen vor, die der A1Telekom im vergangenen Jahr auferlegt wurden?

Serentschy: Uns ist die Wettbewerbslandschaft wichtig. Glasfaserausbau ist ein langfristiges Investment, das gemacht werden muss, auch für die Anbindung der Mobilfunkstationen. Es gibt nur ein flächendeckendes Netz in Österreich, das der A1Telekom. Das muss schrittweise mit mehr Glasfaser umgebaut werden. Das ist eine sehr aufwändige und risikoreiche Investition, die sich über viele Jahre amortisieren muss. Wir müssen eine Gratwanderung gehen zwischen ausreichenden Investitionsanreizen für den Investor - in dem Fall die A1Telekom - und ausreichenden Möglichkeiten für die Wettbewerber zum Beispiel UPC, Tele2 und anderen.

Das Konzept, das wir in der EU dafür anwenden, ist anders als in Nordamerika und Asien. Es sieht eine gewisse Risikoverteilung zwischen Investor und Nachfrager über Aufschläge auf die Zugangspreise vor. Der Wettbewerber, der die neue glasfaserbasierte Zugangs-Infrastruktur der A1Telekom nützen will, bezahlt für die Nutzung der Infrastruktur einen Preis plus einem Risikoaufschlag, der regulatorisch festgelegt wird. Über diesen Aufschlag wird ein Teil des Investitionsrisikos durch den alternativen Anbieter mitgetragen.
Wir verhandeln derzeit mit der A1Telekom und alternativen Anbietern, wie das Großhandelsprodukt „Virtuelle Entbündelung" technisch spezifiziert und preislich gestaltet sein soll, damit beide Seiten zufrieden sind. Wenn das Produkt zu teuer ist, wird es keiner nachfragen. Wenn es zu billig ist, wird die A1Telekom Glasfaser nicht ausbauen. Die Bezeichnung „Virtuelle Entbündelung" entstand in Anlehnung an die bestens etablierte physische Entbündelung in den herkömmlichen Kupfernetzen. Im neuen Glasfasernetz („NGA") braucht man ein Produkt, das die Entbündelung virtuell nachbildet. Es soll ein Produkt sein, mit dem man alle Kundenwünsche erfüllen kann, Breitband Internet, Telefonie und z.B. auch ein Medienprodukt, mit dem man interaktives Fernsehen machen kann. Das Produkt „Virtuelle Entbündelung" haben wir vor einem Jahr durch den Bescheid grundsätzlich festgelegt und die Telekom verpflichtet, dieses anzubieten.

derStandard.at: Wie ist der Stand der Umsetzung?

Serentschy: Es geht jetzt an die konkrete Detailausstattung. Dabei ist mir Schnelligkeit wichtiger als die letzten wenigen Prozent an Wünschen, die man auch noch einbauen könnte. Es gibt ein Angebot der A1Telekom, das für die alternativen Anbieter noch unzureichend ist. Mir ist wichtig, dass es schnell in den Markt kommt. Der Appell an alle Beteiligten ist, die Ansprüche nicht zu übertreiben. Wichtig ist, dass möglichst rasch die Kunden versorgt werden. Dann schauen wir in den nächsten Monaten, im nächsten Jahr, wie man die „Virtuelle Entbündelung" noch verbessern kann.

derStandard.at: Ist Netzneutralität eine Aufgabe für den Gesetzgeber oder sichert der freie Wettbewerb die neutrale Übermittlung?

Serentschy: Der Datenverkehr explodiert exponentiell. Aber: Wer bezahlt für den notwendigen Ausbau der Netze? Am Anfang war das Internet eine basisdemokratische Geschichte, alle Nutzer und ihre jeweiligen Ansprüche waren gleich wichtig. Aus dieser „Netzromantik" ist auch eine gewisse Gratismentalität im Internet entstanden. Tatsache ist, dass die Netzbetreiber vor riesigen Investitionswellen stehen. Es erhebt sich daher die Frage, ob vor diesen Investitionsnotwendigkeiten das alte Paradigma in Zukunft aufrecht erhalten werden kann. Andererseits muss man einräumen, dass kleinere Content-Anbieter nicht an den Rand gedrängt werden dürfen. Es wäre schlecht, wenn innovative Firmen keine Chancen haben, die Möglichkeiten des Internets zu nutzen. Auch Google hat einmal „klein" angefangen.
Mir ist vorrangig die Transparenz gegenüber dem Endkunden wichtig. Wenn es Gold-, Silber- und Bronzekunden, mit unterschiedlichen Anforderungen gibt, die unterschiedliche Preise bezahlen, dann müssen die unterschiedlichen Quality of Services dem Kunden transparent sein. Das heißt zum Beispiel: Ein Kunde, der geringere Anforderungen hat, das heißt nur ein paar Mails versendet oder im Internet surft, zahlt viel weniger und bekommt seine E-Mail beispielsweise zwei Minuten später. Ein Kunde hingegen, der eine Videokonferenz schaltet, zahlt deutlich mehr, seine Bits werden zeitgenau transportiert. Wir müssen offen sein für neue Geschäftsmodelle im Internet.

Tatsache ist, dass die bisherigen ökonomischen Modelle über den Haufen geworfen wurden. Wir haben das Phänomen der sogenannten Over-the-Top-Players, Content Anbieter beispielsweise YouTube, die sehr viel Netzlast erzeugen. Es ist Aufgabe des Netzbetreibers, sein Netz zu optimieren und zu managen. Dafür muss er wissen, welche Verkehrsarten gibt es in dem Netz, was passiert in dem Netz. Es geht dabei nicht um die Inhalte, sondern um die Frage der Anwendungsarten. Wir hatten den Fall, dass Netzbetreiber den Skype-Verkehr sperrten. Skype ist ein Over-the-Top-Player; er setzt auf ein bestehendes Geschäftsmodell auf und kannibalisiert gleichzeitig dieses Geschäftsmodell. Da muss man schon ein gewisses Verständnis dafür haben, dass der Netzbetreiber sagt, er kann auf diese Weise sein Geschäftsmodell nicht aufrechterhalten.

derStandard.at: Das ökonomische Modell wird aber so aussehen, dass sich der Endkunde für ein Grundversorgungsdienst oder ein Premium-Internet entscheidet?

Serentschy: Der Kunde entscheidet sich für ein Produkt. Es gibt klar beschriebene Produkte, kategorisiert nach Quality of Service. Der Kunde muss überprüfen können, ob das, was er gekauft hat, auch wirklich bei ihm ankommt. Wenn wir zu anderen Geschäftsmodellen kommen wollen - und ich glaube dass das notwendig ist -, dann kann es keine „bis zu 8 Mbit"-Produkte mehr geben, sondern Produkte mit einer garantierten Mindestbandbreite und anderen Qualitätsparametern. Der Kunde muss die Möglichkeit haben, selbst zu überprüfen, ob das, was er bekommt und bezahlt, auch das ist, was er bestellt hat. Dieses Thema beschäftigt uns im Rahmen des neuen Telekomgesetzes, das sich gerade in der Novellierung befindet. Da wird das Thema Stärkung der Nachfrageseite ein Schwerpunkt sein: das Empowerment der Endkunden. (Markus Drenkhan, derStandard.at, 1. September 2011)