Wien - Eine gemischte Bilanz haben am Donnerstag sowohl Parteien als auch NGOs nach einem Jahr Bedarfsorientierter Mindestsicherung gezogen.

Die Armutskonferenz kritisierte, dass von einer österreichweit einheitlichen Sozialhilfe nach wie vor nicht die Rede sein könne. Es habe weiterhin jedes Bundesland "seine eigene Mindestsicherung". Die Höhe, die der Mindestpension entspricht, reiche nicht aus, wenn man Miete und Energiekosten abzieht, bleibe zum Leben nur mehr ganz wenig übrig. Positiv findet die Armutskonferenz, dass alle Bezieher der Mindestsicherung jetzt auch krankenversichert sind. Ein Wermutstropfen dabei sei allerdings, dass sich viele die Selbstbehalte für Heilbehelfe nicht leisten könnten.

Landau: Zu lange Wartezeiten

Für den Wiener Caritasdirektor Michael Landau war die Einführung der Mindestsicherung "ein erster wichtiger und sinnvoller Schritt, um Österreich ein Stück armutsfester zu machen." Gleichzeitig sieht Landau im Praxistest neben Verbesserungen aber auch Verschlechterungen und ungelöste Probleme. So komme es im Vollzug auf den Ämtern zu langen Bearbeitungszeiten. "Wartezeiten bis zu drei Monaten sind keine Seltenheit."

Martin Gleitsmann, der Leiter der Abteilung für Sozialpolitik in der Wirtschaftskammer, sieht bei der Mindestsicherung noch nicht alle Hausaufgaben erfüllt. Neben der Geldleistung müsse nun die Aktivierung der Bezieher klar im Vordergrund stehen, um die Bezieher stärker in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Sonst helfe die Mindestsicherung weder den Beziehern noch den ohnehin leeren Sozialhilfekassen. Zudem plädiert der Wirtschaftskammer-Experte für eine stärkere Einbeziehung der Länder und Gemeinden.

Öllinger: "Mindestsicherung ist reformbedürftig"

Positiv fiel die Bilanz der ÖVP aus, die vor der Einführung noch skeptisch gewesen war. Sozialsprecher August Wöginger bezeichnet die Mindestsicherung als "wichtige Hilfe für jene, die wirklich Hilfe benötigen. Diese finanzielle Unterstützung ist aber keine Hängematte, sondern ein Sprungbrett für das Erwerbsleben". Für Wöginger ist die Mindestsicherung nicht nur "ein Instrument zur Armutsbekämpfung", sondern auch eine "wichtige und notwendige Vereinfachung und Vereinheitlichung im österreichischen Sozialsystem".

Das sehen die Grünen ganz anders. Für Sozialsprecher Karl Öllinger ist ein Jahr Mindestsicherung "leider kein Grund zu feiern. Sie war schon von Beginn an nur eine Minisicherung. In der Praxis ist sie leider auch ein Papiertiger. Wer auf Minisicherung angewiesen ist, kriegt unter unzumutbaren Schikanen nur drei Viertel dessen, was in Österreich als Armutsgefährdungsschwelle gilt", kritisierte Öllinger. Für ihn ist die Mindestsicherung dringend reformbedürftig. "Denn derzeit ist sie leider kein Trampolin, sondern ein in Cosa-Nostra-Manier angelegter Betonpatschen. Menschen in Notlagen werden in die Tiefen der Armut versenkt und dort festgehalten."

FPÖ: Fehlende Kontrolle

Auch FPÖ-Vizeparteichef Norbert Hofer bemängelt, dass die Mindestsicherung oft zu einer Verschlechterung für die Betroffenen geführt habe, weil die Bundesländer unterschiedlich vorgehen. Er kritisierte, dass fehlende Kontrolle zu Missbrauch führe und bekräftigte die FPÖ-Forderung, die Mindestsicherung nur für Inländer auszuzahlen. An Drittstaatsangehörige sollte die Auszahlung überhaupt eingestellt werden, an EU-Bürger sollte sie nur dann ausgezahlt werden, wenn mit deren Herkunftsländern Abkommen über die Ermittlung von Vermögenswerten bestehen.

Gegen die bedarfsorientierte Mindestsicherung und für das BZÖ-Modell des Bürgergelds sprach sich BZÖ-Sozialsprecher Sigisbert Dolinschek aus. Ziel müsse sein, eine Hilfe in Notsituation wie vorübergehender Arbeitslosigkeit zu bieten, allerdings nur "Leistung gegen Arbeit." "Wer nicht arbeiten will - etwa durch stundenweise Sozialdienste - dem sollen die Zuwendungen gekürzt werden." (APA)