Der Saxofonist David S. Ware entführte in die Welt des ekstatischen, freejazzigen Ausdrucks.

Foto: Jazzfest Saalfelden

Saalfelden - Im Vergleich zum großen Salzburger Festivalbruder hat jener kleine, aber sehr relevante in Saalfelden doppeltes Glück: Die Politik hat nicht das Pouvoir, dem Jazzfestival einen ehrenwerten Eröffnungsredner aufzubrummen. Und obwohl Politikerreden zu Beginn über Saalfelden so sicher hereinbrechen wie die Hurrikan-Saison über die USA, wirken die Parteivertreter auf der Jazzbühne dann ein bisschen, als stünden sie auf einer heißen Herdplatte, die sie ehebaldigst wieder zu verlassen hoffen. Womöglich spüren sie, wie sehr der volle Festivalsaal ihre als Begrüßung getarnten Verbalsoli als Musikverzögerung empfindet.

Entsprechend kurz und nicht selten entschuldigend geraten denn auch die Ansprachen, die heuer der landeshauptfraulichen Dimension entbehrten. Frau Burgstaller blieb fern. Vielleicht ist sie damit beschäftigt, dem brüskierten, 2012 startenden Intendanten Alexander Pereira tröstend zu erklären, warum sie unlängst den Wunsch äußerte, der nun scheidende Festspiel-Intendant Markus Hinterhäuser möge doch wieder nach Salzburg zurückkehren. Viel Glück beim Trösten!

Das Publikum in Saalfelden allerdings ist gütig, es wird für die Politiker nicht zur buhenden "Irene". Tatsächlich hat die Politik ja seinerzeit mitgeholfen, das finanziell angeschlagene Festival wiederzubeleben. Und hat Saxofonist Max Nagl erst einmal mit seinem Oktett losgelegt, ist das ulkige Politgerede auch schon wieder vergessen - es wird ja die Konzentration auch voll beansprucht.

Schließlich: Nagl ist der gewitzte Eklektiker, der den Stilschwenk als dramaturgischen Kunstgriff einsetzt. Da hört man hardboppige Themen, tangoseliges Schwärmen und Jazzrock sinnvoll unter einen Arrangementhut gebracht. Wobei: Dem Ganzen wohnt auch eine wehmütige Facette inne, die durch das Theremin verdichtet wird. Pamelia Kurstin verleiht Nagls Musik mitunter das Gepräge einer gespenstischen Idylle, die sicher noch mehr Proben vertragen hätte, jedoch in ihrer Substanz überzeugt.

Undogmatischer Zugang

Nagls Zugang hätte auch als Motto für die folgenden Ereignisse fungieren können. Es ist zwar schon seit Jahren in Saalfelden Usus, sich nicht auf Einzelstile festzulegen, vielmehr demokratisch-undogmatisch Vielfalt zuzulassen. In welcher Massierung dieser Stilpluralismus heuer jedoch auch innerhalb einzelner Projekte zur Entfaltung kam, war an den ersten beiden Festivaltagen doch bemerkenswert.

Da wäre der hochvirtuose Trompeter Cuong Yu, der mit zwei Bassisten und Schlagzeug elegische Soundlandschaften entwarf, um aus ihnen plötzlich Standards wie All The Things You Are heraussprießen zu lassen. Eine markante Neudeutung eines alten Jazzhadern. Da wäre aber auch Ingebrigt Hakar Flatens Chicago Sextet, das seine Ideen zwischen wildem Dahinrasen und Entschleunigung anlegte, dabei aber immer polyglotte Vielfalt der Tonsprachen beibehielt.

Etwas peinlich

Ähnliches ließe sich auch über das Quartett-Projekt "Trank Zappa Grappa in Varese? More Light" sagen. Mit diesem umständlich-witzigen Namen schien die Band allerdings schon all ihre kreativen Energien aufgebraucht zu haben. Die rockig-neblige Musik selbst kreiste um eher stumpfes Themenmaterial, dem hoffentlich die Absicht innewohnte, das Ohr bewusst zu provozieren. Sollte manche "Eingebung" allerdings ernst gemeint gewesen sein, darf sie den Musikern, die instrumental versiert schienen, ob ihrer Simplizität gerne etwas peinlich sein.

Es wäre natürlich nicht Saalfelden, würde es nicht auch der Historie in ihrer authentischen Form Reverenz erweisen. War in den oben erwähnten Projekten hin und wieder auch freitonal-ungebundenes Spiel flüchtig zugegen, prägte es etwa bei Saxofonist David S. Ware das Gesamtkonzept. Der äußerlich schon etwas gebrechlich wirkende Veteran der freejazzigen Unmittelbarkeit vermochte im Quartett dennoch energetisch aufgeladene Momente kollektiv pulsierender Improvisation mit druckvollen, unberechenbaren Aphorismen der schmerzvollen Art zu dominieren.

Nicht ganz so weit ging Pianist Matthew Ship im Trio - da schimmerten schon tonales Gedankengut und Quartenharmonik durch. Auch hier jedoch entfalteten sich die Dreiergespräche auf einer frei pulsierenden Basis. Schließlich aber noch ein Beitrag zu schnell wechselnden Stilfarben: Trompeter Lorenz Raab band ein Bläsertrio an das fulminant drängende Schlagwerk von Lucas Niggli und kam so zu kontrastreichen Soundergebnissen. Auch hier prägte sich der Wechsel zwischen lieblichen, dann wieder gänzlich freien Stilpartikeln ein. Dies zeigte auch: Stilwahl ist im aktuellen Jazz nicht die entscheidende Frage. Jedwedes ästhetische Mittel ist legitim - sofern es die richtige Ausdrucksfarbe liefert. (Ljubisa Tosic/DER STANDARD, Printausgabe, 29. 8. 2011)