Die Sackerl designen die KlientInnen selbst.

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Das LOK Couture auf der Mariahilfer Straße ist kein normales Second-Hand-Geschäft.

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Die meiste Kleidung wird gespendet ...

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... aber die MitarbeiterInnen stellen auch Taschen her.

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Stammkunden wissen über das besondere Geschäft Bescheid - bei allen anderen wird Aufklärungsarbeit geleistet.

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"A, B, F, J, Z, G" - drei Männer und eine Frau reden wild durcheinander und doch klingt es wie aus einem Mund, als sie das Alphabet kreuz und quer aufsagen. Sie sitzen in der Ecke des Geschäftslokals und es sieht so aus, als würden sie sich gut unterhalten. Als die Tür aufgeht und ein potentieller Kunde den Raum betritt, schalten die Vier aber sofort um - jetzt heißt es professionell sein. Mit einem "There is the men's fashion", führt einer von ihnen den Mann sofort in die Herrenabteilung.

Auch im LOK Couture auf der Mariahilfer Straße im 15. Wiener Gemeindebezirk sind manchmal Fremdsprachenkenntnisse gefragt. Das Geschäft bietet Second-Hand-Mode, wie man sie oft in Wien findet und doch ist es kein durchschnittlicher Laden. Im LOK Couture arbeiten Menschen mit psychischen Erkrankungen oder intellektuellen Behinderungen. Der Trägerverein Leben ohne Krankenhaus (LOK), der das Beschäftigungsprojekt betreut, begann sich vor über zwanzig Jahren mit dem Thema Integration und Inklusion von psychisch erkrankten Menschen in der Gesellschaft zu beschäftigen.

Gegen den "Drehtüreffekt"

Die Gründer der Organisation waren selbst lange Jahre auf Psychiatrien tätig und erkannten bald, dass immer wieder die gleichen Menschen in den Krankenhäusern landen. "Drehtüreffekt", nennt das Julia Hickel, eine Leiterin der Beschäftigungstherapie von LOK. Nach der stationären Betreuung werden die PatientInnen in ambulante Behandlung gegeben und schließlich ohne Hilfe wieder ins Leben geschickt. Durch eine Krise kommen sie dann wieder zurück auf die psychiatrischen Stationen und der Kreislauf beginnt von vorne.

Wie viele Menschen durch das LOK Couture oder andere Beschäftigungstherapien aus diesem Kreis ausbrechen können, weiß Hickel nicht. Sie ist sich aber sicher, dass durch das "gesamte Paket" aus betreutem Wohnen, Beschäftigung und therapeutischer Unterstützung viele KlientInnen "in Krisensituationen ambulant begleitet werden können und nicht gleich wieder ins Krankenhaus müssen". Dass eine große Zahl psychisch kranker Menschen den Wunsch nach einem geregelten Tagesablauf haben, zeigt die Warteliste der Beschäftigungsprojekte: rund 135 Personen würden sich derzeit darauf befinden.

Orientierung an den KlientInnen

30 Personen haben es ins LOK Couture geschafft. Sie dürfen gemeinsam mit BetreuerInnen zwischen zwei- und fünfmal wöchentlich in das Geschäft und sich ein "Taschengeld" dazu verdienen. Da die Organisation und der Laden vom Fonds Soziales Wien und öffentlichen Geldern gefördert werde, würde der Nettogewinn 1:1 an die betreuten MitarbeiterInnen weitergegeben werden. Die unregelmäßigen Arbeitszeiten würden laut Hickel daher kommen, "da viele Menschen es nicht schaffen, jeden Tag aus der Wohnung zu gehen." Man versuche sich eben, so gut es geht, an den Bedürfnissen der KlientInnen zu orientieren. 

Zwei Gruppen arbeiten täglich jeweils fünf Stunden in dem Geschäft. "In der Früh bekommen die Leute etwa eine halbe Stunde, damit sie sich akklimatisieren und dann geht es schon an die Diensteinteilung", erklärt Betreuer Hubert Haslwanter. Dabei gäbe es verschiedene Aufgaben zu vergeben: Kundenbetreuung, Buchhaltung oder Sonderdienste. Unter letzteres fällt etwa das Abholen von Kleiderspenden oder die Tätigung von Einkäufen. Das meiste, das das Team von LOK Couture verkauft, wird von Privatpersonen zur Verfügung gestellt. "Dabei handelt es sich, ganz grob geschätzt, um einen Sack Kleidung pro Woche", sagt die Soziologin Christina Kolland, die ebenfalls als Betreuerin bei LOK tätig ist.

Spenden sortieren, waschen und mit Preis versehen

Wenn solch eine Spende eintrifft, wird sie in einem Gang hinter dem Verkaufsraum sortiert. "Dinge, die wir nicht mehr verkaufen können, geben wir dann an Einrichtungen wie die Caritas weiter", sagt Kolland. Sachen, die man gebrauchen kann, werden anschließend "gewaschen, gebügelt und angepreist". Das würden immer zwei KlientInnen mit einem/r BetreuerIn machen. "Dabei geht es zu, wie auf einem umgekehrten Basar", sagt Haslwanter: "Drei Euro für das T-Shirt? Ist doch viel zu wenig! Machen wir fünf, nein acht Euro draus!"

Mehr als zwanzig Euro für Markenjacken würde aber kein Kleidungsstück im Laden kosten. Manche Sachen fertigen aber auch die MitarbeiterInnen mit den KlientInnen selbst. Wenn Zeit ist, werden alte Hosen oder Jacken zu kleinen Taschen umgenäht. Auch die können käuflich erworben werden. "Meistens ist aber zu viel zu tun und wir können uns solche netten Auszeiten nicht leisten", sagt Haslwanter.

Aufklärungsarbeit

Doch nicht nur die Verkaufstätigkeit ist der Sinn des Geschäfts, sondern auch Integration in die und Aufklärungsarbeit gegenüber der Gesellschaft. "Eine Besonderheit dieses Projektes ist, dass die KlientInnen in der Öffentlichkeit stehen und nicht in einer Werkstatt in einem geschützten Bereich arbeiten", sagt Hickel. Man wolle Berührungsängste zwischen der Gesellschaft und psychisch kranken Menschen abbauen. Zwar würden laut Kolland viele Stammkunden wissen, welche VerkäuferInnen sie im Laden erwarten, aber eben nicht alle: "Viele Menschen schauen sich erst einmal um, aber meistens siegt die Neugier und sie fragen dann, was wir hier machen."

Die meisten KlientInnen können, so lange sie wollen, im Geschäft arbeiten. Aber ein kleiner Prozentsatz schafft es durch das LOK Couture und andere Beschäftigungsprojekte auch auf den "ersten Arbeitsmarkt", sagt Hickel. Und somit zurück ins Leben. (Bianca Blei, derStandard.at, 24.8.2011)