Auf dem Rücken eines Pferdes fühlen sich die Kinder getragen - und damit auch erträglich.

Foto: Sterntalerhof

Am Sterntalerhof darf und soll viel gelacht werden.

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Claudia Ritter ist Therapeutin in der Einrichtung.

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Geschäftsführer Harald Jankovits versucht persönlichen Kontakt zu den Familien zu vermeiden - aus Selbstschutz.

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Die Stallungen und die Reithalle am Sterntalerhof.

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Die Familien haben auch Privatsphäre.

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Das Morgenritual findet meistens auf der Terrasse statt.

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Rosie ist zwar nur ein Pony, aber die Chefin im Stall.

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Es ist ruhig in Loipersdorf-Kitzladen. Das Ambiente ist weder erdrückend noch unangenehm, sondern einfach nur ruhig. Bei einer 1.300-Seelen-Gemeinde im Burgenland eigentlich nicht weiter verwunderlich, doch ein bisschen außerhalb der Ortschaft liegt ein besonderer Platz. Der Sterntalerhof mit seinem Gemeinschaftshaus, der Unterkunft für Familien, den Pferdekoppeln und der Reithalle sieht auf den ersten Blick wie aus einem Katalog für Urlaub am Bauernhof aus. Das ist er aber nicht: Der Sterntalerhof ist ein Hospiz für schwer- und sterbenskranke Kinder.

Am Sterntalerhof würden aber keine Kinder sterben, erklärt Geschäftsführer Harald Jankovits. Vielmehr verstehe man sich als "Hospiz im ursprünglichen Sinn, nämlich als ein Ort der Erholung, an dem Zuversicht wieder keimen kann". Die Idee dieser Einrichtung hatte Gründer Peter Kai während seiner Tätigkeiten als Therapeut am St. Anna Kinderspital und AKH Wien. Damals erkannte er, dass sich viele Familien nach dem Krankenhausaufenthalt des Kindes überfordert fühlten, weil die therapeutische Hilfe und Unterstützung für sie von einem Tag auf den anderen vorbei sei. Deshalb schuf Kai eine Einrichtung mit einer "Brückenfunktion" vom Krankenhaus in den Alltag.

"Hier haben wir Ruhe und Zeit." Das ist laut Jankovits auch jener Satz, den die meisten Familien bei ihrer Abreise als Feedback hinterlassen. Der Satz sei aber quasi auch das Credo der Einrichtung. Zwar gebe es verschiedene Therapieangebote, die die Angehörigen und das kranke Kind in Anspruch nehmen könnten, doch "machen wir nichts gegen den Willen der Familie", sagt Jankovits und fügt hinzu: "Denn nur sie weiß, was sie im Moment braucht."

Wiedereinstieg in den Alltag

Die meisten Familien würden an den Sterntalerhof kommen, nachdem die medizinische Behandlung des Kindes abgeschlossen sei und es an den Wiedereinstieg in den Alltag gehe. Während des Aufenthalts von bis zu drei Wochen sollte, wenn möglich, die ganze Familie in der Einrichtung anwesend sein. "Auf jeden Fall die Menschen, die mit der Betreuung des Kindes zu tun haben", so Jankovits.

In der geschützten Atmosphäre des Hofes könnten die Angehörigen dann "den Alltag simulieren" und dabei auf die Hilfe von TherapeutInnen zurückgreifen. Dazu verbringen die Familienmitglieder den Aufenthalt in einer privaten Wohneinheit neben dem Gemeinschaftshaus und sind am Morgen, am Abend und in der Nacht alleine. Bis zu drei Familien gleichzeitig können am Sterntalerhof zu Gast sein. Die 5.000 Euro Kosten pro Wochen würden dabei zu einem Großteil von Sponsoren getragen werden, sodass die Familien "nur noch" 500 Euro zu bezahlen hätten. "Wir haben aber noch nie eine Familie abgewiesen, nur weil sie sich den Aufenthalt nicht leisten konnte", berichtet der Hospiz-Geschäftsführer.

Pferde lehren Vertrauen

Musik-, Mal- oder Bewegungstherapie: Das Angebot an Hilfe ist vielfältig. Doch der Hauptfokus liegt ganz klar auf der Arbeit mit und auf den Pferden. Herr Hubert, das Pony Rosie und die anderen Pferde unterstützen täglich die kranken Kinder und ihre Angehörigen. Für diese Therapiestunden gibt es auch keine zeitliche Beschränkung: "Wir haben bewusst keine Stunden à 45 Minuten, sondern jedes Kind bekommt die Zeit am Pferd, die es braucht", sagt Jankovits. Und da könne es schon einmal vorkommen, dass nach einer Viertelstunde Schluss ist, oder eben erst nach einem zweistündigen Ausritt.

Die Pferde würden den Kindern schnell lehren, "Vertrauen zu etwas Großem und Respekteinflößendem aufzubauen", erklärt der Geschäftsführer: "Aber durch Striegeln und Streicheln verlieren sie relativ schnell die Angst vor den mächtigen Tieren." Zudem werde durch das Reiten das embryonale Schaukeln imitiert, was eine beruhigende Wirkung habe. "Die Kinder haben durch die Ausritte das Gefühl, dass sie es wert sind, getragen zu werden, also dass sie erträglich sind", so Jankovits.

Während ein Familienmitglied am Pferd sitzt und die anderen Angehörigen nebenhergehen, sei es auch einfacher in ein Gespräch zu finden. "Viele Menschen sprechen dann viel gelöster und einfacher über ihre Gefühle", erzählt Jankovits. Außerdem mache das Reiten den Kindern großen Spaß. "Sie leben dadurch oft wieder auf."

Winkel erweitern

Der Alltag am Sterntalerhof erhält durch bestimmte Rituale und Fixpunkte eine gewisse Struktur. Während des Morgenrituals etwa besprechen die einzelnen TherapeutInnen ihren Tagesplan mit den Familien - allerdings kann dieser auch beliebig agebändert werden. Möchte eine Familie statt der Therapiestunden alleine einen Ausflug machen, dann ist das genauso möglich, wie etwa ein privater Spaziergang von Vater und Mutter im Wald. "Wir versuchen, den Fokus nicht von der Krankheit des Kindes wegzunehmen, sondern den Winkel zu erweitern", erklärt Jankovits das Konzept.

Zuständig für die Rituale am Sterntalerhof ist die Therapeutin Claudia Ritter. Nach einem privaten Schicksalsschlag hatte sie ihren Beruf als Wirtin aufgegeben und die Sozialakademie absolviert. Die Behindertenpädagogin versucht bei ihrer täglichen Arbeit in der Einrichtung "die Familien dort abzuholen, wo sie gerade stehen". Auch durch Bewegungstherapie möchte sie die Angehörigen und Kinder dazu bringen, ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen.

Supervision nach Tod eines Kindes

Die anfängliche Skepsis und Scheu würde sich bei den KlientInnen schnell legen. "Der größte Erfolg für mich ist, wenn ich ein positives Feedback von den Menschen bekomme, dass ihnen die Bewegung wirklich geholfen hat", sagt Ritter. Manchmal wäre das etwa eine simple Umarmung, aber auch Tränen, die in den Augen der Betroffenen stehen würden. 

So sehr die BetreuerInnen am Sterntalerhof auch versuchen, eine lockere und entspannte Atmosphäre zu schaffen, so sehr ist aber der Tod immer ein Thema. Und genau deshalb brauchen auch die TherapeutInnen selbst Unterstützung, um mit dem Verlust von Kindern umzugehen. Einmal pro Woche gebe es laut Ritter eine Inter- und einmal pro Monat eine Supervision für das Personal. Alle BetreuerInnen hätten außerdem ihren eigenen Weg gefunden, mit den Schicksalsschlägen umzugehen. "Ich betreibe ganz viel Sport, nachdem ein Kind verstorben ist", erzählt Ritter. 

Und auch Geschäftsführer Jankovits hat gelernt, mit dem Thema Tod einen Umgang zu finden: "Ich vermeide - so gut es geht - den persönlichen Kontakt mit den Familien." Das funktioniere aber nicht immer. Erst vor ein paar Tagen habe er einen Anruf einer Mutter bekommen. Jankovits war der Meinung, dass es nur allgemein um den Aufenthalt der Familie in der kommenden Woche gehe, als die Mutter in Tränen ausbrach: Ihre kleine Tochter war in der Nacht davor gestorben. 

Wochenende für gesunde Geschwister

Mittlerweile kommen aber nicht nur schwer- und sterbenskranke Kinder in die Einrichtung, sondern auch Familien, in denen ein Elternteil im Sterben liegt. "Unsere einzige Bedingung ist aber weiterhin, dass Kinder in die Situation involviert sind", sagt Jankovits. "Daher bieten wir auch so genannte Geschwister-Wochenenden an, an denen die gesunden Kinder im Mittelpunkt stehen - denn die haben oft am meisten zu leiden." Diese Kinder würden sich oft nicht mehr zu lachen trauen und wären in einem Zwiespalt gefangen: Auf der einen Seite bekommen sie zu wenig Aufmerksamkeit von den Eltern und auf der anderen Seite glauben sie, keine Bedürfnisse neben den kranken Geschwistern haben zu dürfen. An solchen Wochenenden aber könnten sie Gleichgesinnte treffen und dürften wieder Kind sein. (Bianca Blei, derStandard.at, 19.8.2011)