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Da ich nicht in Wien aufgewachsen bin, habe ich keine in die Kindheit zurückreichende und sentimentale Beziehung zu den beiden großen Stadtmodellen, den beliebtesten Exponaten des Museums am Karlsplatz. Mein "zuständiges" Landesmuseum war das niederösterreichische in der Herrengasse. Dort gab es ein riesiges Relief des ganzen Bundeslandes, und es gab lebende Schlangen und sonstiges Getier. Mein Vater war Landesbeamter und ich wurde, wenn ich ihn im Büro besuchte, oft ins Museum geschickt, um den Aufsehern bei der Reptilienfütterung zuzusehen.

Foto: APA/Schneider

Meine erste Begegnung mit den Sammlungen der Stadt Wien lässt sich mit 1964 datieren: Damals gab es rund um den "Kunstplatz Karlsplatz" die einflussreiche und nachhaltige Ausstellung "Wien um 1900" - Malerei und Plastik in der Secession, Grafik und Kunstgewerbe im Künstlerhaus, Druckgrafik und Plakat im Historischen Museum.

Foto: Historisches Museum

Zwanzig Jahre später, als das Historische Museum in den 80er-Jahren vor allem in der Hermesvilla eine museologisch innovative Serie von sozialhistorischen Ausstellungen begann ("Die Frau im Korsett", "Anatols Jahre") war mir dann deutlich, dass es sich um ein Museum von enormer thematischer Spannbreite handelt - von Kunst bis Alltag, von Mode bis Möbel, von römischen Zeugnissen bis Loos & Wagner, vom Original-Watschenmann bis zu Gipsmodellen und Totenmasken.

Foto: Historisches Museum

Die Museen der Stadt Wien - zum Haupthaus am Karlsplatz gehören zahlreiche externe Spezialmuseen und Schauräume - sind eben mehr als ein typisches Stadtmuseum, nicht nur weil Kunst einen so hohen Rang in der Sammlung hat. Zwar dominiert der Bezug zu Wien, doch handelt es sich, geht man von den Sammlungsfeldern und der generalistischen Haltung aus, um den Typus eines Universal- oder Breitbandmuseums. Da in der aktuellen Museumsdebatte die Kunstmuseen auf Kosten der Sachmuseen über Gebühr den Diskurs bestimmen, (und damit das Bild eines Museums prägen), sage ich lieber: Ich bin Direktor eines "Nicht-nur-Kunst-Museums".

Die Vielfalt der Sammlungen erklärt ihre Tiefe und Größe. Nur das Naturhistorische Museum hat noch mehr Objekte zu betreuen. Bei den Museen der Stadt Wien sind es rund 1,7 Millionen, aufbewahrt in mehreren Depots.

Es gibt viele Bilder aus dem 19. Jahrhundert in der Sammlung, also auch viele Idyllisierungen. Ich nehme die Einladung, subjektiv sieben "Schätze" auszuwählen, als Erlaubnis zur Idylle: Ich stelle mir einen Museumsdirektor vor, der (mit abgedrehtem Handy!) genussvoll durch die Depots spaziert, müßiggängerisch interessante Dinge betrachtet und gedanklich vom Hundertsten ins Tausendste kommt...

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"Schlittschuh"" (?), Jungsteinzeit (?)

Knochen, bearbeitet, 25 x 3,2 x 3,1 cm, Inv.-Nr. 8015

Im Komplex der U-Bahn-Station Neubaugasse findet sich das archäologische Depot des Historischen Museums. Dort zeigte man mir den möglicherweise ältesten Schlittschuh Mitteleuropas, eine Rarität, die bislang noch nie im Museum am Karlsplatz zu sehen war. Gefunden wurde der gestaltete Knochen 1940 im Rahmen einer urgeschichtlichen Grabung in Vösendorf. Im Inventarbuch steht: "Schlittknochen mit aufwärts geschwungener, zugerichteter Spitze, am vorderen Drittel eine waagrechte Durchbohrung, am Hinterende zwei Durchbohrungen". Das Utensil scheint für die Disziplin "Eisschnelllauf" verwendet worden zu sein.

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August von Pettenkofen: Der Spaziergang, 1841

Aquarell über Bleistift, 23,4 x 21 cm, Inv.-Nr. 101.488

Dieses leichte, lichte, zierliche und doch in seinen Mitteln sichere Blatt von Pettenkofen zeigt die Handschrift eines hoch begabten Neunzehnjährigen. Ich habe es in der vom Historischen Museum erarbeiteten Biedermeier-Ausstellung erstmals gesehen. Zurzeit wirbt es für die Schau "Mit Stock und Hut", eine Präsentation von biedermeierlichen Aquarellen und Zeichnungen in der Hermesvilla. Die Rückenansicht einer Familie beim Spazierengehen: die mild-charmante Variante der heroisch-pathetischen Rückenansicht à la Caspar David Friedrich. Aber auch sie ist eine Einladung, uns einzufühlen, mitzugehen und den Ist-Zustand zumindest kurzfristig zu verlassen.

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Uuml;bergang der Eisenbahn über den Semmering, um 1855

Diorama, Guckkasten 24,6 x 32,5 cm, 5 Bildebenen, Inv.-Nr.28.565

Kaum war die Semmering-Bahn fertig gebaut, wurde sie als Vergnügungsspektakel genutzt: In rasender Fahrt an "gähnenden Schlünden" vorbei, durch Tunnels, über Viadukte hinweg . . . Unter den vielen Bildsouvenirs, die auf den Markt kamen, fanden sich auch Faltalben und ausklappbare "Dioramen", mit denen man den Schaugenuss im eigenen Wohnzimmer nachvollziehen konnte. Das Wichtigste bei diesem Diorama, das bei der Landesausstellung 1992 ("Die Eroberung der Landschaft") Leitobjekt des Abschnitts "Die Semmering-Fahrt" war, ist natürlich das Guckloch. Ausstellungsarchitekt Luigi Blau plante damals ein Podest ein, damit auch Kinder durchschauen konnten.

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Ferdinand Georg Waldmüller: Die Rosenzeit, 1864

Ouml;l auf Holz, 56,9 x 70,6 cm, Inv.-Nr.10.134

Wer wie ich im Süden von Wien aufgewachsen ist, mit dem Wienerwald als Standardareal für Spaziergänge und Ausflüge, der kannte die späten Waldmüller-Bilder, bevor er sie jemals gesehen hatte. Die von Gegenlicht und Glück durchflutete "Rosenzeit" zeigt etwa das Sparbacher Tal. Spätestens in der Schulzeit waren solche Bilder für mich "Heimatbilder", also Fixpunkte meiner "mental map". Über das eine oder andere Waldmüller-Gemälde, mussten wir Bildbeschreibungen verfassen. Ich empfinde es als wundersame Wendung meines Berufsweges, dass ein Bild wie die "Rosenzeit" - so wie zahlreiche andere Hauptwerke Waldmüllers - nun in meinen Verantwortungsbereich gehört.

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"Alt-Wien", 1892

Kolorierte Fotografie, Inv.Nr. 108.390/7

Ein Herzstück der Sammlung sind Fotos mit historischen Stadtansichten, Porträts oder Abbildungen von Ereignissen. Im Rahmen der großen "Theaterausstellung" wurde 1892 in der Nähe der Rotunde im Prater "Alt-Wien" präsentiert, als eine Art Themen-Park: Der Hohe Markt als in eine fiktive Vergangenheit projizierte Rekonstruktion - mit Geschäften, Lokalen und Musik. Ein Jahr später wurde eine weitere Variante von "Alt-Wien" in Chicago gezeigt - im Vergnügungspark der dortigen Weltausstellung. In den 20er Jahren tauchte die Idee noch einmal auf. Diesmal wurde eine "Alt-Wien"-Collage im Maßstab 1:1 im Hof des Messepalasts realisiert, also im heutigen Museumsquartier. Es stellt sich die Frage: Gab es je Gegenwart in "Alt-Wien"?

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Münzautomat, Hockey-Sport, 1936

Inv.-Nr. 197.157

Er steht im Prater-Museum, das sich im Planetarium befindet und zu den "Außenstellen" der Museen der Stadt Wien gehört. Der traurige Fall einer exzellenten Sammlung, die - und das im Prater! - eher still vor sich hin dämmert. Die meisten Sensationen und Kuriositäten stammen aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Man erfährt von "Venedig in Wien" ebenso wie von einem riesigen Vergnügungsgebirge, das nie gebaut wurde. Den robusten Hockeyautomaten, eine Variante der schon länger populären Fußballgeräte, hat die Berliner Automatenfabrik Paul Schülke hergestellt. Die Spielfiguren können gedreht werden und schieben dann den Puck mit dem Hockeyschläger zur Seite.

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Karl Wiener, Ohne Titel, 1940

Collage, Gouache, Tusche, 20 x 11 cm

In jedem Museum gibt es Bestände, die seit ihrem Eintreffen unbeachtet blieben. Im Fall von Karl Wiener war das Grazer Ausstellungsprojekt "Moderne in dunkler Zeit" (2001) Anlass, erstmals seinen Nachlass mit einer großen Menge von Zeichnungen und Collagen durchzuschauen. So kam ein Vergessener sogar auf das Cover eines Katalogs. Mich haben die kleinen Collagenbilder Wieners, vor allem das mit dem "Jonny"-Logo, damals völlig überrascht. Ich erfuhr, dass der sozialistische Künstler einst das Parteilogo mit den drei Pfeilen entworfen hatte. Dass Wiener während der NS-Jahre, möglicherweise drogensüchtig, apokalyptische Horrorszenen zeichnete, während er psychisch vor die Hunde ging. Und dass Wiener, der im Kunstleben nach 1945 nicht wieder Fuß fassen konnte, 1949 Selbstmord beging. Irgendwer rettete seinen Nachlass. (ALBUM/ DER STANDARD, Printausgabe, 24./25.5.2003)

Foto: Historisches Museum

Wien der Nachkriegszeit

Ab Mittwoch, 28. Mai, sind im Historischen Museum ca. 150 Objekte zum Thema Wien der Nachkriegszeit zu sehen, die Wolfgang Kos von Bekannten und KollegInnen erbeten hat.

Bis Mitte Juni, Karlsplatz, Di-So, 9-18 Uhr.

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Museen der Stadt Wien

Foto: Historisches Museum