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Massenproteste Ende Juli in Hama.

Foto: REUTERS/Handout

Damaskus/Wien - Die Frage, wer eigentlich die syrische Opposition ist und was nach einem Sturz des Assad-Regimes zu erwarten sei, stellt sich für die Beobachter von außen seit der Stunde eins des Aufstands in Syrien. Aber nicht nur für diese: Auch jene für einen Umsturz kritischen bürgerlichen sunnitischen Schichten in Syrien selbst, die sich noch nicht mehrheitlich vom Regime abgewandt haben, brauchen wohl eine Antwort auf diese Frage, bevor sie ihre stabilen Verhältnisse für etwas Neues eintauschen wollen.

Sie sind es ja auch, die in den vergangenen Jahren vom "chinesischen Modell" in Syrien - wirtschaftliche ohne politische Öffnung - am meisten profitiert haben und Bashar al-Assad immer noch ein gewisses Reformpotenzial zugestehen. Diese Schichten fürchten sich nicht etwa nur vor einer islamistischen Übernahme, die ihren eigenen moderaten Liberalismus bedrohen könnte. Auch alles, was von Links kommt - wie etliche der säkularen intellektuellen Aushängeschilder der Opposition - ist ihnen ebenso suspekt, als "kommunistisch".

Die große disparate syrische Opposition ist in einem Dilemma: Dass sie ihre Anführer allein deshalb verbergen muss, weil sie sonst in den Kerkern verschwinden, liegt auf der Hand. Dazu kommt eine allgemeine historisch bedingte Abneigung vor "Führern" - aber selbstverständlich auch das Wissen, dass die Dominanz einer Figur und damit einer Gruppe die anderen verstören und die Einheit der Opposition schon vor dem Ziel beschädigen könnte. Die syrischen Muslimbrüder etwa, die ohne Zweifel am meisten logistische und andere Hilfe von außen bekommen, wissen das ganz genau. Auch von ihnen gesteuerte Instrumente wie Websites tragen keine islamischen Stempel.

In und außerhalb Syriens haben sich jedoch zahlreiche Gruppen und Organisationen zusammengeschlossen, meist mit sehr ähnlichen Namen (Nationale/r Initiative/Koalition/Bewegung/Rat etc.). Bei der Organisation der Proteste führend sind jedoch die LCC, die Local Coordination Committees, die es praktisch überall dort, wo Menschen auf die Straße gehen, gibt, von der syrischen Küste bis zur östlichen Grenze. Sie geben auch Erklärungen heraus, das heißt, sie kümmern sich auch um die Kommunikation.

Um dem Vorwurf zu begegnen, nur für den "Krieg" zu taugen und keine politischen Visionen zu haben, haben die LCC einen Plan für die Transitionszeit vorgestellt: Eine nationale Konferenz aller soll diesen Übergang leiten. Leicht dürfte es nicht werden, all diese Grass-roots-Zellen unter ein Dach zu bringen: Die Anliegen und das Make up der lokalen Bevölkerungen sind sehr unterschiedlich. Die Opposition außerhalb Syriens organisiert in den vergangenen Wochen, in denen ein Ende des Regimes vorstellbar wurde, Zusammenkünfte und Konferenzen im Ausland, zum Beispiel in der Türkei, wo die unterschiedlichen Visionen aufeinandertreffen - aber auch der Wille spürbar ist, einen gemeinsamen Weg zu finden. Die Furcht vor einem irakischen Schicksal eint.

Noch Ende Juni machte ein Teil der syrischen Opposition, darunter so berühmte Aktivisten wie Michel Kilo, bei einer "Syria for All"-Konferenz mit, bei der zwar keine Regimevertreter zugegen waren, die aber einen Dialog mit den Behörden nicht prinzipiell ausschloss. Die LCCs boykottierten dieses Format, und die Ramadan-Gewaltwelle des Regimes gegen die Demonstranten hat diesen Weg wohl endgültig verbaut. (DER STANDARD, Printausgabe, 10.8.2011)