Das 17. Sarajevo Film Festival bricht mit ca. 200 Filmen und mehr als 100.000 Besucher die bisherigen Rekorde.

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Mirsad Purivatra gründete während des Bosnienkrieges (1992 - 1995) im Kellerraum ein Kino, das bald zu einem kulturellen Zentrum der Stadt wurde.

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Sarajevo Film Festival, das heuer vom 22. bis 30 Juli zum 17. Mal stattfindet, bricht mit ca. 220 Filmen  aus 44 Ländern und mehr als 100.000 Besuchern alle Rekorde. Das noch während des Krieges gegründete Festival bietet Nachwuchsfilmemachern aus der Region die Möglichkeit sich einem internationalen Publikum zu präsentieren. Auch Österreich ist auf dem diesjährigen Festival stärker denn je vertreten.

daStandard.at: Herr Purivatra, welche Bedeutung haben rote Herzen, das Symbol des Film Festivals in Sarajevo, die aktuell in der ganzen Stadt einfach nicht zu übersehen sind?

Purivatra: Das ist eine besondere Geschichte. Während des Krieges haben wir starke Beziehungen zu der französischen Fashiondesignerin Agnès B. gehabt; sie leistete eine enorme kulturelle Unterstützung für Bosnien und Herzegowina, indem sie Werke von bosnischen Künstlern in ihrer Heimat präsentierte. Eines Tages habe ich herausgefunden, dass sie ein rotes Herz entworfen hat und fragte sie danach. Sie erzählte, dass sie im Jahr 1993 eine Reportage aus Sarajevo in "Le Monde" gelesen hat, die sie zu Tränen rührte. Aus dieser Zeitungsseite hat sie ein Herz herausgeschnitten und kurze Zeit später entwarf sie eins als Vorlage für T-Shirts. Mit diesem Symbol, das bald auf den Pariser Straßen zu sehen war, wollte sie ans Gewissen der Politiker appellierten um sie für den Friedensprozess zu gewinnen. Für uns war es klar: Dieses Herz muss ein Symbol des Festivals werden.

daStandard.at: Wie kamen Sie überhaupt auf die Idee, ein Film Festival in einer belagerten Stadt zu veranstalten?

Purivatra: Während des Krieges lebten wir in Sarajevo ohne Strom und fließend Wasser und an diese Umstände haben wir uns mit der Zeit einfach gewöhnt. Nach einem Jahr realisierten wir allerdings, dass wir so vielleicht physisch überleben können, nicht aber geistig. Daraufhin entschieden wir uns, kulturelle Aktivitäten in der belagerten Stadt zu unternehmen. Das Kriegskino war eines der ersten derartigen Projekte. Mit der Hilfe von internationalen Freunden gelang es uns, ein Stromgenerator und ein Videoprojektor nach Sarajevo zu bringen. Trotz des Beschusses fanden immer mehr Menschen den Weg in den Keller, in dem wir regelmässig Filme zeigten. Nachdem internationale Presse davon berichtete, erfuhren so auch die Direktoren der Filmfestivals von Locarno und Edinburgh, Marco Müller und Mark Cousins von uns und entschieden sich, nach Sarajevo zu kommen - was damals lebensgefährlich war! Mit ihrer Hilfe machten wir eine Retrospektive von Locarno und Edinburgh und dann war uns klar: Wir wollen auch ein Film Festival in Sarajevo veranstalten - ein Event, mit dem wir das Leben zelebrieren können.

daStandard.at: Das ist Ihnen in der Tat gelungen: Die Atmosphäre auf dem Red Carpet vor dem Nationaltheater, in dem jeden Abend die Filme aus dem Wettbewerb laufen, ist bemerkenswert...

Purivatra: Wir sehen es als eine besondere Anerkennung für Filmemacher, insbesondere für jene aus der Region. Wie oft bekommen schliesslich gute und junge Regisseure aus Bosnien und Herzegowina, Mazedonien, aber auch aus Österreich, Ungarn oder Griechenland eine Chance, sich auf den rotten Teppichen von Cannes, Venedig oder Berlin zu präsentieren? Hier, in Sarajevo, geben wir ihnen das Gefühl, dass sie wahre Stars sind.

daStandard.at: Auch die internationalen Stars sind reichlich vertreten: Wim Wenders, Charlotte Rampling oder Michael Fassbender bleiben hier mehrere Tage und sind zum Anfassen nah. Wie ist es Ihnen gelungen hochkarätige Gäste nach Sarajevo zu locken?

Purivatra: Ehrlich gesagt, war es nicht leicht, weil der Filmmarkt in Sarajevo immer noch zu klein für internationale Studios ist. Prominente Besuche basieren daher vor allem auf persönlichen Beziehungen und auf Mundpropaganda. Diejenigen, die ihren Aufenthalt auf dem Festival genossen haben, empfehlen uns weiter und so kommen Jahr für Jahr nicht nur immer mehr Besucher, aber auch immer mehr namhafte Künstler nach Sarajevo.

daStandard.at: Wie positioniert sich das Event in Sarajevo auf der internationalen Festival-Landkarte?

Purivatra: Wir definieren uns als ein internationales Film-Festival mit Fokus auf die Balkanregion. Auf dem neuntägigen Filmfestival kann man hier alles, was auf dem Balkan Rang und Namen treffen, gemeinsame Projekte entwickeln oder sich bloß informieren - und das alles an einem Ort!

daStandard.at: Mit "Atmen" von Karl Markovics, "Michael" von Markus Schleinzer, Arman T. Riahis "Schwarzkopf", "Abendland" von Nikolaus Geyrhalter und einer schweizerisch-österreichischen Koproduktion "Stick Climbing" ist Österreich auf dem diesjährigen Film Festival stärker denn je vertreten. Wie lässt sich das erklären?

Purivatra: In der österreichischen Kinematographie ist eine neue, ungeheure Energie vorhanden. Das Wort hat neue Generation von Filmemachern ergriffen, die sich sehr starker visueller Sprache und Ästhetik bedient und die Grenzen des konventionellen Films verschoben hat. Barbara Albert, Jessica Hausner oder Klaus Händl, der mit seinem ersten und bisher einzigen Film "März" mit der traditionellen Filmsprache brach, wofür er auch hier, in Sarajevo, ausgezeichnet wurde. In diesem Jahr liefert unter anderem Karl Markovics mit seinem Debütfilm einen erfrischenden und zugleich sehr starken Beitrag im Spielfilm-Wettbewerb.

daStandard.at: Welche Thematik dominiert die Filme der jungen Generation aus der Balkanregion?

Purivatra: Kriegsgeschichten bilden nach wie vor einen starken Schwerpunkt, was absolut normal ist. Auf dem heutigen Filmfestival kommen diese Themen noch stärker und noch ausdrucksvoller vor, auch deswegen, weil junge Regisseure immer präziser und persönlicher ihre eigene Sicht auf die Ereignisse der letzten 20 Jahre vermitteln. Die universellen Themen, wie neue Technologien, die das Leben dominieren oder der Verfall der traditionellen Familienstrukturen werden im regionalen Kontext dargestellt, indem die Transformation und Folgen des Krieges eine große Rolle spielen.

daStandard.at: Was sind derzeit die größten Herausforderungen für junge Filmemacher aus dem ehemaligen Jugoslawien?

Purivatra: Die Situation auf dem Filmmarkt wird stark von dem Transformationsprozess, wechselnden Regierungen und einer gewissen Instabilität beeinflusst, dazu kommt die allgegenwärtige wirtschaftliche Krise. Unter diesen Bedingungen müssen unsere Filmemacher besonders hartnäckig und kreativ sein, um ihre Ideen umzusetzen. Nicht selten weichen sie daher auf Low-Budget-Produktionen aus. Mit dem Sarajevo Talent Campus helfen wir den Filmstudenten im Rahmen von dreitägigen Workshops ihre Kurzfilme zu realisieren und stellen ihnen dafür auch finanzielle Mittel zur Verfügung.

daStandard.at: Wie schaut es mit der überregionalen Zusammenarbeit aus?

Purivatra: Auch hier hat sich sehr viel getan, besonders in den letzten 10 Jahren. Lange Zeit dominierten lokale Produktionen den Markt, jetzt kommen die Leute immer mehr zusammen und stellen dabei fest, dass sie mit den regionalen Kooperationen auch auf der europäischen Ebene durchaus erfolgreich sein können.

daStandard.at: Immer öfters treten Sie auch als Co-Produzent auf, so wie zuletzt bei der bosnisch-türkischen Produktion "Once Upon a Time in Anatolia", einem Film, der Grand Prix auf dem diesjährigen Cannes Film Festival gewonnen hat. Wie schwierig ist es, im Balkanraum das Geld für neue Produktionen aufzustellen?

Purivatra: Wenn man ein gutes Projekt hat, findet sich meistens auch das Geld. Nuri Bilge Ceylan (der Regisseur und Co-Drehbuchautor von "Once Upon a Time in Anatolia" - Anm.) ist selbst das beste Beispiel dafür. Schon sein erster Film "Die Stadt" wurde mit internationalen Preisen ausgezeichnet, danach produzierte er sehr erfolgreich Filme, allersammt Low-Budget-Produktionen. Und auch das Budget seines letzten Films, hält sich mit ca. zwei Millionen Euro in Grenzen. Aber auch mit dieser überschaubaren Summe gelang es ihm, ein Meisterstück zu machen was erneut bewiesen hat, dass die Qualität des Projektes - und auch die des Regisseurs - eine entscheidende Rolle spielen und man mit guten Ideen bereits auf dem besten Weg ist.