Ich kann den See schon riechen und freu mich auf einen Kaffee am Ufer. Die leichte Brise, die vom Neusiedler See über das Leithagebirge zieht, wirkt wie ein Magnet auf mich. Doch ich werde weder den Leuchtturm in Podersdorf sehen, noch im Bobo-Lokal in Neusiedl sitzen. Die halbe Stunde, merke ich, die ich beim Wirten sitzen würde, wäre ich im Kopf ja doch am Motorrad – der BMW R 1200 R.

Foto: Guido Gluschitsch

Und ich würde an mir zu zweifeln beginnen. Mich fragen, ob ich nun alt werde, weil mich ein Cruiser so fasziniert. Der Frage will ich mich nicht stellen und drehe stattdessen eine Ehrenrunde übers Leithagebirge und wage nur von oben einen kurzen Blick über die braune Lacke.

Foto: Guido Gluschitsch

Lenkkopfwinkel und Nachlauf eines Cruiser sind ja in der Regel so ausgerichtet, dass geradeausfahren das Einzige ist, was wirklich gut geht. Die BMW wieselt aber durch die Kehren und weiten Kurven des burgenländischen Großglockners. Sie giert nach Kurven und Schräglage, hält diese dann konstant, ohne sich ständig aufrichten zu wollen. Dieses Handling würde mancher Nackerten auch gut stehen.

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Der wirkliche Knüller ist aber der Motor. In der R 1200 R werkelt jetzt der Motor, der auch in der großen GS und der RT seine Arbeit macht und von der HP2 Sport abstammt. Sie wissen schon: Der Boxer mit den zwei obenliegenden Nockenwellen und vier radial montierten Ventilen pro Zylinder, 110 PS und 119 Newtonmeter.

Foto: Guido Gluschitsch

Seidenweich, aber so kräftig wie ein Sattelschlepper reagiert die R 1200 R auf jeden Dreh am Gasgriff. Ich muss mich echt zusammenreißen, nicht allzu laut meine Freude in den Helm zu entladen. Weil, was tät denn da einer denken, der mich kennt, und lächelnd auf einem Cruiser findet. So in mir gefestigt bin ich dann auch nicht.

Foto: Guido Gluschitsch

Noch etwas hat die neue R von der GS bekommen - und auch das passt ihr wie ein gutes Kernöl auf eine Kugel Vanille-Eis: Die Abgasklappe, mit der sich die Sound-Ingenieure selbst übertroffen haben. Zudem wurde der Endtopf bei der 2011er-R deutlich kürzer. Jetzt ist der Boxerklang sowieso schon fein, aber mit der Klappe treibt er den Puls direkt von den Ohren aus in die Höhe. Nicht, dass die BMW ungebührlich laut wäre, nein, sie klingt einfach nur gut.

Foto: Guido Gluschitsch

Etwas abseits auf der Wiese wackelt ein Reh mit den Ohren, als wollte es diese Aussage bestätigen. Erst als die Fußraste in der nächsten Kehre aufsetzt und ein kratzendes Geräusch von sich gibt, läuft es weiter, ebenfalls in Richtung See. Während ich den Antritt durch den GS-Boxer noch halbwegs ohne Kopfschütteln verkrafte, macht mich das Kurvenhandling endlos fertig. Vor allem deswegen, weil das Motorrad so fein abgestimmt ist, obwohl das Testmotorrad gar keine elektronische Fahrwerksverstellung ESA hat, von der ich immer annahm, dass sie bei den R-Modellen so essentiell ist wie der Sprit im Tank.

Foto: Guido Gluschitsch

Beim feinen Handling spielt aber sicher auch mit, dass die Lastwechsel-Reaktionen beim neuen Modell deutlich geringer ausfallen. Das merkt man gerade am Kurveneingang und permanent im Stadtverkehr. Einziges Manko dieses Motorrades ist der spitze Kniewinkel. Doch der fällt in der Regel vermutlich gar nicht so schlimm aus.

Foto: Guido Gluschitsch

Denn ich bin mit 190 Zentimetern doch recht groß, und BMW hat bei den Testmotorrädern den Faible, diese mit niedrigeren Sitzbänken auszustatten. Und wenn es zwei Pressemotorräder gibt – eine normalhohe und eine abgesattelte -, dann schaut der gute alte Murphy schon drauf, dass ich die Niedrige bekomme und fast so tief sitze, wie der Neusiedler See ist.

Foto: Guido Gluschitsch

BMW R1200R

Motor: 4-Takt-Boxer-Motor, 8 Ventile
Hubraum: 1170 ccm
Leistung: 81 kW (110 PS) bei 7.750 U/min
Drehmoment: 119 Nm bei 6.000 U/min
Kraftübertragung: Kardan
Radaufhängung vorne: Telelver
Radaufhängung hinten: Paralever
Bremse vorne: Doppelscheibenbremse, Ø 320 mm, 4-Kolben, ABS optional
Bremse hinten: Scheibenbremse, Ø 265 mm, 2-Kolben, ABS optional
Reifen vorne: 120/70 ZR17
Reifen hinten: 180/55 ZR17
Gewicht inkl. 90% Kraftstoff: 223 kg
Sitzhöhe: 800 mm Serie, 750 - 830 mm optional
Preis: ab 13.990 Euro

+ Hochwertig verarbeiteter Cruiser, der wirklich Spaß macht und noch die typischen BMW-Blinkerschalter hat.

- Das Cruiser-Image passt halt leider nicht zu jedem.

Foto: Guido Gluschitsch