Eine Meisterin an der Marimba: Els Vandeweyer.

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Nickelsdorf - Wie ist das nun mit freier Improvisation? Alles ist möglich, nichts ist falsch? Selten wird emotionsfrei über jene Musik nachgedacht, die ohne jede zu Papier gebrachte Note, oft auch ohne Absprachen, auf der Bühne entsteht. 50 Jahre nachdem der Free Jazz über die New Yorker Szene hereingebrochen ist und sich daraus in Europa verschiedene Schulen der frei improvisierten Musik gebildet haben, stellt sich noch immer die Frage nach Qualitätskriterien für diese Klänge, in denen Ungeplantes als Inspirationsquelle dient.

Wie ist diese Musik, die fälschlich oft als "Avantgarde" bezeichnet wird, zu spielen? Der Eröffnungstag der 32. Nickelsdorfer Konfrontationen bot diesbezüglich Aufschlussreiches.

Riskant ist es zweifellos, allein auf die impulsive Kraft dieser klingenden Interaktionsform zu vertrauen, ohne auch nur einen Gedanken an einen konzeptionellen Rahmen zu verschwenden: Obwohl Saxofonist Edoardo Marraffa energetische Klangfetzen in den Raum schleuderte, Alberto Braida das Klavier in Cluster-verdächtigen Kaskaden bearbeitete und Drummer Michael Zerang als klangbewusster Partner fungierte, erzeugte dieses Konzert kaum Nachhall: Zu unspezifisch, zu routiniert wurde hier musiziert. Erst gegen Ende der Performance, als Zerang groovige Patterns an der arabischen Rahmentrommel Daf einstreute, ergaben sich unorthodoxe Spielsituationen.

In der improvisierten Musik macht die Auswahl der Besetzung 50 Prozent der Komposition aus, so sagt man. Vibrafon und Marimba, beide in diesem Genre selten verwendet, versteht die blutjunge Belgierin Els Vandeweyer Klänge ungehörter Art zu entlocken: Mit speziell präparierten Handschuhen schuf sie schillernde Klangwolken, in die sich Pianist Fred van Hove mit filigran perlenden Klangzellenwucherungen einklinkte. Diese fanden wiederum in der spröden, farbbewussten Perkussionistik von Paul Lovens und Martin Blume einen wirkungsvollen Kontrapunkt.

Charme hatte auch die Musik von Franz Hautzingers Poet Congress, in der das Prinzip der Auswahl distinkter Charaktere eine ebenfalls kluge Anwendung erfährt: Mit dem dunklen Geröchel Steve Ganders und den gewitzten Textimprovisationen Christian Reiners standen zwei Vokalisten-Antipoden im Zentrum, die um die quirlige Klarinettistin Isabelle Duthoit zum Trio ergänzt wurden. Auch wenn hier momentweise die Gefahr bestand, die Sounds zu dick aufzutragen, so gerieten diese vielschichtigen Collagen aus Worten, Vokalisen und Tönen, an denen auch Pianistin Manon-Liu Winter und Gitarrist Burkhard Stangl mitstrickten, zum kurzweiligen Höhepunkt des Abends.  (Andreas Felber / DER STANDARD, Printausgabe, 23./24.7.2011)