1999 war mit den beiden Untersuchungswiesen noch alles in Ordnung. 2003 geriet die Artenzusammensetzung außer Rand und Band.

Foto: Lehrstuhl für Biogeografie, Universität Bayreuth

Extreme Klimaereignisse können die Artenvielfalt und Artenzusammensetzung der Vegetation massiver stören als Biologen bisher angenommen haben. Normalerweise verändert sich die Vegetation kontinuierlich und nach bestimmten Regeln: Einige Pflanzenarten breiten sich aus, andere sind auf dem Rückzug. Ein Forschungsteam der Universität Bayreuth zeigt jedoch in der neuesten Ausgabe der Ecology Letters, dass extreme Hitze- und Trockenperioden die Artenvielfalt und Artenzusammensetzung so nachhaltig erschüttern können, dass deren Entwicklung in den Folgejahren zufällig und unberechenbar wird.

Wie sich Wiesenvegetation über Jahre hinweg verändert, haben Carl Beierkuhnlein und seine Arbeitsgruppe seit 1999 intensiv beobachtet. Auf einem Forschungsgelände der Universität Bayreuth wurden zwei räumlich benachbarte Untersuchungsflächen eingerichtet, die jeweils in 30 gleich große Felder eingeteilt wurden. Jedes Feld erhielt eine spezifische Bepflanzung, die sich aus mehreren Grünlandarten - beispielsweise aus Glatthafer und Spitzwegerich - zusammensetzte. Damit waren auf jeder der beiden Flächen, in klarer räumlicher Abgrenzung, 30 verschiedene Pflanzenmischungen angesiedelt. Die Pointe dieser Anordnung: Die beiden Untersuchungsflächen stimmten hinsichtlich ihrer Bepflanzung durchgehend überein. So konnten die Forschungen im Jahr 1999 mit 30 verschiedenen Paaren von Zwillingsfeldern beginnen, die hinsichtlich ihrer Artenvielfalt und Artenzusammensetzung identisch waren.

Chaos nach schwerer Dürreperiode

In den folgenden Jahren, bis 2008, haben die Bayreuther Wissenschaftler aus allen Feldern der beiden Untersuchungsflächen regelmäßig Biomasseproben entnommen und ausgewertet. Dabei stellte sich heraus, dass die Zwillingsfelder in den ersten Jahren nach 1999 nur unwesentliche Unterschiede hinsichtlich ihrer Vegetation aufwiesen. Die Entwicklung der anfangs identischen Pflanzenmischungen verlief weitgehend parallel, wobei die Artenvielfalt insgesamt leicht zunahm. Die Pflanzenarten waren in diesen Jahren keinen extremen Wetterereignissen ausgesetzt.

Das änderte sich jedoch schlagartig im Sommer 2003 mit seiner extremen Hitze- und Trockenperiode. Seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1851 hatte es im Raum Bayreuth keine derart hohen Durchschnittstemperaturen bei so geringen Regenfällen gegeben. Durch die lang anhaltende Dürre wurde die Vegetation auf beiden Untersuchungsflächen schwer geschädigt. Noch innerhalb desselben Jahres drifteten die Artenzusammensetzungen auf den 30 Zwillingsfeldern völlig auseinander. Dabei ließen sich keine Regelmäßigkeiten mehr erkennen. Im Gegenteil: Es schien weitgehend zufällig, wie sich die Vielfalt und die Zusammensetzung der Arten nach dem Dürreschock veränderte. Bis 2008 wurde die Ähnlichkeit, die in den Jahren nach 1999 zunächst bestanden hatte, nicht wieder erreicht.

Artenvielfalt aus dem Gleichgewicht

Aufgrund ihrer detaillierten Untersuchungen glauben die Bayreuther Forscher ausschließen zu können, dass sich die Zwillingsfelder infolge verschieden starker Einwirkungen aus dem räumlichen Umfeld so stark auseinander entwickelt haben; also beispielsweise dadurch, dass neue Pflanzenarten vor allem in die außen liegenden Felder eingedrungen sind. Jürgen Kreyling, der die Messergebnisse ausgewertet hat, meint dazu: "Die wahrscheinlichste Erklärung ist, dass sich die auf den Untersuchungsflächen wachsenden Pflanzenarten nach 1999 zunächst in einem relativ stabilen Gleichgewicht befunden haben. Allmähliche Veränderungsprozesse in den jeweiligen Zwillingsfeldern konnten daher gleichförmig verlaufen. Erst die extreme Hitze- und Trockenperiode im Sommer 2003 hat die Vegetation auf beiden Untersuchungsflächen völlig aus dem Gleichgewicht gebracht."

Die Forschungsergebnisse haben nicht zu unterschätzende Konsequenzen für verschiedene Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft. Denn infolge des globalen Klimawandels sind extreme Klimaereignisse in Zukunft häufiger zu erwarten. Damit aber steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Entwicklungen der Artenvielfalt und der Artenzusammensetzung zufällig verlaufen und sich wissenschaftlichen Prognosen entziehen. Infolgedessen scheinen auch die Serviceleistungen von Ökosystemen, die oftmals auf einem stabilen Mischungsverhältnis verschiedener Pflanzenarten beruhen, in Zukunft weniger verlässlich zu sein. Bei der Entwicklung langfristig angelegter Konzepte - etwa in der Forstwirtschaft, der Landschaftsgestaltung oder der Wasserwirtschaft - ist daher mit zunehmender Planungsunsicherheit zu rechnen. (red)